Neues Album von Camilo Lara: Ode an den Distrito Federal
„D.F.“, das neue Album von Camilo Laras Soloprojekt Mexican Institute of Sound, ist eine Liebeserklärung an die mexikanische Hauptstadt.
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Bei dem Namen stellt man sich eine gläserne Eingangshalle mit Portier und moderne, lichtdurchflutete Büros vor. Das Mexican Institute of Sound (MIS) ist aber lediglich ein Einmannbetrieb, hinter dem der Produzent und Musiker Camilo Lara steckt.
Der Mittvierziger versorgt uns mittlerweile schon gute 15 Jahre mit überdrehten bass-schweren Pop-Collagen, für die Lara regelmäßig Versatzstücke der mexikanischen Populärkultur verarbeitet. Das hat ihm auch den Titel „Sampling Sommelier“ eingebracht. Bei seinem lexikalischen musikalischen Wissen ist die Bezeichnung Sound-Institut also gar nicht mal so hochtrabend.
Das Mexican Institute of Sound ist so etwas wie Laras lebenslanges Herzensprojekt. Jetzt legt er mit „D.F.“ sein sechstes MIS-Studio-Album vor – eine Liebeserklärung an seine Heimat, den früher auch Distrito Federal (D.F.) genannten Großraum der Hauptstadt Mexikos. Von den Azteken auf Seen errichtet, ist die Cuidad de México heute eine vibrierende Metropole mit über 20 Millionen Einwohnern.
Eröffnet wird die Platte mit dem Chorus-gefüllten Song „Se compran“, in dem Lara mit seinem lakonischen Sprechgesang die Straßenverkäufer der Stadt preist, die lautstark für „Matratzen, Tambores, Kühlschränke“ werben.
Tanz das Gegenmittel
In „La Luna de Noviembre“ besingt Lara leise die Schönheit des Novembermonds, während der Cumbia „Dios“ Laras Vorliebe für mexikanisches Streetfood auf den Punkt bringt: „Sollte ich Gott treffen, würde ich ihn um Quesadillas bitten“. Der Song „El Antídoto“ beginnt dann in typischer MIS-Manier mit einem stolpernden Intro, bevor Bässe tief brummen und die Kolumbianerin La Perla „tanz´ das Gegenmittel“ rappt – was vielleicht nach rettendem Impfstoff klingt, aber doch nur eine Aufforderung ist, sich den „mythischen Klängen“ hinzugeben, „die dich heilen werden“.
Weitere Gäste auf dem Album sind Dan The Automator von den Gorillaz, die Rapperin BIA und Graham Coxon von Blur. Ein Höhepunkt ist das von „Black Lives Matter“-inspirierte, mantraartige „My America Is Not Your America“, in dem Lara zu Coxons Gitarrenriffs den Kontinent Amerika bewusst von den USA abgrenzt.
Seit seinen ersten Mixtapes bastelt Lara Collagen auf Grundlage von Breakbeats, Mariachi-Bläsern und trippigen Bässen. Dazu kommen ironisch gebrochene Texte, Samples aus dem reichhaltigen Fundus mexikanischer Herzschmerz-Musik und Kitschfilmen der 1950er Jahre, Pauken und Trompeten – und manchmal auch ein Zitat des Schriftstellers Juan Rulfo („Sie und ich, wir alle wissen, dass die Zeit schwerer wiegt als das, was ein Mensch ertragen kann“).
Mexican Institute of Sound: „D.F.“ (Soy Sauce/Bandcamp)
2012 gelang Lara dann mit dem Album „Político“ der große Wurf: Der Song „México“ über ein Land im Strudel von Gewalt und Korruption wurde mit seinem stampfenden Cumbia-Beat zur Hymne einer Protestgeneration – und die Nationalfarben umgedeutet: „México, México, ra, ra, ra – Grün wie Marihuana / Weiß wie Kokain / Rot dein Blut.“
Der letzte Drink
Daneben ist Lara ständig in Projekte eingebunden, welche die Granden der mexikanischen Musik würdigen. So war er am Tribut-Album „Un mundo raro“ (2017) für José Alfredo Jiménez beteiligt – jenen legendären Ranchero-Sänger („El último trago“, „Der letzte Drink“), mit dem gemeinsam sich die großartige Diva Chavela Vargas fast zu Tode gesoffen hätte (am Ende erwischte es aber Jiménez mit nur 47 Jahren zuerst, während Vargas in hohem Alter noch späten Erfolg feierte). Kurz darauf produzierte Lara das Album „Esto Si Es Cumbia“ der Cumbia Sonidera-Band Los Ángeles Azules – eine der erfolgreichsten mexikanischen Platten der letzten 25 Jahre.
Vor Kooperationen mit großen Namen und Unternehmen schreckt Camilo Lara ohnehin nicht zurück. Schon 2015 ging er mit Toy Selectah ins Studio, dem Mix-Master des in der ganzen Welt „Ghetto-Tech“-Sounds wildernden US-Produzenten Diplo. Ihr Album „Compass“ nahmen beide in den Studios des Getränkeherstellers Red Bull in New York, London, Mexico-Stadt, São Paulo und L.A. auf.
Danach wurde Lara musikalischer Berater für den Disney-Pixar-Blockbuster „Coco“ (2018), einen Trickfilm um den „Día de los Muertos“, den Tag der Toten, an dessen Oscar-prämierten Song „Remember Me“ Lara mitgetüftelt hat.
Die neue MIS-Platte „D.F.“ ist sperriger und weniger tanzbar als ihr Vorgänger „Disco Popular“ (2017). Vielleicht hat das auch mit der (dem Alter geschuldeten?) Nostalgie zu tun, mit der er auf die Veränderungen in Mexiko-Stadt blickt – im Viertel Roma etwa, von Regisseur Alfonso Cuarón im gleichnamigen Film verewigt, wo auch Lara lebt und das eine ähnliche Aufwertung wie der Prenzlauer Berg in Berlin erfahren hat.
In Interviews betont Camilo Lara jedenfalls, Mexiko-Stadt bleibe für ihn für immer und ewig D.F., der Distrito Federal seiner Jugend, auch wenn sie längst umbenannt wurde. Das neue, modische Kürzel CDMX für die Ciudad de México komme ihm nicht über die Lippen.
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