Neues Album von Mary Ocher: Diese Frau regiert

Mary Ocher wirbelt die Pop-Ikonografie durcheinander. Auf ihrem neuen Album „Your Government“ wird sie von zwei Schlagzeugern unterstützt.

Mary Ocher bei einem Auftritt

Königin des subkulturellen Vibrato: Mary Ocher. Foto: Frank Nagel

Mary Ocher kommt von überall her und sie ist alles, was sie in ihrer Weltläufigkeit gestreift hat. In Moskau geboren, in einem israelischen Kibbuz aufgewachsen, seit einer Weile in Berlin, aber eigentlich immer unterwegs auf Reisen, ist die 29-jährige Musikerin mal Schamanin, mal Prophetin, oder auch exzentrischer Teen mit blauem Lippenstift und übergroßer Brille. Als Künstlerin besitzt sie eine Schrulligkeit, wie man sie vom seltsamen US-Folk kennt. Ähnlich der wunderbar markig singenden Joanna Newsom setzt auch Ocher ihre Stimme eigenwillig ein, ähnlich dem US-Freakbrother Devendra Banhart präsentiert sich die Ocher stets kauzig.

Ocher zitiert, kopiert und bringt Style, Sounds und Texte zu einer eigenständigen Melange zusammen. Auf ihrem Album „War Songs“ (2010) schwankt sie zwischen Banjo-Country und jenem schrammeligen Punk des Songs “Six dead white men“, in dessen Refrain sie trällernd die Kritik an der Machtposition des toten weißen Mannes in den Wissenschaften in ein Narrativ eines Spätwesterns verpackt: „Six men on the run / Six dead white men“, singt sie, „if you want to die / This could be your lucky day, son.“

Im Jahr 2013, demselben Jahr, als sie mit ihrem zweiten Album „Eden“ Protestsongs und Musicalballaden zitiert, veröffentlicht Mary Ocher mit “I Human“ einen veritablen Popsong. Partyhit mit Achtzigerjahre-Anleihen und Emanzipationsaufruf zugleich. Wie sehr sie sich auch wandelt, bei den Genres wie in einem Selbstbedienungsladen zugreift und dabei die Pop-Ikonografie durcheinanderwirbelt, Mary Ochers Gesang bleibt dabei immer eine feste Größe. Virtuos bebt ihre Stimme, dehnt sich, springt und trällert, bis ihre Schwingungen plastisch vor Augen erscheinen.

Nun also bringt die Königin des subkulturellen Vibrato unter dem Titel “Your Government“ ein neues Album heraus. Doch ihr Gesang hat starke Widersacher. Jeder der 14 Songs wurde mit zwei Schlagzeugern eingespielt. Mit ihnen gemeinsam hat sie die Kompositionen entwickelt. Auf dem Album werden die Musiker, die hinter dem Double-Drum-Kit stecken, nicht genannt, dafür haben sie einen Namen: „Your Government“ – „Deine Regierung“.

Ein schöner rhetorischer Kniff ist dieses „Your“, zwischen Zueignung und Aufzwingung schwankend. Eine Regierung für dich – also für mich, euch, uns, Sie, für alle. Mary Ocher hat den Gedanken, den Drums die höchste Autorität zu geben, in ihrem Album radikal durchgezogen. „Mary Ocher + Your Government” ist vor allem Rhythmus. Hier geht es um Beats und den knallharten Sound von Schlagzeug. Ochers Signaturinstrumente – Gitarre und Keyboard – rücken dafür in den Hintergrund, tauchen in manch einem Song gar nicht mehr auf. Auch die Melodie spielt nur eine Nebenrolle und damit gibt es auch weniger von Ochers kapriziösem Gesang.

Die Stimme als Percussioninstrument

„A new language that you speak“, singt sie scheinbar programmatisch im zweiten Song, „Reveals the features on your face / We are more capable of change / More capable than you think.“ Die Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme führt sie gleich zu Beginn des Albums vor: Sie singt nicht, sie quäkt, ruft, bellt, und wirft Töne fast mit Schnappatmung aus. Ihre sonst so virtuose Stimme wird zum pointierten Percussioninstrument.

Mary Ocher & Your Government: „Your Government“ (Klangbad/Broken Silence), live: 22. Januar: Karlsruhe, Carambolage, 23. Januar: Basel, Zum Goldenen Fass

Zwei Schlagzeuger, das ist eine alte Geschichte: Siehe auch Grateful Dead, Frank Zappa und Tortoise, um nur drei Vertreter zu nennen, die die Drums in zweifacher Ausführung einsetzen. Die Idee dazu, so verrät Ocher im Gespräch, soll ihr beim Lesen der Autobiografie von Adam Ant gekommen sein. Der britische Künstler, mit bürgerlichem Namen Stuart Leslie Goddard, war Frontman der Punk- und New Romantic-Band Adam and the Ants. In den Achtzigern erreichten die Ants ihren trotzigen, treibenden Sound mit zwei Drums, die sie mal gedoppelt und mal einander ergänzend einsetzen.

„DreamX3“ ist der Song auf Ochers Album, bei dem das ganze Volumen des doppelten Drum-Kits hervortritt. Ein einfacher, schneller Beat, der zu wirbelnden Sequenzen aufbraust. Synchron werden die Schlagzeuge bedient: Zweimal Snare-Drum, zweimal Bass-Drum, zweimal die Toms. Das ist fett.

Krasse Zackigkeit

Diesem dick aufgetragenen Beatgerüst fügt Mary Ocher keine Harmonien zu, sondern setzt ihm sphärische Synthies entgegen. Wabernd changieren sie zwischen tiefer und hoher Tonlage. Krasse Zackigkeit versus ungreifbare Umschmeichelung. Dazu singt sie auf ihre Art: Sie springt mit Leichtigkeit zwischen den Tonleitern, verweilt beim höchsten Ton und dehnt ihn mit einem derben Vibrato aus. Im Videoclip zu „Dream X3“ zeigt sich Mary Ocher als majestätische Waldhexe. Zärtlich nestelt sie an ein paar Grashalmen. Ihre herrschaftliche Insignienkrone und ihr Brustschild sind aus Silberfolie und Edding zusammengeschustert.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Mary Ocher kommt von überall her und zitiert mit einer charmanten Melange aus Trash, Dilettantismus und hoher Musikalität, was sie auf ihren Lebensstationen findet. Seit ein paar Jahren ist Berlin ihr Lebensmittelpunkt. Und der Sound der Stadt schimmert auch auf dem Album durch, wenn im Finale plötzlich der „Potsdamer Platz“ und die „Nürnberger Straße“ in die englischen Lyrics rollen.

Auf einem zittrigen Akustikbeat – nur Snare und Hi-Hat – den sie mit minimalen Synthieeffekten umwebt, singt sie schließlich „A man lost in time near KaDeWe“. Ihr Song ist eine gelungene Coverversion von David Bowies „Where are we now“ aus dem Jahr 2013: Bowies Hymne auf Berlin, von Mary Ocher als trockene Drumadaption neu interpretiert. Ein trauriger, ein schöner Zufall.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.