Neues Album von „The Specials“: Eine der mutigsten Bands der Welt
Die Skalegenden der „Specials“ haben sich noch mal zusammengerauft. „Encore“ zeigt unter anderem, wie man Gendergerechtigkeit in Musik verwandelt.
Nerdfakten für Rude Girls und Boys: „The Specials: Encore“ ist, je nach Lesart, das dritte oder das achte Studioalbum der Band aus Coventry. Das dritte, wenn man die beste aller Ska-Revivalbands nur mit Terry Hall als Sänger (und leider ohne den nach den ersten beiden Alben für immer ausgestiegenen Keyboarder Jerry Dammers) akzeptiert. Das achte, wenn man die fünf Alben zwischen 1984 und 2001 mitzählt.
In beiden Fällen finden sich bei der The-Specials-Reinkarnation fürs neue Album „Encore“ Menschen zusammen, die sich aus den Augen verloren hatten: Hall war bereits 1981 der Polohemdkragen geplatzt. Er hatte zunächst mit zwei Bandkollegen unter dem Namen Fun Boy Three eine eigene Musikrichtung aus dem Ärmel geschüttelt, um dann, nach weiteren Acts, in einer teils freiwilligen, teils gesundheitlich bedingten Versenkung zu verschwinden. Seit einer Reunion 2008 schenkte er der Band bereits live wieder seine charakteristische, smarte Stimme – seine depressiven Verstimmungen waren jedoch auch bei den folgenden Livekonzerten deutlich spürbar gewesen.
Doch auf „Encore“ sind sie weg! Die Specials, nun bestehend aus Hall, Original-Bassist Horace Panter, Original-Gitarrist und Sänger Lynval Golding und verschiedenen KollaborateurInnen, haben teils neues Material eingespielt – und klingen kampfbereiter und politischer denn je: Im Ohrwurm „Vote for me“ mokiert sich Hall über leere Politikversprechungen. „We never fought for freedom / for nazi little brutes like you / you bring shame on this country for true“, singt Golding im Refrain zum Dancehall-Swinger „Embarrassed by you“ mit Patois-Feeling (Golding stammt aus Jamaika) und adressiert auch die mit der Brexit-Bewegung erstarkenden Nationalisten Großbritanniens.
Für „Blam Blam Fever“, ursprünglich ein waffenkritisches Stück des Organisten und Sängers Earl Grant, wurde eine aktuelle Strophe hinzugedichtet: „Everytime you read the New York Times / 17 dead in a school gun crime / It’s the fever, the gun fever!“ Die hübsch in den Bässen wummernde, transparente Retro-Produktion mit den lebendigen Reggae-Breaks steht alten Specials-Hits klanglich in nichts nach.
Den aufregendsten, eindrucksvollsten Agit-Ska präsentieren die Specials jedoch im Song über die zehn Gebote der Saffiyah Khan. Im Frühling 2017, kurz nach einem Terroranschlag in London, den der IS für sich reklamierte, hatte die rassistische English Defence League (EDL) in Birmingham gegen „Ausländer und Terroristen“ demonstriert. Als ihr Anführer eine Gegendemonstrantin im Hidschab anzugreifen drohte, trat die damals 17-jährige Skaterin Saffiyah Khan dazwischen – mit einem Lächeln auf den Lippen. Das Foto, auf dem die junge Frau den rotgesichtigen EDL-Wutbürger freundlich anschaut (und deeskaliert), ging um die Welt.
Den Sexismus karikieren sie
Auch Terry Hall war beeindruckt – und lud Khan als Gastsängerin ein. „10 Commandments“ ist ein Reggaestück, das den gleichnamigen Song der misogynen Ska-Legende Prince Buster karikiert: Im Original nennt Buster zehn Gebote für Frauen, die dem Mann in jeder Hinsicht dienen sollen, während im Hintergrund heiter Reggae schunkelt.
The Specials: „Encore“ (Island/Universal).
Live: 29.3. E-Werk Köln, 2.4. Große Freiheit 36 Hamburg, 3.4. Max-Schmeling-Halle Berlin
Khan hat aber nicht nur den traditionellen Sexismus der Ska- und Reggaeszene im Visier, wenn sie über einem groovenden, mit Dubelementen versetzten Beat davon redet, wie sie sich Anmachen auf der Straße nicht gefallen lässt und wie Mädchen sich nicht anhören müssen, sie hätten „es verdient“, weil sie zu kurze Röcke trügen. „10 Commandments“ ist ein imposantes Angebot, Gendergerechtigkeit in Musik zu verwandeln, und typisch Specials, die das Thema Vergewaltigung bereits 1984 auf ihrer Single „The Boiler“ von Rhoda Dakar angemessen behandeln (und schockierend beschreien) ließen.
Persönlich wird der mittlerweile 60-jährige Hall auf dem Stück „The Life and Times (of a Man called Depression)“, in dem er über einem 5/8-Takt seine Erfahrungen mit jener Krankheit schildert. Die beiden an hausbackenem Funksound orientierten Songs „Black Skin Blue Eyed Boys“ und „BLM“ stinken zwar musikalisch gegen das restliche neue Material ab, aber unterstreichen textlich die entschlossene Bandstimmung: Wieder geht es um Rassismus, den nichtweiße Menschen erleben – und wieder ist man leidenschaftlich aufgerufen, ihn zu beenden.
„Encore“ ist eine furiose Zugabe, die man gar nicht mehr erwartet hat. Sie bietet leider auch viel Altes (der Rest des Albums sind Liveversionen bekannter Songs), vor allem aber zeigt sie, wieso die Specials sich einst verlässlich in die Musikgeschichte einschrieben: weil sie eine der mutigsten Bands der Welt waren. Und noch immer sind.
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