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Neues Fernsehen aus alten Ideen

Der deutsche Fernsehpreis 2002 ist vergeben, das Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit für die Sender, in sich zu gehen und tolle Show-Ideen fürs nächste Jahr auszubrüten – vielleicht kommt ja sogar mal was Neues dabei heraus. Eine Gebrauchsanweisung

von SUSANNE LANG

Es gab Gewinner beim Deutschen Fernsehpreis, auch dieses Jahr. Obwohl die Jury der Ansicht war, dass das Fernsehen im Unterhaltungssektor zuletzt nicht gerade Knaller abgeliefert hatte. Deshalb hat dann wohl auch RTLs „80er Jahre Show“ gewonnen. Die Aufforderung von Jurypräsident Lutz Hachmeister, dass neue Konzepte her müssten, ist damit wohl kaum entkräftet. Die taz macht schon mal Vorschläge, wie Ihre Show für den Fernsehpreis 2003 in der Kategorie „beste Unterhaltungssendung“ zumindest nominiert wird.

1. Studiere die deutsche Befindlichkeit

Womit wir auch schon beim diesjährigen Gewinner wären. Mit der „80er Jahre Show“ – und mit „Wer wird Millionär?“ im letzten Jahr – hat RTL zwei absolut preiswürdige Shows ins Unterhaltungsleben gerufen. Beide treffen den Zeitgeist. Während das Millionärsquiz gekonnt die Bildungsmisere bespielt, holt die Retroshow die deutsche Seele mit kuscheliger Nostalgie ab. Das Leben ist hart und hektisch, da erinnert man sich gerne an glamourösere Zeiten. „Retroshows funktionieren wie ein Blick ins Fotoalbum“, meint Gil Bachrach, Geschäftsführer der Münchner Produktionsgesellschaft G.A.T., die sich mit Shows wie „Die Stunde der Wahrheit“ einen Namen gemacht hat. Innehalten, besinnen, zurückblicken – das sei die Philosophie.

Andere deutsche Werte kultivieren die Gerichtsshows: „Sie bedienen das Ordnungsgefühl der Zuschauer“, meint Sat.1-Chef Martin Hoffmann. Eine klare Vermittlung von Gut und Böse – das sei die Philosophie, die immerhin für um die 20 Prozent Marktanteil gut ist.

Doch der Weg zum Zeitgeist ist nicht leicht. Empfehlenswert sind Stammtische, Zeitungen mit großen Buchstaben sowie das deutsche Hochkultur-Feuilleton. Bei NeunLive bleibt nur Stammtisch: Der Mitmachsender will Quote mit dem deutschen Leid an der hohen Arbeitslosenquote machen. Geplant ist eine Vermittlungsshow für Jobsuchende. Das passt in die Zeit. Andererseits hat die Idee auch massive Kritik hervorgerufen, was nicht verwundern dürfte.

2. Kaufe eine Satellitenschüssel

Von „Wer wird Millionär?“ bis zu „Big Brother“ – die erfolgreichen Formate sind selten auf deutschem Mist gewachsen. Einzige Ausnahme: Europas beliebteste Show ist immer noch „Wetten dass …?“. Inspirierend für neue Konzepte ist der internationale Fernsehmarkt. Deshalb die Empfehlung: Beobachte rund um die Uhr die Unterhaltungsschiene ausländischer Sender. Geheimtipp von NeunLive ist Argentinien. Dort läuft das Vorbild der lustigen Arbeitsplatzvermittlung.

Zu beachten sind dabei allerdings zwei Dinge. Erstens: kulturelle Unterschiede. Was in anderen Ländern funktioniert, kann in Deutschland Probleme bereiten. So können in Argentinien die vermittelten Jobs wieder fristlos gekündigt werden.

Zweitens: Man beachte die innerdeutsche Konkurrenz. Nicht, dass man versehentlich das gleiche Format klaut wie die anderen. Schlechtes Beispiel: Sat.1 und RTL, die beide das „Inselduell“ kopiert hatten, jedoch völlig unabhängig voneinander und aus zwei ganz verschiedenen Ländern. Angeblich.

3. Sag es in zwei Sätzen

„Eine Idee ist gut, wenn man sie in zwei Sätzen sagen kann“, meint Bachrach. „Die Kunst ist, daraus eine Sendung von 30, 60 oder 90 Minuten zu machen.“ Sobald man die Idee in zwei magischen Sätzen formuliert hat, geht es darum, einen Sender dafür zu begeistern. Und die Finanzierung zu sichern. Um die 1.000 Euro kostet eine Show-Sendeminute am Nachmittag, zwischen 5.000 und 7.000 Euro am Abend. Wenn man gute Rahmenbedingungen hat, zum Beispiel einen Sender, der kooperativ ist. Eine Show zur Primetime schlägt mit rund 630.000 Euro pro Sendung zu Buche.

4. Sieh in die Vergangenheit

Beruflich sollte eine Auszeit zwischen drei und sechs Monaten genommen werden, falls die Idee mit einer Pilotsendung in Produktion geht. Solange dauert es, wenn die Finanzierung steht, wenn ein Sender also die Idee gekauft hat. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, am Markt ist Platz für neue Konzepte. Denn: Auf dem Unterhaltungsmarkt, auch international, herrscht nach Ansicht von Hoffmann eine gewisse Stagnation. Bestes Indiz dafür sind die Pläne und Taten der öffentlich-rechtlichen Anstalten: das ZDF hat den „Großen Preis“ wiederbelebt, die ARD schickte zuletzt die nicht ganz frische Spaßshow „Verstehen Sie Spaß“ mit dem nicht ganz frischen Moderator Frank Elstner ins Rennen (s. Kasten). Und das erfolgreich, wie auch Sat.1-Chef Hoffmann anerkennt.

Auch für seinen Sender heißt die Devise: festhalten an der Tradition. So möchte er die G.A.T.-Produktion „Die Stunde der Wahrheit“ „weiterpflegen“, aber auch der neuen „Retro-Gefühligkeit“ Rechnung tragen.

5. Öffne dierichtige Schublade

Ein heißer Tipp für die gute Vermarktung der eigenen Idee findet sich in der deutschen Liebe zur Schubladisierung. Gute Unterhaltung müsse in Deutschland immer ein Label tragen können, bedauert Bachrach. Eine Arbeitslosen-Vermittlungsshow kann er sich im deutschen Fernsehen vorstellen, aber nicht als Spiel, sondern als journalitisches Format. Nicht U, sondern E. Aktuell begehrte Schubladen: Nach Infotainment nun Servotainment und Edutainment.

6. Caste das Gesicht zur Show

Jede Show ist so gut wie ihre Moderation. Deshalb der ultimative Ratschlag: finde die gut aussehende, sprechfähige und charismatische Person zur Show. Ist das Format sowieso auf einen Star zugeschnitten, wie etwa das diesjährig für den Fernsehpreis nominierte „Blonde Gift“ vom WDR, stellt sich das Problem der Suche zumindest nicht. In jedem anderen Fall kann sich die Moderation als heimtückische Falle entpuppen. Späße über Herrn Jobatey verbieten sich an dieser Stelle. Falls neue frische Gesichter nicht zur Verfügung stehen, sollte man im Archiv suchen. Grundregel: lasse mindestens zehn Jahre und zahlreiche zwischenzeitliche Misserfolge verstrichen sein, bevor der Moderator wiederbelebt wird. Späße über Frank Elstner verbieten sich ebenfalls an dieser Stelle. Empfehlenswert: Hugo Egon Balder, der zuletzt 1998 mit der RTL-Samstagabend-Show „Fata Morgana – Die wüste Orientshow“ abgetaucht ist. Nicht zu empfehlen: Exsportler und Expolitiker. Beide fallen nicht unter die Sparte freiwillige Klassenclowns.

7. Lass das Format patentieren

Der wohl beste Rat – der sich dummerweise nicht befolgen lässt. Urheberrechtlich sind Formatkonzepte nicht geschützt. Allerdings gäbe es das Gentleman’s Agreement, so Bachrach, dass man für die Adaption einer ausländischen Idee bezahlt. Das kommt immer noch billiger, als selbst zu entwickeln. So lässt sich nämlich das komplette Format inklusive Titelmusik, Vor- und Abspann, Studiokulisse und Regeln nutzen.

So dürfte eigentlich nichts mehr schief gehen. Selbst wenn: Der Deutsche Fernsehpreis 2003 wird wohl auch vergeben, wenn wieder nur aufgegossen und abgekupfert wird.

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