Neues Album der Melvins: Klärendes Kotzen
Sludge mal schön: Die US-Krachband Melvins zündet mit dem Album „Thunderball“ einen Urknall in Superzeitlupe.
Es ist immer wieder faszinierend zu hören, wie die musikalische Avantgarde von einst sich über die Jahre in Orte des Bekannten und Vertrauten verwandelt. Und ambivalent, weil man als Hörer:In mit der Musik altert, und die Wahrnehmung von ihr nimmt denselben Verlauf wie das eigene Verhältnis zur Welt: Aus „Krass, so etwas hab ich ja noch nie gehört“ wird „Ah, wie schön!“.
Die US-Sludgerockband Melvins ist inzwischen bei Album Nummer 28 angekommen. „Thunderball“ schließt an die Vorgänger „Tarantula“ (2024) und „Bad Moon Rising“ (2022) an, klingt aber weniger borstig und bollerig, stattdessen ziemlich melodiös. Der Auftaktsong „King of Rome“ wechselt zwischen Kratzgitarre und einem geradezu expressiven Refrain hin und her. Was schon auffällt, weil die Musik der Melvins auch live bei allem Krach betont distanziert und ironisch bleibt.
Mit „Vomit of Clarity“ schiebt die Band ein Seltsam-Ambient-Intermezzo ein, auf dem der Beitrag der Experimental/Noise-Künstler Void Manes und Ni Maîtres, die das Duo für dieses Album zum Quartett haben werden lassen, am deutlichsten zu hören ist. Es folgen zehn Minuten Zeitlupen-Hardrock, der so auf eigentlich jedem Album hätte kommen können, 2025 oder 1998.
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Melvins „Thunderball“ bei Bandcamp

Und vielleicht auch schon 1983, dem Jahr, als die Band als dekonstruktives Abrissunternehmen im pazifischen Nordwesten der USA loslegte. Popkritiker Martin Büsser erinnerte sich in seinem 1998 erschienenen Buch „Antipop“ an eine Epiphanie beim Besuch eines Melvins-Konzerts in der Provinz, sieben Jahre zuvor.
Melvins: „Thunderball“ (Ipecac/Rough Trade)
Langsamer als Saint Vitus und lauter als die Swans haben sie geklungen. Und diese Verlangsamung sei als „Gefühlsdemontage“ zu verstehen, die nicht weniger als ein Zeitalter beendet hätte, nämlich das der herkömmlichen Rockmusik: „Das Gedonner in dieser Nacht war bereits ein Fanal auf ihren Untergang.“
Pop ist beharrlich
Büsser beschreibt in der Folge das, was er als Scheitern der Band sieht. Die pure Reduktion ihrer Musik sei in einen indifferent-postmodernen Ansatz und damit in Beliebigkeit überführt worden. Und natürlich, alles geht weiter, Rock in seinen verschiedenen Subgenres dann doch. „Pop ist beharrlich.“ Damals, 1998, konnte ein „Zeitalter“ im Pop trotzdem noch halbwegs plausibel für passé erklärt werden. Heute herrscht der Eindruck vor, dass eigentlich gar nichts verschwindet, sondern jedes Subgenre bleibt, jede Spielart in ihrer Mininische immer weiterläuft.
Platz hat vieles im großen Schweineherz der Melvins. 2021 spielte man die bandeigenen Noise-Klassiker mit Akustikgitarre nochmals neu ein, 2018 erblickte eine betont sinnlose Coverversion von „I Want to Hold Your Hand“ das Licht der Welt. Gerade ist offensichtlich das Beharren auf den eigenen Routinen wichtig. Und der Rückgriff auf die Anfänge: Zurzeit bestehen die Melvins aus den beiden Gründungsmitgliedern Buzz „King Buzzo“ Osborne und Matt Dillard, dem Ur-Schlagzeuger im Gründungsjahr 1983.
Zurück zum Album. Die zweite Hälfte von „Thunderball“ ist gleichsam formvollendet, aber weniger traditionell. Der mehrteilige Song „Victory of the Pyramids“ beginnt geradezu beschwingt und stürzt dann in etwas Zähflüssiges, mit Ozzy-Osbourne-Gejohle, um sich am Ende aufzulösen. „Venus Blood“ schließlich ist ein entrückter Doom-Metal-Jam, der daran erinnert, dass man die 28 Melvins-Alben auch nach verschiedenen Graden von Verpilztheit sortieren könnte, ohne dass die Band was betont Psychedelisches hätte. Dazu ist das alles zu streng.
Dekonstruieren wollen die Melvins auch in der Besetzung von 1983 auf „Thunderball“ nichts mehr, beenden schon gar nicht. Im Gegenteil, die fünf langen Songs zeugen von dem Willen, mit dem, was man in 40 Jahren Bandgeschichte alles so entwickelt hat, weiterzumachen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Und also für immer und ewig idiosynkratischen Sludge in die Welt zu stemmen. Der inzwischen nicht mehr so viel Krach auffährt wie einst und mehr von Black Sabbath als von der Avantgarde hat.
Aber immer hörbar ausschließlich davon bestimmt ist, was der Band gerade so in den Sinn kommt.
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