Neues Album von Phosphorescent: Country für Psychoanalytiker
Unter die Wölfe gegangen: US-Singer-Songwriter Phosphorescent hat in seiner neuen Heimat Nashville das Album „C’est La Vie“ aufgenommen.
Wenn Matthew Houck singt, klingt es, als würde er seine Stimmbänder zum ersten Mal seit langer Zeit benutzen, als müsste sich die Muskulatur erst wieder aufwärmen. Da kommt nur heiseres Knarzen, die Noten sind brüchig; eine Stimme wie der morgendliche Gruß nach durchgemachter Nacht. Im Gespräch klingt seine Stimme überraschend robust, ein warmer Bariton, der das karg eingerichtete Hinterzimmerbüro mit einem sonoren Grundbrummen ausfüllt.
„C’est La Vie“ heißt sein neues Album, es ist das siebte, das Houck unter dem Namen Phosphorescent veröffentlicht, und wenn es klangästhetisch insgesamt aufgeräumter daherkommt als frühere Veröffentlichungen, ist es doch wieder von dieser fragilen Stimme geprägt, die sich an jedem Punkt zu überschlagen droht.
Diese idiosynkratische Klangfarbe ist nicht allein auf die Konstitution von Houcks angeborenem Organ zurückzuführen, sondern auch auf seine Herangehensweise an die Arbeit im Studio. Die Takes, die er nimmt, erzählt er, sind jene, die erst nach zehn, zwölf Stunden Studioarbeit entstehen, wenn er in die richtige Stimmung gekommen und seine Stimme eben besonders aufgekratzt ist.
In diesen solitären Sessions gerät der Biorhythmus durcheinander, er schläft kaum, isst unregelmäßig, wenn überhaupt, Hunger gehört dazu und Schwindelgefühl, das allerdings vom Trinken kommen könnte. Besaufen könne er sich nicht, sagt er, es gibt ja keinen Assistenten, der die Gerätschaften bedienen würde.
Langzeit-Projekt
Arbeitet er an Musik, zieht er sich für einen Zeitraum von mehreren Monaten völlig zurück, trifft kaum Leute, arbeitet die meiste Zeit allein. „Um dies machen zu können, muss ich sensibel und aufgewühlt sein, muss in einen Zustand gelangen, den man nicht so einfach erreichen oder wieder verlassen kann“, sagt er. „Es ist allerdings auch ziemlich anstrengend, auf diese Art Musik zu machen, und jedes Mal nehme ich mir vor, es bei dem nächsten Album entspannter anzugehen.“
Phosphorescent: "C'est la Vie" (Dead Oceans/Cargo)
live: 19. Oktober "Nochtspeicher" Hamburg, 20. Oktober "Frannz-Club" Berlin
Vor drei Jahren hat Houck sich ein altes Mischpult gekauft, eine massive Maschine, für die er den Platz gar nicht hatte. Er fand eine alte Lagerhalle, nicht zu weit von seinem Haus in Nashville entfernt, stellte das Mischpult dorthin und richtete schließlich ein ganzes Tonstudio ein. Im Alleingang, ohne jede Erfahrung als Tischler und Elektriker. Löten lernte er mit YouTube-Anleitung. „Die Berufsbezeichnung Toningenieur leuchtete mir auf einmal ein“, sagt er. „Electricity, man. Fascinating stuff. Jetzt weiß ich, wenn es mit der Musik nicht mehr klappen sollte, kann ich wenigstens als Techniker irgendwo anheuern.“ Das meint er gar nicht im Scherz. Dabei läuft es gerade ganz gut.
Sein letztes Album „Muchacho“ (2013), insbesondere die Single „Song for Zula“ hatten Houck einem größeren Publikum bekannt gemacht. Vier Akkorde, die sich über sechs Minuten wiederholen, einfachste Funktionsharmonie, darüber polyphone wie schwebende Streicherarrangements, und Houcks Stimme, brüchig, vom Leben ganz heiser, von Liebe singend, von Liebe als Käfig. Das Lied wurde in Filmtrailern und Fernsehserien gespielt, an den Lizenzgebühren muss er mehr verdient haben als mit Plattenverkäufen.
Houck wurde vor vierzig Jahren in Alabama geboren, tief im Süden der USA. Er begann als Countrysänger, aber nicht als eine der Hochglanzfiguren, die, wie der Komiker Bo Burnham einmal ätzte, in ihrem Privatjet Reime übers Traktorfahren schreiben, sondern als einer, der in karg instrumentierten Stimmungsstücken düstere Gedanken exorzierte. Das Sichzurechtfinden mit unerträglichen Situationen ist Teil der Countrytradition; früher gab es in den Liedern noch die Hoffnung auf göttliche Erlösung nach dem Tod, aber da ist man sich mittlerweile nicht mehr so sicher.
Schauriges Tier
Sein Debütalbum veröffentlichte Phosphorescent vor fünfzehn Jahren. In einem seiner frühen Lieder, „Wolves“, erschienen auf dem Album „Pride“ (2007), singt Houck über eine verhallte Mandoline schaurige Zeilen von Wölfen, die es in sein Haus geschafft haben und die er nicht mehr hinausgejagt bekommt, Wölfe, die Löcher in den Boden graben und sich einrichten in seinem Haus. Ein Psychoanalytiker hätte seine Freude mit diesem Lied.
Der Song „Black Moon/Silver Waves“, Auftakt seines neuen Albums „C’est La Vie“, lässt sich als Weiterführung von „Wolves“ verstehen. Als wäre Houck nun selbst unter die Wölfe gegangen, heult er in einem kathartischen Klagegesang den Mond an, Laute formend, keine Worte. Er jault und schreit, auf wohl einem Dutzend Gesangsspuren, über einem ominös brummenden Grundton.
Auf dieses reinigende Gewitter folgen freundlichere Lieder, die, zumindest musikalisch, eine von Houck bisher selten gehörte Leichtigkeit demonstrierten. Auf einer Orgel als harmonischem Grundgerüst errichtet, sind sie mächtig arrangiert und stattlich instrumentiert. Die Pedal-Steel-Gitarre schwingt melancholisch aus der Ferne herüber, so viel Countrytradition muss sein. Das fünfzig Jahre alte Mischpult hört man übrigens nicht heraus. „C’est La Vie“ klingt ziemlich modern und aufgeräumt, auf geschmackvolle Weise.
Das Album dokumentiert eine entscheidende Phase in Houcks Leben, seine jüngste Entwicklung vom Einzelgänger zum Familienvater. Seine Partnerin Jo Schornikow hatte er auf der letzten Tour kennengelernt, wo sie als Keyboarderin engagiert war. Sie bekamen eine Tochter, zogen von Brooklyn, wo Houck die letzten Jahre gewohnt hatte, nach Nashville und bekamen noch einen Sohn. „Es ist nicht leicht, Musik mit dem Familienleben zu vereinbaren“, sagt er.
Verlangen nach Teufelszeug
Ein wiederkehrendes Motiv seiner Texte ist der Kampf, sich gegen das Verlangen nach Alkohol zu wehren. In dem schwermütigen Walzer „These Rocks“ singt er davon, ein Jahrzehnt lang betrunken gewesen zu sein und dass er jetzt darüber nachdenke, die Finger von dem Zeug zu lassen. An einem Punkt im Gespräch möchte ich ihn fragen, ob Alkohol bei seinen Aufnahmemarathons eine wichtige Rolle spielte, aber ich formuliere die Frage unpräzise und er versteht sie als Erkundigung nach seinem gegenwärtigen Zustand in dieser Hinsicht. Er antwortet zögerlich, dass er nicht mit dem Trinken aufgehört habe und verweist auf die Bierflasche in seiner Hand.
Was soll man machen, sind die Wölfe erst einmal im Haus und haben Löcher in den Boden gegraben? Sich ihnen ergeben. C’est la vie. Das Annehmen von allem, das einem widerfährt. Solange es nicht der Tod ist, ist es eben das Leben. Houcks Stimme klingt wie nach durchgemachter Nacht, und es war nicht unbedingt eine fröhliche Nacht, vielleicht war es eine Nacht voller Angst oder eine Nacht einsamen Trinkens. Der dunkelste Punkt aber scheint überwunden.
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