Neuer Quelle-Katalog: Das Ende eines Bestsellers
Gerade werden über 100.000 Exemplare des Quelle-Katalogs ausgeliefert. Allein die Druckkosten sollen um die 25 Millionen Euro liegen. Dabei ist das Werk längst überholt.
Es ist ein adrettes Motiv für ein Cover: Eine Familie schlendert über den Strand. Eines der blonden Kinder hält einen Drachen in der Hand. Sieht aus wie eines von den tausenden, die der Mode und unserem unbeständigem Wetter entsprechend am Strand von Kapstadt geschossen werden. Bis auf die versandeten Füße eine smarte, proppere Familie bei der alles stimmt.
Dieses Bild ziert nicht das Cover von Eltern oder gar Nido, sondern den Quelle Katalog Frühjahr/Sommer 2009. Vom Nachfolger werden nun über 100.000 Stück verteilt werden - trotz der desaströsen finanziellen Lage des Versandhauses und seiner ungewissen Zukunft. Wer den neuen Katalog bekommt, sollte sich Zeit nehmen, um ein letztes Mal darüber schauen. In der Zeitungsrolle nämlich liegt ein Stück Vergangenheit.
Man kennt das Phänomen. Die Kunden kommen ins Geschäft, lassen sich beraten und anschließend kaufen sie online das, was sich angesehen haben. Weil es günstiger ist, oder eben Gewohnheit geworden ist. Auch der Katalog des Versandhauses Quelle scheint diesem Phänomen zum Opfer zu fallen. Denn obwohl auf fast jeder zweiten Seite der Broschüre angegeben wird, dass man die Waren auch auf www.quelle.de bestellen kann, haben sich die Konsumenten abgewendet.
So geht es Quelle wie der Enzyklopädie Brockhaus: Dieses Geschäftsmodell hat sich überlebt. Der Brockhaus wird nicht mehr neu aufgelegt, der Quelle-Katalog eher auch nicht. Im Jahr 2000 sagte der damalige Vertriebsvorstand Mirko Meyer-Schönherr "Wir wollen Quelle zu einer E-Commerce-Company machen." Geklappt hat das offenbar nicht. Zu sehr lebte der Mythos Quelle von dem Gefühl seiner Kunden, durch ihn die materielle Ausstattung für ein bürgerliches Leben auf einmal in der Hand halten zu können. Doch die Wünsche des heutigen Bürgertums werden nun eher vom Manufaktum-Katalog geprägt. Der Quelle-Katalog hingegen wird in den ersten Wochen nach seinem Erscheinen als Magazin benutzt, als Informationsquelle, nicht als Laufzettel.
Tatsächlich kann der Katalog dem Leser eine schöne halbe Stunde bescheren, ist er doch von der Umkehrung des Prinzips geprägt, dass die Pflicht vor dem Vergnügen kommen müsse. Aus dem ersten Buchdrittel braucht man nichts dringend, hier kein Kleid, kein T-Shirt und kein Paar Schuhe. Das alles ist nur zum Spaß hier. Das, was eine fundiertere Entscheidungsfindung voraussetzt, gar partnerschaftlich beschlossen werden sollte, folgt später. Heimverschönernde Gegestände wie WC-Vorlagen in Pflaume mag man noch allein bestellen, über die Schiebevorhänge mit Bambusmotiv wird man den Partner zu Rate ziehen. Sicher auch wenn es darum geht, ob es die Sitzgruppe mit der darin lungernden Blondine sein soll oder doch die Wohnwand in Eiche mit dem Golden Retriever davor. Das nervigste kommt ganz zum Schluß: Elektro- und Haushaltsgeräte. Und je weiter man blättert, desto weniger Menschen sind zu sehen - nur Übrigbleibsel ihrer letzten Tätigkeit, wie eine achtlos hingeworfene Puderquaste auf der Tagesdecke mit Kellerfalte oder die Fertigpizza, die im Edelstahlofen für 799,90 Euro backt.
Trotz der angenehmen Aufteilung wirkt der dicke Katalog mit den hauchdünnen Seiten gestrig, ist eben nichts für eine Gesellschaft in der die Größe von Handys und Computern schrumpft, in der es gilt, alles mit sich herum schleppen zu können. Auch die Zeit, die er dem Verbraucher bietet, stellt ein Problem für das Unternehmen dar. Weshalb heute die Miederhose bestellen, wenn man es noch morgen tun kann? Das Einkaufs-TV drängt den Konsumenten und droht, bald schon könne alles ausverkauft sein. Der statische Katalog passt heute so wenig zur Taktung des Lebens wie der fertig gesaumte Bogenstores in ihm.
Da wirkt es luxoriös, wenn die Jeans nicht nur in weiß am Hintern des Modells abgebildet wird, sondern die anderen Farben noch im kleinen Bild dazu. Ein Luxus, der bald verschwinden wird. Aber nicht in dieser Saison.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels