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Neuer Film von François OzonDas innere Spektakel

Ein junger Vater nimmt nach dem Tod seiner Frau die Mutterrolle ein. „Eine neue Freundin“ ist ein Spiel – mit hartem psychologischen Kern.

Seinem Kind gegenüber präsentiert sich David (Romain Duris) zuerst als Virginia. Bild: Bertrand Calmeau/dpa/Weltkino Filmverleih

Ursprünglich hatte François Ozon vorgesehen, seinen aktuellen Film, „Eine neue Freundin“, mit einem Zitat von Simone de Beauvoir ausklingen zu lassen: „On ne naît pas femme, on le devient.“ („Man ist nicht als Frau geboren, man wird eine.“) Claire (Anaïs Demoustier) sollte den Satz aus dem Off aufsagen. Und es wäre kein falscher Moment geworden, hätte de Beauvoirs Satz aus „Das andere Geschlecht“ (1949) doch sowohl für Claire als auch für die zweite zentrale Figur gegolten, für David (Romain Duris), der im Verlauf des Films zu Virginia wird.

Beide machen eine Entwicklung durch, sind am Ende von „Eine neue Freundin“ andere, als sie noch zu Beginn waren, und sie sind auf entscheidender Ebene näher an sich selbst herangerückt. Claire ist aus ihrer ursprünglichen Rolle einer etwas schattenhaften besten Freundin herausgetreten, und sie hat ihr Selbstbild neu moduliert. Das Selbstbild einer Frau, die sich stets gut zu kontrollieren weiß; impulshaft Gefühlen nachzugehen, das hat darin wenig Platz. David wiederum ist zu Virginia geworden, obschon er zu Beginn von „Eine neue Freundin“ noch der Ehemann von Laura (Isild Le Besco) war, Claires bester Freundin. Kurz nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes verstirbt Laura.

Beide, David und Claire, müssen mit der Lücke zurechtkommen, die Laura hinterlassen hat. Aber diese Lücke schafft gleichzeitig auch einen Raum, in dem Expansion möglich ist. Und in den Filmen Ozons haben diese Ausdehnungen oft etwas Magisches und Märchenhaftes. Sie sind auch Spiel, aber eines mit hartem psychologischem Kern.

Denn François Ozon ist ein Filmemacher, dem an den seelischen Bewegungen seiner Figuren gelegen ist. Einer, dem es weniger um spektakuläre äußere Handlung geht als um das innere Spektakel und wie dieses in Dialog mit einem Außen tritt, das eigentlich ziemlich „normal“ ist. Und die Betonung liegt hier auf dem Begriff „Norm“. Das ist auch der Stoff, aus dem Melodramen gemacht sind. Es sei nur kurz an einen Film wie Douglas Sirks „All That Heaven Allows“ (1955) erinnert, in dem sich Jane Wyman und Robert Hudson unter einem Baum im Vorgarten begegnen – der Auftakt für eine Liebe, die sich über Milieugrenzen hinweg zu behaupten sucht. Keine einfache Liebe, aber eine wirkliche.

Eine solche Liebe widerfährt auch Claire und Virginia, obwohl Ozon die direkte und harsche Konfrontation mit den Konventionen weniger anhand eines verstörten Umfelds demonstriert, dem sich etwa das Paar bei Douglas Sirk stellen musste. Vielmehr zeigt er sie anhand seiner gelegentlich zurückschreckenden Figuren selbst, in denen die Saat der Konvention natürlich bis zu einem gewissen Grad ebenfalls enthalten ist; sie müssen sich darüber erst hinwegsetzen, soll das „Echte“ eine Chance erhalten. „Eine neue Freundin“ ist ein Film, der von Mutproben erzählt, die riskant sind und deswegen lustvoll. Die man sich erst einmal zutrauen muss und die daher bedeutsam sind.

Behutsame Schritte in die Öffentlichkeit

So steigt David behutsam in seine neues Gewand als Frau, präsentiert die feminine Erscheinung zunächst nur dem heimischen Spiegel und dem kleinen Baby, das in Virginia, Davids weiblichem Alter Ego, seine Mutter zu erkennen scheint und so zur Ruhe findet. Schritte in die Öffentlichkeit, unterstützt von Claire, die Davids/Virginias Vertraute wird, werden zu aufregenden Ausflügen ins Unterwäsche-Geschäft einer Shopping Mall. Eine Metamorphose vollzieht sich, deren Energie auch auf Claire abstrahlt. In ihrem Zusammensein ergeben beide etwas, das sie übersteigt, das sich vor allem auch über etwaigen Geschlechtszuschreibungen befindet oder einer zuvor unhinterfragt gelassenen Sexualität.

François Ozon hat viel übrig für solche Geschichten. In „Rückkehr ans Meer“ (2009) etwa schien für einen Moment das Glück zwischen Mousse (Isabelle Carré) und Paul (Louis-Ronan Choisy) möglich – sie eine heroinsüchtige Schwangere, deren Partner Louis (Melvil Poupaud) an einer Überdosis starb. Er der Bruder von Louis und schwul. In einem Häuschen am Meer kommt es zur Berührung zwischen Mousse und Louis. Und Berührung, das bedeutet bei Ozon eben nicht nur die Verringerung eines Abstandes, sondern auch ein gemeinsames Hinausführen.

Auf ein Zitat am Ende jedenfalls kann verzichtet werden. Und das liegt daran, dass François Ozon eine Bildsprache beherrscht, die solcher Unterstreichungen nicht bedarf. Sie ist so verständlich, dass „Eine neue Freundin“ sogar gänzlich ohne Unterhaltungen vorstellbar wäre. Manche halten solch ein Kino vielleicht für überzogen. Aber es ist überaus filmisch. Und mutig.

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