Neues Album von Meese X Hell: Proletmürb mit Mami und Hell
DJ Hell hat gemeinsam mit dem bildenden Künstler Jonathan Meese ein Album aufgenommen. „Gesamtklärwerk Deutschland“ soll eine Ode an Kraftwerk sein.
Vor ein paar Monaten erzählte mir ein Freund begeistert beim Essen, er habe gehört, der Musiker Helmut Josef Geier alias DJ Hell würde Gespräche fast ausschließlich mit drei Phrasen bestreiten, da eine von ihnen immer funktionieren würde. Diese lauteten „Zu Recht“, „Da hab ich ein gutes Gefühl“ und „Ich versteh’ die Frage nicht“. Wo genau er das herhatte, wusste er nicht mehr. Es war auch egal, wir lachten alle herzlich, irgendjemand nannte die Taktik „genial“.
Nun hat besagter DJ Hell ein neues Album veröffentlicht – zusammen mit dem bildenden Provokationskünstler Jonathan Meese, der für seinen humorigen Umgang mit Faschosymbolen, Kuscheltieren, Adidas-Jogginganzügen, hitleriger Kunstsprache und seiner Mutter bekannt ist.
„Gesamtklärwerk Deutschland“ heißt das gute Stück, das die Süddeutsche dann prompt als „sensationelle Hymne, eine Hommage an die Kunst“ in den Himmel hob.
Auch anderswo überschlägt sich das Feuilleton mit Lob, wie sonst nur auf den voll geblurpten Plakaten internationaler Showevents. Fragt man nichtschreibende Menschen nach ihrer Meinung zu den soeben releasten sieben Tracks, sagen die meisten schlicht: „Geil.“
Meese X Hell: „Gesamtklärwerk Deutschland“ (Buback/Indigo)
Dabei ist es schon die zweite Kooperation der beiden Herren, deren Debütalbum, „Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst“ schon vor vier Jahren bei Buback erschienen ist und damals überraschend leicht und poppig daherkam, trotz lautem „Kunst ist Chef“-Getöse und düsteren, peitschenden Beats.
Fiepender Retrosound
Auf „Gesamtklärwerk Deutschland“ ist alles anders und bleibt doch gleich. Eine Ode an Kraftwerk soll es diesmal sein, da darf der Sound natürlich ein bisschen retro klingen. Wummernde Bässe und viel Vocoderstimme, fiepende Robotersounds aus einer Zeit, in der man noch dachte, Roboter würden irgendwann allen die Arbeit abnehmen und dabei blecherne Geräusche machen.
Auch das Cover ist in verblichene Farben getaucht, ein alles überragender Pylon als gigantische Verneigung in Richtung der Düsseldorfer Elektronikpioniere darf nicht fehlen. Gestaltet hat es der Maler Daniel Richter, ein sogenannter Erzfreundaddy von Meese. Vor dem Pylon finden sich Nadelwald und brutalistische Klärwerksarchitektur, das Ganze nimmt natürlich einen „evidenten Bezug zum ambivalenten Deutschlandbild“, das der Künstler Jonathan Meese auf dem Album ausmalt, so behauptet es zumindest der Waschzettel.
Über den mürben Klängen deutschtümelt Jonathan Meese, was das Zeug hält, aber nicht wie im bayerischen Bierzelt, sondern so, wie man es in Berlin-Mitte macht. „Ich bin Kunstdeutsch, ich bin Deutschkunst, Deutsche rein, Deutsche raus“, heißt es etwa mit großer Dringlichkeit beim Track „Gesamtkunstwerk Deutschland“; sein Titel ist übrigens eine Wortkombination, die Meese seit Jahren nicht müde wird zu wiederholen, und bei Weitem nicht das einzige sich bekannt anfühlende Element in dieser energischen Mischung unterer Hochkultur. Oder, um es wie Meese zu sagen, höherer Unterkultur?
Zwischen Original und Fälschung
Zu Selbstreferenzen und genannten Anlehnungen gesellen sich im Verlauf des Albums marschierende DAF-Beats und die fragile Stimme von Brigitte „Mami“ Meese, der Mutter des Malers. „Hallo, hallo lieber Freund, ich bin müde, du auch?“, fragt sie mit sonorer Stimme, und man möchte meinen, zu Recht. Das Album an einem Stück zu hören, ist erschöpfend, zu sehr mäandert die Musik zwischen dem Original (Kraftwerk) und der richtigen Fälschung (Fraktus). Zu evident ist der ambivalente Bezug der beiden Künstler zur Selbstironie, die man ihnen einfach nicht abnehmen will.
„Wir müssen die Prolls der Kunst werden“, forderte Meese vor ein paar Jahren in seinem Stück „Monosau“ an der Berliner Volksbühne. Mit „Gesamtklärwerk Deutschland“ haben es Meese X Hell nun wirklich geschafft.
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