Neuer Mobilfunkstandard: Hin zur strahlenden Zukunft
In Berlin will man Vorreiter bei 5G sein. Die neue Technik verspricht höchste Leistung – Kritiker warnen vor gesundheitsschädigenden Wirkungen.
![Eine Frau tippt auf einem Smartphone. Eine Frau tippt auf einem Smartphone.](https://taz.de/picture/3298251/14/117138389.jpeg)
In Berlin soll die Zukunft früher beginnen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) möchte die Hauptstadt zum Vorreiter für den neuen Mobilfunkstandard 5G machen und einzelne Berliner Gebiete ausbauen – noch vor 5G-Start auf Bundesebene 2021. Zu den ausgewählten Orten zählen der aktuell entstehende Innovationscampus in Siemensstadt und der Technologiepark Adlershof. Anschließend, so der Plan, folgen Messe Nord, Potsdamer Platz, die Stadtautobahn und das Netz der Berliner U-Bahn.
Das Kürzel 5G steht für die fünfte Generation des mobilen Internets. Datenmengen bis zu 10 Gigabit pro Sekunde sollen durch das Netz rauschen. Derzeit schaffen die leistungsfähigsten 4G-Handys maximal 1 Gigabit.
Die 5G-Fürsprecher prophezeien Übertragungen in Echtzeit, wodurch nicht mehr nur der Mensch, sondern auch Maschinen miteinander kommunizieren würden. Autos könnten via 5G selbstständig fahren und industrielle Maschinen in Eigenregie produzieren.
In Absprache mit dem Senat begann die Telekom den Ausbau für 5G in Berlin bereits im Jahr 2018. „Mit Stand Ende Februar 2019 sind mindestens 17 Standorte mit 5G-Technik aufgerüstet“, teilte die Senatswirtschaftsverwaltung der taz mit. An jedem dieser Standorte sind drei Antennen montiert. Mithilfe dieser Masten werde das physikalische Verhalten der Mobilfunkstrahlung im Stadtgefüge durch die Telekom getestet, bevor die Bundesnetzagentur überhaupt die Lizenz für den bundesweiten 5G-Ausbau vergibt. Noch in diesem Monat soll bekannt gegeben werden, welcher Anbieter den Zuschlag bekommt. Im Gespräch ist unter anderem das umstrittene chinesische Unternehmen Huawei.
Nicht alle sind erfreut
Die nahende Zukunft der digitalen Hochgeschwindigkeit erfreut nicht alle. Für den neuen Mobilfunkstandard werden mehr Sendemasten und neue Strahlungsfrequenzen benötigt. Ende 2018 wandten sich über 200 WissenschaftlerInnen mit einem internationalen Appell gegen 5G an die Öffentlichkeit. Die UnterzeichnerInnen gehen von einer bewiesenen gesundheits- und umweltschädigenden Wirkung von Mobilfunkstrahlung aus und bezeichnen den flächendeckenden 5G-Ausbau als „verbrecherisches Experiment an der Menschheit“.
Berlin ist Spitzenreiter in Sachen Digitalisierung. Das Land führt den Deutschland-Index der Digitalisierung 2019 an, wie das Kompetenzzentrum Öffentliche IT am Fraunhofer-Institut Fokus am Montag mitteilte. Platz zwei und drei des Rankings belegten Hamburg und Bremen.
BerlinerInnen nutzten besonders häufig digitale Verwaltungsangebote. 60 Prozent der Behördenkommunikation sei in den vergangenen zwölf Monaten über das Internet gelaufen. Den niedrigsten Wert erreichte Brandenburg mit 42 Prozent. Der Effekt lasse sich auch am Arbeitsmarkt ablesen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im IT-Bereich sei seit der letzten Erhebung im Jahr 2017 um mehr als 20 Prozent gestiegen. (dpa)
Auf amtlicher Seite teilt man die Sorge nicht. Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sei die einzig nachweisbare Wirkung der Handystrahlung eine Erwärmung des menschlichen Körpers. Diese werde durch Grenzwerte verhindert.
Blanka Pophof, wissenschaftliche Mitarbeiterin des BfS, erklärte der taz, dass zudem aktuell „nur 1 bis 10 Prozent der Grenzwerte ausgeschöpft“ werden. Nach dem 5G-Ausbau gebe es zwar mehr Strahlungspunkte, diese seien „dafür aber schwächer“. Ob die Strahlung in der Summe mehr oder weniger werde, müsse untersucht werden, „wenn die neue Technik eingeführt wird“, räumt die Biologin ein.
Es ist unter anderem dieser Testcharakter, den die 5G-KritikerInnen monieren. Sie bezweifeln zudem, dass sogenannte thermische Effekte die einzige Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf den Menschen seien. Der Medizinphysiker und Sachverständige für Strahlenschutz Roland Wolff ist einer der Unterzeichner des Anti-5G-Appells und hält nichtthermische Wirkungen für möglich. „In der Medizin wissen die ÄrztInnen auch nicht immer, wie bestimmte Stoffe funktionieren, nur dass sie wirken.“ Gerade weil noch zu wenig über bestimmte Vorgänge auf biochemischer Ebene bekannt sei, könnten Schädigungen der DNA durch Handystrahlung nicht ausgeschlossen werden.
Kein Grund zur Hysterie
Sandra Drießen von der RWTH Aachen nimmt eine eher mittige Position in der Debatte ein. Sie erkennt an, dass es ein Nebeneinander gegensätzlicher Studien gebe und noch Forschungsbedarf bestehe. Jedoch müsse nicht „in Hysterie“ verfallen werden.
Ob die Strahlungsbelastung in Berlin durch den vorzeitigen 5G-Ausbau ansteigt, lässt sich aktuell schwer sagen. Derzeit kann die Senatswirtschaftsverwaltung keine Angaben machen, wie viele zusätzliche Antennen bis 2021 in Berlin aufgestellt werden. Die in einem Wettbewerb stehenden Netzbetreiber „behandeln ihre Ausbaupläne als Geschäftsgeheimnis“. Auf den Dächern soll sich die Anzahl der Sendemasten nicht bedeutend vergrößern.
Wiederum kommen laut Senatsverwaltung sogenannte Small-Cell-Standorte – Basisstationen mit geringer Reichweite – an „Stadtmöbeln wie Lichtmasten“ zum Einsatz. Sowohl Telekom als auch Senat versichern, dass sich stets an Grenzwerte gehalten und diese durch die Bundesnetzagentur kontrolliert werde, die auf ihrer Website die Überprüfungen veröffentlicht.
Ob diese Grenzwerte die Gesundheit nun wirklich schützen, ist noch nicht hinreichend geklärt.
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