Neues Album von Tina Dico: Die Sache mit der Liebe
Die dänische Singer-Songwriterin Tina Dico hat keine Angst vor Kitsch. Ihr Album „Whispers“ handelt von Emotionen – ohne banal zu werden.
„Does anyone believe there’s still a story to be told?“ – Glaubt irgendjemand, dass es noch eine Geschichte zu erzählen gibt, hat Tina Dico in einem Song einmal gesungen. Mit ihrem neuen Album „Whispers“ zeigt sie, dass es auf diese Frage nur eine Antwort geben kann, oder vielmehr: dass die Antwort immer wieder „ja“ sein muss und dass immer wieder neue Geschichten erzählt werden können.
In ihrer Heimat Dänemark ist die Songwriterin Tina Dico, die dort unter ihrem Nachnamen Dickow auftritt, ein Star. Ihr letztes Album, „Where Do You Go To Disappear?“, stand dreißig Wochen auf Platz 1 der Albumcharts, die heute 36-Jährige hat Konzerte mit dem Danish National Chamber Orchestra und beim Geburtstag der dänischen Königin gespielt.
„Whispers“ ist, wie der Name andeutet, ein eher stilles, ruhiges und intimes Werk, auch wenn es bei Tina Dico ohnehin nie besonders laut zugeht. Mit der Zeile „I ceremonially undress“ eröffnet sie das Album: Ich ziehe mich feierlich aus. Und das tut sie dann auch, im übertragenen Sinne. Was sie dabei herzeigt, ist wunderschön.
Im Vordergrund ausschließlich ihre Stimme und eine akustische Gitarre, im Hintergrund oft nur ein wenig Klavierklänge, zurückhaltendes Schlagzeug, hier und da ein Cello, eine Harfe. Keine schwer beladenen Kompositionen wie früher. „Whispers“ klingt, als hätte Tina Dico ausgemistet, und tatsächlich hat sie das: Beim Komponieren entfernte sie alle überflüssige Deko, um ihre Musik möglichst einfach zu halten.
Tina Dico: „Whispers“ (Finest Gramophone/Indigo)
Live: 18.9. Hamburg, 20.9. Braunschweig, 30.10. Berlin, 31.10. Flensburg, 1.11. Bremen, wird fortgesetzt
Träume, Liebe Sehnsucht
Man könnte das alles für kitschig halten: Da ist diese Frau mit den langen blonden Haaren, auf deren Album drei von zehn Liedern das Wort „Love“ im Titel tragen. Aber Dico, deren Gesicht immer einen Tick zu ernst ist, um das einer Elfe zu sein, und deren Stimme zu tief ist, um niedlich zu klingen, schreibt Musik, die zu vielschichtig ist, um einfach nur schön zu sein. Und sie schreibt Texte, die oft sehr sprachgewaltig sind und auch ohne Musik, als Gedichte, bestehen könnten.
Zwar singt Tina Dico auf den ersten Blick über die üblichen Themen: Träume, Liebe und Hingabe, Trennung, Schmerz und Sehnsucht. Doch zu all diesen Themen bringt sie Geschichten mit, die nie banal sind.
Und wenn es nur die Geschichte eines Gefühls ist: Tina Dico erzählt sie in vielen Feinheiten und mit einer Tiefe, aus der Erfahrung spricht. So singt sie in „You don’t step in love“: „You don’t step in love / You fall / Head over heels / blindfolded“. Die Sache mit der Liebe, die auf „Whispers“ das zentrale Thema ist, erklärt sich auch mit Blick auf den Ursprung des Albums: Fünf der zehn Songs hat Dico als Soundtrack zum Film „En du elsker“ der dänischen Regisseurin Pernille Fischer Christensen geschrieben und dabei versucht, sich in den männlichen Protagonisten des Films hineinzuversetzen.
Das Stück „Someone You Love“ ist eine Übersetzung des Filmtitels und erzählt von der Rückkehr zu jemandem, den man liebt. Es ist einer der Titel, die, wie auch der Auftaktsong „The Woman Downstairs“, stark an Leonard Cohen erinnern, dem Tina Dico – ohne Übertreibung – in ihrem Sprachgefühl und ihrer Fähigkeit, Stimmungen zu komponieren, in nichts nachsteht.
Als Erstes das Meer
Diese Stimmungen sind bei ihr vielfältig, manchmal geisterhaft wie in „Whispers“ oder verletzlich wie in „Mines“, manchmal folkig-erdig, dann wieder sphärisch wie in „As Far As Love Goes“. Und manchmal meint man, wie in „Drifting“, die Weite des Meeres zu hören. Das ist naheliegend, denn Tina Dico ist nach Island übergesiedelt. Das Meer sei das Erste, was sie morgens sehe. In ihrem Haus in einer Vorstadt von Reykjavík ist auch Tina Dicos Studio untergebracht. Veröffentlicht ist „Whispers“, wie auch schon Dicos Debütalbum „Fuel“, auf ihrem eigenen Label, „Finest Gramophone“.
Tina Dico lebt dort mit dem isländischen Musiker Helgi Jónsson zusammen, mit dem sie zwei Kinder hat und den sie im Juli geheiratet hat. Jónsson singt und spielt bei vielen Songs mit. Zur Geschichte ihres Heiratsantrags hat Tina Dico vor ein paar Wochen ein Lied auf ihrer Facebook-Seite geteilt: „Ask Again“, die Erzählung darüber, wie ihr Freund sie nach einer durchsoffenen Nacht in Berlin fragte, ob sie ihn heiraten will. Frag mich nochmal, wenn der Kater vorbei ist, antwortete sie – und er fragte nicht mehr, für lange Zeit. Also schrieb sie ein Lied, in dem sie singt: „Ask again / I’ll say ’yes, yes!‘ / If you ask me again / I’ll say ’yes, yes!‘ / No matter when.“ Vielleicht doch ein bisschen sehr kitschig, aber auch ziemlich schön.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs