piwik no script img

Neuer Prozess um Oury-Jalloh-FeuertodVerteidigung hofft erneut auf Freispruch

Wie starb Oury Jalloh auf dem Polizeirevier in Dessau? Wer ist dafür verantwortlich? Nach Freispruch im Jahr 2008 wird der Prozess gegen den leitenden Polizisten neu aufgerollt.

Der angeklagte Polizist Andreas S. (li.) und sein Anwalt Attila Teuchtler am 12.01.2011 beim Prozessauftakt. Bild: dpa

Mit Protesten vor dem Landgericht und der Verlesung der Anklageschrift begann am Mittwoch in Magdeburg der zweite Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh. Die Anklageschrift, die Oberstaatsanwalt Christian Preißner verlas, entsprach weitgehend der im ersten Prozess vor dem Landgericht Dessau. Der angeklagte damalige Dienstgruppenleiter des Dessauer Polizeireviers, Andreas S., soll rechtzeitige Hilfeleistung unterlassen und so Jallohs Tod mitverschuldet haben. Dessen Freunde, die vor dem Gerichtsgebäude ein Zelt aufgebaut hatten, erwarten eine Klärung der offenen Fragen; die Verteidigung hofft erneut auf Freispruch.

Nach bisherigem Erkenntnisstand war der Mann aus Sierra Leone am 7. Januar 2005 betrunken in das Polizeirevier eingeliefert worden. Frauen, die er nur nach einem Telefon gefragt haben soll, hatten die Polizei gerufen. Weil er sich wehrte, wurde Jalloh mit gefesselten Händen und Füßen in eine Zelle gesperrt. Etwa zweieinhalb Stunden später schlug der Rauchmelder Alarm. Maßgeblich für die Schuldfrage ist die Tatsache, dass der Dienstgruppenleiter dies zweimal ignorierte und erst nach Aufforderung einer Kollegin die Zelle aufsuchte. Da war es bereits zu spät.

Nach dem Freispruch Ende 2008 hatte die Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenklage Erfolg. Auf Verlangen des Bundesgerichtshofs wird der Fall neu verhandelt. Der BGH hielt die Beweiswürdigung im ersten Prozess für "lückenhaft" und benannte die ungeklärten Fragen. Beim rätselhaftesten Punkt, wie ein Gefesselter eine feuerfeste Matratze entzündet haben könne, zog der BGH in Betracht, dass dies Jalloh selbst getan haben könnte. Gerade wegen der Fesselung aber hätte der Angeklagte sofort reagieren müssen, monierte der BGH und sprach von einem "Gruppendruck im Kollegenkreis" der Polizisten, der eine Aufklärung verhindert habe.

Für Mutter und Bruder Jallohs als Nebenkläger erwägt deren Anwältin Gabriele Heinecke sogar ein Totschlagsdelikt, wenn S. tödliche Brandfolgen billigend in Kauf genommen hätte. "Es muss ohne Tabus verhandelt werden", sagte sie. Noch weiter geht die "Initiative Oury Jalloh" mit ihrem Slogan "Das war Mord!" Deren Sprecher Komi Ejzro wiederholte am Mittwoch den Verdacht. Genährt wird dieser durch die Verletzungen, die Jalloh schon vor der Verbringung in die Zelle beigebracht worden sein sollen. Die Mord-These sei zunächst eine Gegenthese zur polizeilichen Selbstmordversion gewesen. In ihr kommt aber auch der Frust über den diskriminierenden Umgang mit Flüchtlingen zum Ausdruck. "Ich weiß, wie die uns auseinandernehmen", schilderte Abraham Habtemariam seine Erfahrungen mit der deutschen Polizei. Stiller gab sich Oury Jallohs Freund Mouctar Bah. Er erwarte "Gerechtigkeit und Wahrheit", sagte er, ließ aber keinen Zweifel an seiner Einschätzung des ersten Prozesses: "Richter Steinhoff hat mit unserer Seele gespielt."

Der Angeklagte hat den Prozessbeteiligten eine schriftliche Erklärung zukommen lassen, wird sich aber nicht zur Sache äußern. Sein Verteidiger Hans-Jörg Böger begründete dies mit der längeren Krankheit von S., die wohl psychosomatisch bedingt sei und bereits zur Prozessverschiebung führte. In dichter Terminfolge soll bis Ende Mai verhandelt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • MM
    @ Mika

    Naja, schon.

    So weit, so wahr.

    Jedes Urteil eines Gerichts in Deutschland ist erstmal ein rechtssstaatliches Urteil.

     

    Wenn der BGH aber gute Gründe gesehen hat, die Revision anzunehmen (dass muss er ja nicht, sowas wird auch mal abgelehnt) und die Revisionsverhandlung zu einem anderen ERgebnis kommt, dann sind das genauso einwandfreie rechtsstaatliche Vorgänge.

     

    Wenn er hier also schuldig gesprochen wird, dann ist das auch ein rechtsstaatlicher Schuldspruch. BASTA.

  • M
    Memo

    Ich kann selber bestätigen,dass die Polizisten uns Ausländer nicht gerade sehr fair behandeln.Mir hat mal ein Polizist bei einer Diskussion gesagt,dass Nazis besser sind als wir Ausländer.Die würden weniger Scheiße bauen.Da konnte ich nur noch den Kopf schütteln.Ich möchte nicht den Fehler machen und alle über einen Kamm scheren aber es sind viele die so denken.Dann behaupten sie noch Polizei dein Freund und Helfer. Aber nicht von uns.Ich weiß selbstverstänlich,dass es in anderen Länder noch schlimmere unterwegs sind,noch krasser vorgegangen wird,es gibt genügend Beispiele,

    aber man muss die ja nicht als Beispiel nehmen.Lebt in Frieden.

  • M
    Mika

    Wenn der Freispruch rechtsstaatlich ist, ist er rechtsstaatlich. BASTA (um einen bekannten Wirtschaftsfachmann zu zitieren). Das wäre in jedem anderen Falle ebenfalls so.

  • K
    kopfschüttel

    Willkommen in Absurdistan!

  • FG
    Friedrich Grimm

    Der Vorgang um den Tod dieses jungen Mannes ist an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten. Die Verteidigung, die einen erneuten, einem normal Denkenden unmöglichen, Freispruch erwartet, müsste gleich mit eingesperrt werden.

  • C
    carsten

    das war mord und ein paar monate vorher wurde auf der gLeichenwache ein penner umgebracht beim selben dienstgruppenleiter

    derherrzahltdieirrenzellen

     

     

    der staat schiebt ab