Neues Album von Sinkane: Sozialkritik fürs Stadion

Das neue Album des sudanesisch-amerikanischen Künstlers Sinkane, „Dépaysé“, klingt musikalisch schaumgebremst. Deutlicher sind seine Songtexte.

Ein Mann, Sinkane

Vorsichtig optimistisch: Sinkane Foto: Tiffany Smith

„Dépaysé“ bedeutet „aus dem vertrauten Umfeld gerissen“. Diesen Titel trägt das neue Album des sudanesisch-amerikanischen Songwriters Ahmed Gallab alias Sinkane. Identitätswirren, aber auch die Energie, die Sich-fremd-Fühlen freisetzen kann, waren ihm schon immer ein kreativer Antrieb.

Ursprünglich war Sinkane Gallabs Soloprojekt. Inzwischen ist der 36-Jährige unsicher, ob es ein Soloprojekt ist oder doch eher Ensemblemusik, eingespielt mit einer festen Band. Mit ihr gibt Sinkane mitreißende Konzerte, sodass der Bandname zumindest aus Publikumsper­spektive mehr Sinn ergibt. Zusammen bringen sie den Eklektizismus unter der poppigen Oberfläche seiner Songs nämlich zum Explodieren.

Psychedelik flirrt neben kreischenden Gitarren, Afro-Einflüsse verschmelzen mit Krautrock. Man hörte den Kompositionen des in New York lebenden Mittdreißigers ihre vielsteitige musikalische Vorgeschichte und die diversen Kollaborationen Sinkanes mit Yeasayer, Caribou und Eleanor Friedberger an.

Daher erstaunt es ein bisschen, wie gefällig „Dépaysé“ daherkommt; das Album, von dem Gallab sagt, dass er das Gefühl von Fremdheit, das er bisweilen in den USA verspürt, in Songs verwandeln wollte. Geboren ist Gallab in London, aufgewachsen zunächst im Sudan, bis sein Vater, ein Oppositioneller, das Land verlassen musste. Gallab verbrachte den Großteil seiner Kindheit und Jugend im Mittleren Westen der USA, musste oft umziehen und tröstete sich mit Punk. Obwohl sein Vater im Exil blieb, pflegte die Familie enge Kontakte in den Sudan. Gallab verbrachte immer wieder Zeit in dem ostafrikanischen Land.

An den aktuellen Entwicklungen nimmt er regen Anteil. Nach dem Sturz des sudanesischen Diktators Omar al-Bashir checkte Gallab fortlaufend sein Handy. Vor dem Massaker in Khartum Anfang Juni, das die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel stark dämpfte – äußerte sich Gallab im Gespräch mit der taz noch optimistisch über die Entwicklung.

Auf „Dépaysé“ gibt es dazu den passenden Song, die durchaus hymnische, schunkelige Afropop-Nummer „Ya Sudan“. Sonst klingt „Dépaysé“ bisweilen stadionkompatibel – etwa im bratzigen Auftakt „Everybody“, bei dem er shoutet: „Everybody means everybody“. Wer es nach vielen Wiederholungen dieser Satzes noch nicht begriffen hat, kriegt es dann SPD-Stadtfest-mäßig erklärt: „It means you and me / Black, white, brown / He, she, gay all means we“. Dazu kniedeln Gitarren, Synthies und funky Beats betten den Sound in musikalische Steilkurven. Sinkane bleibt bis zum Schluss gefühlig-erbaulich: „Together we can change the news, ooh“.

Einige sehr gelungene Songs

In anderen Songs fühlt man sich in Broadway-Musicals versetzt, wenn gospelige, leicht anachronistisch anmutende Come-together-Momente zelebriert werden – nach den rockistischen Einlagen fast eine Erleichterung. Aber es gibt auch einige sehr gelungene Songs, die mit jedem Hören besser werden. Unterlegt mit einem unaufdringlichen und doch treibenden Groove nutzt „Stranger“ das Echo einer fast countryesken Gitarre.

Sinkane: „Dépaysé“ (Cityslang/Indigo)

live: 28.10. München "Import/Export", 29.10. Berlin "Gretche", 30.10. Köln "Artheater"

In der Musik Sinkanes tut sich immer eine Schere auf, zwischen seinen Texten, die Zerrissenheit behaupten, und dem recht geradlinigen Sound. Noch größer scheint diese Schere, wenn Gallab im Interview auf das rekurriert, was er als seine „Dualität“ bezeichnet: „Leute wie ich, die woanders aufwachsen als dort, wo sie eigentlich herkommen, haben einen spezifischen Blick; sie schauen anders auf Dinge“, erklärt er.

Leider übersetzt er seine persönlichen Perspektiven nicht in eine eigentümliche Erzählung, sondern bleibt bei Sinnsprüchen. Auf früheren Alben ließ er seine Ideen von seinem langjährigen Wegbegleiter Greg Lofaro in abstrakte Texte fassen. Rückblickend erklärt er diese Vagheit mit seiner Familiengeschichte: „Ich wollte mich nie politisch positionieren, weil ich befürchtete, dass mich das in eine ähnliche Situation bringen könnte, wie mein Vater sie erlebt hat. Ich wollte nicht auffallen.“

Doch die politischen Verhältnisse in den Zeiten von Trump haben zur Folge, dass er Druck verspürt, sich zu äußern. Das ist einerseits sympathisch; andererseits wirkt die frohe Botschaft des gelebten Pluralismus, die er gesellschaftlichem Klima entgegensetzt, oft etwas schlicht. Auf dem Vorgänger, dem leichtfüßigen und doch subtil verästelten „Life & Livin’ It“ (2017), kam die Verschmelzung seiner Einflüsse noch deutlich verspielter daher. Misslungen ist „Dépaysé“ nicht. Aber eben auch nicht so gut, wie die letzten Alben hoffen ließen.

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