Neuer Luc-Besson-Film „Dogman“ im Kino: Eine glänzende Travestie
Mit Hilfe von Straßenhunden wird ein Außenseiter zum Robin Hood in Drag. Luc Besson knüpft mit „Dogman“ an Erfolge in den Neunzigern an.
Den sakrosankten Status eines auteur du cinéma français hat Luc Besson in seiner vier Dekaden umspannenden Karriere wahrscheinlich niemals recht erreicht. Dafür waren bereits seine Filme „Léon – Der Profi“ und „Das fünfte Element“, die dem französischen Filmemacher zum internationalen Durchbruch verhalfen, wahlweise zu action- oder Sci-Fi-lastig. Und damit Genres zugewandt, die gemeinhin als kunstfeindlich, allemal als anspruchsfremd gelten.
Dass seine Schöpfungen jener Ära nichtsdestotrotz eine Aura des Außergewöhnlichen umgaben, dass bei Besson selbst dem Schrillen eine Seele innewohnte, lässt sich gleichsam nur schwerlich leugnen. Umso bedauerlicher wirkt vor diesem Hintergrund seine zunehmende Hinwendung zu flachem Effektkino, etwa mit „Lucy“ und „Valerian“ im vergangenen Jahrzehnt. Lange Zeit weit abseits dessen, was bei den großen A-Festivals auch nur die Ahnung einer Chance auf Erfolg gehabt hätte, war die diesjährige Teilnahme seines neuen Films im Wettbewerb vom Venedig eine entsprechend große Überraschung.
Wider Erwarten ist „Dogman“ jetzt ein überaus sehenswertes Werk, zumindest ein wenig sogar Rückbesinnung auf sein Schaffen in den Neunzigern. Wenn auch weniger im Thema, obwohl abermals zwei ungleiche Außenseiter im Zentrum stehen, die im Kampf gegen Widrigkeiten den unwahrscheinlichen Weg zueinander finden: In einem Verhörraum sitzt Douglas Munrow (Caleb Landry Jones) der mitten in der Nacht herbeizitierten Psychiaterin Evelyn (Jojo T. Gibbs) gegenüber. Ihr vertrautes Gespräch wird zum narrativen Rahmen – bereits das erinnert an Thriller besagten Jahrzehnts.
Édith Piafs Abendkleid
Auffallend ist allerdings: Doug trägt dabei ein rotes Abendkleid, dazu passende Handschuhe. Das Gesicht ist aufwendig geschminkt, angelehnt an die große französische Chanson-Sängerin Édith Piaf. Schnell stellt sich das unangenehme Vermutung ein, Luc Besson könnte mit seinem Douglas einen zweiten „Norman Bates“ schaffen wollen, einen kaltblütigen Killer in Frauenkleidern nach Art der kanonisch gewordenen „Psycho“-Figur, oder „Buffalo Bill“ aus „Das Schweigen der Lämmer“, deren soziopathisches Auftreten ärgerlicherweise mit einer Abweichung von sexuellen oder Geschlechternormen verquickt wird.
Dem ist aber nicht so, im Gegenteil: Douglas erweist sich als der unerwartete Sympathieträger dieses Films, als zwar tragischer, aber dennoch triumphierender Held. Es ist vor allem die Warmherzigkeit, mit der Luc Besson – sowohl verantwortlich für die Regie als auch das Drehbuch – die skurrile Geschichte einer Selbstbehauptung ausbreitet, die an den einstigen Flair seiner Filme erinnert. Ganz so, als wäre „Dogman“ ein Hybrid aus seinem früheren Stil und dem, womit sich der Filmemacher seither beschäftigte, ist das Abseitige allerdings – mehr noch als damals – in klassische Blockbuster-Klischees eingebettet.
So wird in Rückblenden der hollywoodesk-überladene traumatische Hintergrund von Douglas erzählt. In einem typischen „White Trash“-Haushalt in New Jersey ist er aufgewachsen, zwischen einem Hundekämpfe ausrichtenden Säufervater (Clemens Schick) und einem religiös verblendeten Bruder (Alexander Settineri). Nach einer Auseinandersetzung über den harten Umgang mit den Tieren wird Douglas als Kind kurzerhand mit in den Zwinger gesperrt. Die Hunde, man ahnt es, werden nicht nur zu seinen einzigen Gefährten, sondern auch zu seiner großen Passion, bis in die Gegenwart.
Unter ständiger Begleitung eines reichlich affektgeladenen Scores des Filmkomponisten Éric Serra, mit dem Besson seit Beginn seiner Karriere immer wieder zusammenarbeitete, taucht „Dogman“ in die prägenden, meist nicht weniger leidvollen Stationen in Douglas’ Leben ein. Von der gewaltvollen Auseinandersetzung mit dem Vater, seit der er von der Hüfte abwärts gelähmt ist, über die Jugend in einem Waisenhaus und die einzige Schwärmerei für eine Frau bis hin zu dem Moment, in dem er sich vollends für ein Leben unter Tieren allein entschied.
Die Hunde sind seine Seelenverwandten
Eine heruntergekommene High School hat er in Eigenregie zum schäbig-schicken Hort für Hunde aller Couleur umfunktioniert, und selbstredend sind sie alle ein ganz hervorragendes Team. Douglas gehorchen seine Hunde nicht nur, sie sind ihm quasi zu Seelenverwandten geworden. Man kocht und backt gemeinsam – macht aber auch gemeinsame Jagd auf Mafia-Bosse oder bricht in Villen ein. Die enorme Leistung der zahlreichen Filmhunde außer Acht gelassen, erweist sich Hauptdarsteller Caleb Landry Jones („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) dabei als das große Ereignis von „Dogman“.
Er verleiht einer durchaus schrägen Figur eine solche Anmut, dass niemals das einnehmend Erhabene an ihr abhandenkommt. Auch Douglas’ zweite Einkommensquelle, neben spektakulären Einbrüchen, die Auftritte auf kleiner Cabaret-Bühne als Marlene Dietrich, Marilyn Monroe oder eben Édith Piaf, stecken zwar voller Theatralik, wirken aber niemals so, als wollte man sich über diese Figur lustig machen. Die Rolle des Robin Hood in Drag füllt Landry Jones mit einer solchen Präsenz, dass man sich kaum eine andere Besetzung vorstellen kann.
„Dogman“. Regie: Luc Besson. Mit Caleb Landry Jones, Jojo T. Gibbs, Clemens Schick u. a. Frankreich/USA 2023, ca. 113 Min.
Dennoch bietet der Film, bei gehörigen Überspitzungen im Plot und einer nicht minder grellen Inszenierung, immer wieder Anlass zur Komik. Einmal dahingestellt, ob Luc Besson dieses Pathos absichtlich herbeiführt oder nicht: „Dogman“ ist als ungestümer Genremix überaus unterhaltsam. Wahrscheinlich umso mehr, wenn man den Film selbst als eine große Travestie genießen kann. Dass Douglas’ Beichte nicht folgenlos bleibt, ist klar. Aber wie sang schon Edith Piaf? „Non, je ne regrette rien!“
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