Neuer Ökothriller von Ned Beauman: Profit und Buße
Ned Beauman erzählt mit grimmigem Humor vom Artensterben. Sein neuer Roman „Der Gemeine Lumpfisch“ ist ein ziemlich hochtouriger Ökothriller.
Das jüngst von den Umweltverbänden gefeierte Abkommen zum Schutz der Weltmeere – ob es den „Gemeinen Lumpfisch“ in Neds Beaumans gleichnamigen Roman wohl gefreut hätte? Oder hätte er als intelligentester Fisch auf diesem Planeten so seine Zweifel an der Wirksamkeit gehabt? Die Vermutung liegt nahe, zumal er, zumindest in diesem Werk, als ausgerottet gilt.
Und damit fangen die Probleme von Mark Halyard, seines Zeichens Umweltverträglichkeitskoordinator bei der Brahmasamudram Mining Company, an. Halyard ist Teil der Extinktionsindustrie, die das Aussterben der Arten managt, seitdem die Weltkommission zur Bekämpfung des Artensterbens Zertifikate ausgibt, die auf dem freien Markt gehandelt werden können: „Die Idee war, die Menge an Zertifikaten nach und nach herunterzuschrauben, sodass der Preis steigen würde, bis sie quasi unbezahlbar waren und die Leute einfach nur von ihrem Einfallsreichtum Gebrauch machen mussten, um zu vermeiden, dass Gattungen ausgerottet wurden.“
So weit die von Lobbyverbänden und Konzernen mit Ausnahmen durchlöcherte Theorie, die in der Praxis dafür sorgt, dass Zertifikate günstig zu haben sind und das Artensterben munter weitergeht. Doch ist es mitnichten diese globale ökologische Katastrophe, die Halyard Kopfschmerzen bereitet, sondern seine private ökonomische Fehlkalkulation – er hat sich mit Leerverkäufen von Lumpfisch-Zertifikaten verspekuliert.
Als Gourmet in dystopischen Zeiten, der für Menüs, die einfach nach Essen schmecken, exorbitante Summen hinblättert, wähnte er seine Chance auf schnellen Geldgewinn gekommen, als er von den Plänen der Weltkommission hört, die eine Spezies nicht mehr als ausgestorben definieren will, „selbst wenn die lebende Population bei null lag, solange genügend Relikte davon in den weltweiten Biobanken aufbewahrt wurden“. Mit abgezweigtem Firmengeld wettet er auf fallende Preise.
Ein Hackerangriff auf sämtliche Biobanken, der alle Genomdaten und Gewebeproben vernichtet, macht seinen Plan zunichte – die Preise für Zertifikate steigen ins Astronomische.
Aberwitzige Preise
Pech auch, dass sein Unternehmen gerade dort Ressourcen abbaut, wo der Gemeine Lumpfisch sein letztes Habitat gefunden hatte und der Bericht der Kognitionsexpertin Karin Resaint den bislang unauffälligen Fisch nun als intelligent klassifiziert – jetzt braucht es 13 Zertifikate statt einem, um ihn legal auszulöschen. Halyard müsste die Zertifikate zu den aberwitzigen Preisen zurückkaufen – oder nachweisen, dass der Fisch nicht ausgestorben ist.
Die Tierschützerin Resaint hingegen will die Menschheit für ihre Untaten büßen sehen und hatte deshalb große Hoffnung in den Gemeinen Lumpfisch gesetzt, denn dieser ist nicht nur intelligent, sondern auch rachsüchtig. Als er in einem Internetvideo aus einem finnischen Migrantenlager auftaucht, macht sich das odd couple auf, um den letzten Vertreter seiner Art zu finden.
„Venomous Lumpsucker“ ist der fünfte Roman des britischen Romanciers und Journalisten Ned Beauman. Dem Vernehmen nach hat Archery Pictures die TV-Rechte gekauft, und da darf man sich auf Action gefasst machen. Der Near-Future-Öko-Thriller ist ziemlich hochtourig erzählt, Turbulenzen und Twists folgen Knall auf Fall, und obwohl alles immer schlimmer und abstruser kommt, sind die Begebenheiten nur eine Drehung weiter von unserer aktuellen Realität entfernt.
Jetztzeit im Krisenmodus
Beaumans Schreibweise erinnert in ihrem grimmigen Humor und den seltsamen Szenerien an Margaret Atwoods Dystopien, von denen sie sagte, dass sie nichts erfunden habe, alles sei irgendwo schon mal dagewesen.
Im „Lumpfisch“ verschlingen sich reale Bezüge – Stichwort: Emissionshandel – mit medialen: In biblischer Manier regnet es Schwärme toter Mücken vom Himmel, ein grassierender, Tier und Mensch entstellender Pilz erinnert an den zombifizierenden Cordyceps der Serie „The Last of Us“ (der in Wirklichkeit nur Ameisen zombifiziert, aber der von Beaumann detailliert beschriebenen Wespe Adelognathus marginatum ähnelt, die ihre Eier in einer Ameise ausbrütet, bis diese stirbt); von rachsüchtigen Meereswesen ganz zu schweigen – „Der Schwarm“ lässt grüßen. Auch eigenmächtige KIs, Tierschützer in Otterkostümen und größenwahnsinnige Milliardäre mischen mit.
Die Stärke des Romans liegt nicht allein in seinem gnadenlosen Tempo, mit dem er die Jetztzeit in ihrem Schlag-auf-Schlag-Krisen-und-Katastrophen-Modus kongenial nachbildet, sondern in seiner unbestechlichen und erzählerisch stringent durchgehaltenen Sicht auf die Dinge: Ökologie? Fehlanzeige. Die Ökonomie bestimmt, wo die Reise hingeht: „Linke behaupteten manchmal, dass es in einem kapitalistischen System niemals eine Lösung für das Artensterben geben könne, die nicht von Profitgier und Missbrauch geprägt war, weil der freie Markt wie eine bösartige KI sei, unendlich viel hinterhältiger als die Menschen, die glaubten, ihn einhegen zu können.“
Am Ende der 2020er Jahre haben weder staatliche Maßnahmen noch Ökoterrorismus etwas gebracht. Zeit vielleicht für Resaints Idee, „jedem der hunderttausend reichsten Menschen auf der Erde nach dem Zufallsprinzip eine gefährdete Spezies zuzuweisen und sie dann darüber zu informieren, dass sie erhängt werden, sollte die ihnen zugewiesene Spezies jemals aussterben“. Der Gemeine Lumpfisch wäre sicher begeistert.
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