Neuer Trainer beim FSV Mainz 05: Der Riskierer gewinnt
Jörn Andersen ist Trainer-Nachfolger von Jürgen Klopp in Mainz. Nach dem Sieg gegen Köln steht er mit seinem Team im Achtelfinale des DFB-Pokals.
Als schließlich die Ovationen nicht enden wollten, standen die Fußballer des FSV Mainz 05 etwas ratlos an der Mittellinie herum. Wer sollte auf den Zaun vor der Fankurve klettern und den Vorsänger geben? Ihr ehemaliger Trainer Jürgen Klopp hatte den Part des Einpeitschers und Mutzusprechers nach glorreichen Erfolgen und bitteren Niederlagen ja immer wieder mal selbst übernommen. Aber Klopp ist ja jetzt in der Dortmunder Gefühlsachterbahn unterwegs. Also schwang sich endlich Milorad Pekovic auf das Gezänge und gab den Humba-täterä-Mann.
Kraft hatte der Mittelfeldspieler aus Montenegro ja noch, er wurde erst in der 69. Minute eingewechselt. Und nur 10 Minuten später drosch Pekovic aus 22 Metern den Ball zum 3:1-Endstand ins Netz. Zweitligist Mainz 05 steht im Achtelfinale des DFB-Pokals und Erstligist 1. FC Köln nach der erneuten Pleite vor der Frage, ob sein Kader tatsächlich erstligatauglich ist.
Es hat zwar kein Mainzer nach dem Spiel gesagt, aber natürlich war der Sieg gegen den Rivalen aus dem Rheinland für die Rheinhessen eine Genugtuung. Die Kölner schnappten ihnen am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison den Aufstieg vor der Nase weg. Pekovic war damals dabei, der Antreiber im defensiven Mittelfeld war jahrelang Stammspieler. "Klar ist es nicht einfach, gute Spieler wie Peko draußen zu lassen", sagt der neue Trainer Jörn Andersen, "aber der Peko ist ein Vollprofi." Als solcher hat er einer lokalen Zeitung letzte Woche im Interview gesagt: "Es ist egal, wer spielt, Hauptsache, die Mannschaft gewinnt".
Andersen hat diese Steilvorlage genutzt und diesen Satz als Leitspruch in die Kabine gehängt. Den inneren Frieden zu bewahren, wird eine der Hauptaufgaben des Trainers sein. Selbst in den drei Jahren in der ersten Liga verfügten die Mainzer nicht über einen so breiten und starken Kader. Und bislang harmoniert er prächtig: In der Liga stehen die Nullfünfer ungeschlagen auf Rang drei. Und mit dem Sieg gegen vor allem im Mittelfeld ganz schwache Kölner ist der Start Andersens in der Mainzer Post-Klopp-Ära endgültig gelungen.
Der Schatten von Lichtgestalt Jürgen Klopp ist erst mal kleiner geworden. Der Norweger Jörn Andersen ist ein ehrgeiziger Mann, der sich in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt sieht. Ein knapp verpasster Bundesligaaufstieg mit Rot-Weiß Oberhausen ist der bislang größte messbare Erfolg seiner Trainer-Vita, im Sommer kam er vom Zweitligaabsteiger Offenbach. Einen Namen hat er sich aber dennoch gemacht, als klar strukturierter Entwickler, dessen Mannschaften über die Außenbahnen kommend den Erfolg im offensiv ausgerichteten 4-4-2-System suchen. "Man muss viel risikieren, aber hinten auch gut stehen. Mittlerweile stimmt die Balance", sagt der ehemalige Torjäger von Eintracht Frankfurt.
Der autoritäre Risikierer profitiert bislang davon, dass seine personellen Neuerungen greifen. Besonders Mittelstürmer Aristide Bancé hebt das Niveau. "Einen Typ Drogba" nennt Andersen Bancé und meint: "Solche Spieler wie ihn gibt es in Deutschland nicht oft." Mit seinen 1,92 Metern und 90 Kilogramm ist der Mann mit den gelben Haaren, der einst aus der unruhigen Elfenbeinküste floh und nun Nationalspieler Burkina Fasos ist, ein kaum auszuschaltender Anspielpunkt, ein geschickter Ballverteiler und zudem ein gefährlicher Vollstrecker. Und disziplinierter ist er auch geworden, nachdem er zuletzt in Offenbach zweimal übermotiviert die Rote Karte gesehen hatte. Förderer Andersen hat ihm eindinglich ins Gewissen geredet. Am Dienstag köpfte Bance das 1:0 und rannte sofort Andersen in die Arme.
Aber auch andere Zugänge wie Innenverteidiger Bungert (Kickers Offenbach), Linksverteidiger van der Heyden (VfL Wolfsburg) und Heller (Erzgebirge Aue) verstärken das Team. Und langjährige Mainzer Spieler blühen plötzlich auf neuen Positionen auf. Feulner und Karhan gibt die Versetzung ins zentrale Mittelfeld einen deutlichen Leistungsschub, unter Klopp durften beide nur auf den Außenbahnen ran.
Andersen kannte das Risiko, das er mit seiner Unterschrift in Mainz eingegangen ist. "Hätten wir zu Beginn drei Spiele verloren, hätten mich alle in Frage gestellt", sagt der Klopp-Nachfolger. So ist es nicht gekommen, schlecht geschlafen hat Andersen vor dem Köln-Spiel aber dennoch. Lange, sagte er, habe er mit sich gerungen, wen er aufstellen soll. Es gibt Trainer, die schlafen wegen ganz anderer Dinge schlecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben