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Neuer Präsident in GeorgienAnnalena Baerbock, bitte mal nach Georgien reisen!

Kommentar von Barbara Oertel

Die Demokratie in Georgien ist akut bedroht. Die deutsche Außenministerin sollte sich für die dortige Zivilgesellschaft einsetzen.

Trotz Protesten vereidigt: Der neue georgische Präsident Micheil Kavelashvili Foto: Reuters/AP

D ie Amtseinführung des neuen georgischen Präsidenten, Micheil Kawelaschwili, als nächsten Akt eines Schmierentheaters zu bezeichnen, ist noch untertrieben. Die Veranstaltung, die am Sonntag im Parlament in Tbilissi über die Bühne ging, spricht allen demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn, auch wenn die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) etwas anderes behauptet.

Die Legitimität der Volksvertretung, die aus den Oktoberwahlen hervorgegangen ist und im Verbund mit Ver­tre­te­r*in­nen der Regionen Kawelaschwili gewählt hat, ist zweifelhaft. Nach wie vor stehen Vorwürfe massiver Wahlfälschung im Raum. Doch der KO ging einfach zur Tagesordnung über. Welch Geistes Kind diese Partei ist, zeigt auch die Begründung, warum am Sonntag keine ausländischen Di­plo­ma­t*in­nen geladen waren: Die Anzahl der Plätze habe nicht gereicht, hieß es.

Offensichtlich scheint die KO-Führungsriege immer noch zu glauben, die Menschen für dumm verkaufen zu können. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung will aber nicht tatenlos zusehen, wie die europäische Zukunft des Landes verspielt wird. Seit November gehen Tausende auf die Straße – eine Reaktion auf die Ankündigung der Regierung, die EU-Beitrittsgespräche auf Eis zu legen. Auch die brutale Polizeigewalt bei Kundgebungen hat daran nichts geändert.

Vor allem junge Ge­or­gie­r*in­nen sind widerständig; sie dürften ihre Proteste fortsetzen. Eine wichtige Rolle – gerade auch moralisch gesehen – dürfte die bisherige Präsidentin Salome Sura­bischwili spielen, die der KO am liebsten mit einem One-Way-Ticket zurück nach Frankreich schicken würde. Durch ihre klare Positionierung für Europa hat sich Surabischwili auch bei Skep­ti­ke­r*in­nen Anerkennung erarbeitet.

Ähnlich entschlossen sollte sich auch der Westen zeigen. Sanktionen gegen KO-Politiker*innen sind richtig, aber es braucht mehr: Solidarität mit der georgischen Zivilgesellschaft. Machen Sie sich auf den Weg nach Tbilissi, Frau Baerbock! Diese Geste wäre wichtig, als vielleicht eine der letzten Amtshandlungen allemal.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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3 Kommentare

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  • Es sind gerade mal 2 Monate bis zur Bundestagswahl. Wieviel Gewicht hat Frau Baerbocks Stimme jetzt noch? Vielleicht fängt gute Politik ja mit Realismus an.

  • Gut, dass hier überhaupt kein (neo)kolonialer Ton angeschlagen wird… „Auf Augenhöhe“ (kein Zitat)… klar, aber natürlich nicht mit einer leicht eigensinnigen Regierung im Hinterhof, sondern mit der dortigen, ähem, Zivilgesellschaft“ und den vielen NGOs, die zwar niemandem in der Bevölkerung helfen, aber munter dabei sind, wenn es um naseweise Belehrungen oder gleich Destabilisierung des öffentlichen Lebens geht. Dass der Einfluss der EU internationale und außerhalb des direkten Wirkungsbereiches eher abnimmt, wird wohl nur von der Berlin-Brüsseler Bürokratenclique wirklich bedauert.

  • Tages-Anzeiger CH



    'Analyse zu Georgien



    Die EU ist mitverantwortlich für den Sieg der Autokraten'



    www.tagesanzeiger....rgien-417906815312