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Neuer Roman von Adam AndrusierLeidenschaft und Lebensangst

Adam Andrusiers schöner Roman „Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn“ handelt von Autogrammjägern. Und von einer modernen jüdischen Familie.

Nein, nicht die Echte: Ana de Armas als Marilyn Monroe Foto: Netflix via AP

Er sei ja ein entschiedener Gegner des Schreibens von Autogrammen gewesen, berichtet der ehemalige Fußballprofi Ewald Lienen in seiner Autobiografie. Hätten ihn jugendliche Fans um seine Unterschrift gebeten, habe er stattdessen einen aufklärenden „Dialog“ vom Zaun gebrochen: „Das, was ich tue, ist doch nicht wichtiger als das, was deine Lehrer, euer Bäcker oder dein Nachbar tun. Fragst du die auch nach einer Unterschrift?“ Kommt wohl auf den Nachbarn an.

Würden alle Prominenten dieser Welt Lie­nens kategorische Haltung teilen, gäbe es Adam Andrusiers entzückendes Buch „Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn“ nicht, worin der 1981 geborene Brite schildert, wie er nach gescheiterter Pianistenkarriere zuerst Autogramm- und schließlich – als Reaktion auf einen zunehmenden „Vorbehalt gegen die Mechanismen der Sammelleidenschaft“ von Autogrammjägern – ein so renommierter Autografenhändler wurde, dass Zadie Smith ihn zum Protagonisten eines Romans machte.

In Andrusiers Debüt erfährt man interessante Dinge über die Gepflogenheiten im Autogrammhandel: über die Frage, wie man an Adressen kommt (wird es funktionieren, an „Frank Sinatra, USA“, zu schreiben?), über Messen, auf denen getauscht wird, und über Extremsammler, die sich zum Beispiel auf die Signaturen von Serienmördern spezialisiert haben, vor allem aber darüber, wie unterschiedlich Stars mit dem lästigen Schreiben und Verschicken von Autogrammen umgehen.

Von klein auf hat Adam Andrusier schöne und bittere Erfahrungen mit dem Sammeln von Autogrammen gemacht – und nicht nur die nötigen Kompetenzen erworben, um das Echte vom Falschen zu unterscheiden und so zum erfolgreichen Händler zu werden, sondern auch den „Wert der Wahrheit“ zu erkennen.

Der Roman

Adam Andrusier: „Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn“. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Unionsverlag, Zürich 2023, 309 Seiten, 24 Euro

Das alles ist sehr unterhaltsam und erstaunlich, vor allem ist es sehr geschickt, wie Andrusier die Stationen seiner Lebensgeschichte mit einzelnen Anekdoten zu den Erfahrungen und zum Teil persönlichen Begegnungen mit Prominenten verknüpft, von Sinatra über ­Miles Davis und Boris Jelzin bis zu Monica Lewinsky. Und es ist doch nur Erzählanlass und -oberfläche.

Skurrile Macken

Denn eigentlich geht es Andrusier darum, die Geschichte einer modernen jüdischen Familie in der britischen Diaspora zu schildern, vor allem den Vater, einen erfolgreichen Londoner Finanzberater mit diversen skurrilen Macken: harmlos, dass er es ist, der den Sohn auf den Pfad des Autogrammsammelns führt, schon bedenklich sein Hang zum ständigen Fotografieren der Familienmitglieder, deren Gesichter er dann mit den Körpern berühmter Persönlichkeiten montiert.

Gänzlich neurotisch sein eigentliches „Hobby“: das Sammeln von Postkarten europäischer Synagogen, die von den Deutschen zerstört wurden. Während die Großeltern seiner Frau ermordet wurden, kam niemand seiner Vorfahren zu Schaden, waren sie doch rechtzeitig nach England emi­griert. Und doch sind seine manischen Fixierungen auf den Nationalsozialismus als traumatische Reaktionen, vielleicht Kompensa­tio­nen von Lebensängsten, lesbar. Die Familie wird an diesen extremen Manien zerbrechen.

Andrusier schildert diese Geschichte mit einem Humor, der in seiner (Selbst)-Ironie und Schwärze Elemente dessen aufweist, was als „jüdischer Humor“ gilt. Sehr Trauriges und sehr Komisches geht dabei auf beglückende Weise eine Symbiose ein.

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1 Kommentar

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  • Sie schreiben Andrusier sei 1981 geboren und wurde nach gescheiterter Pianistenkarriere Autogrammsammler usw. usf. Danach soll er Miles Davis getroffen haben - schreiben Sie. Letztere ging alleridings 1991 bereits von uns und demnach müsste Andrusier mit nicht mal 10 sowohl gescheitertet Pianist als auch darob gewordneer Autogrammsammler... Ich weiß wohl, Pianistenkarriren zuweilen sehr früh scheitern - meine zum Beispiel schon bevor ich auf einem Tasteninstrument klimpern durfte. Dann sind sie allerdings kein so prominenter Teil eines Lebenslaufs. Kurzum, an der Erzählung hier ist was krumm. Entweder liegt es an der Vermischung von Autor und Erzähler oder daran, dass Ersterer 1974 geboren ist (wie sein Verlag verrät). Das ist immernoch knapp für scheitern usw. aber die talentierten unter uns scheitern ja vielleicht besser und schneller...