Neuer Festival-Markt: Der Rock ’n’ Roll der Alten
Musikinteressierte jenseits der 30 das Geld meist lockerer sitzen als Junge. Auch norddeutsche Veranstalter wittern das Geschäft und schneidern entsprechende Festivals
HAMBURG taz | Es gibt dieses Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Dreijährige erleben das, wenn die Freiwillige Feuerwehr den Tag der offenen Tür feiert. 20-jährige versuchen es zu erleben, wenn Zigtausende bei einem Rock-Festival zusammenkommen und den Alltag außer Kraft setzen. Auch 30-Jährige probieren es noch mit den Festivals, aber wenn sie nicht besonders glücksbegabt sind, dann tun sie sich schwer, weil sie sich zu alt fühlen. Zu viel Remmidemmi. Zu viele betrunkene Kinder.
Den Veranstaltern ist klar, dass ältere Besucher andere Ansprüche haben und dass sie gut daran tun, Formate für Ältere zu entwickeln. Denn der Festivalmarkt für die Jungen ist gesättigt, und die Älteren sind eine interessante Zielgruppe: Sie haben meist mehr Geld und gegebenenfalls mehr Bereitschaft, es auszugeben.
Einen viel beachteten Ansatz hat der Hamburger Konzertveranstalter FKP Scorpio realisiert. Mit dem Festival „A Summer’s Tale“ startete er 2015 eine Veranstaltung, die ein anderes Komfortniveau und ein Kulturprogramm auch jenseits der Musik anbietet. Bei diesem Festival ist das Essen besser, die sanitären Anlagen sind es auch, es gibt Angebote für Kinder und neben den Konzerten gibt es Lesungen, Filmvorführungen, Performances und Workshops – die Bandbreite reicht vom Yoga-Kurs bis zum Comic-Zeichnen. Auch Ausflüge in die Umgebung gehören dazu, denn das Festival findet Anfang August im Eventpark Luhmühlen in der Lüneburger Heide statt.
Aber Komfort und Programmvielfalt sind nicht alles, eine schwierige Fragen ist, welche Künstler kommen sollen, um eine so heterogene Gruppe wie die über 30-Jährigen zu interessieren. Das „A Summer’s Tale“-Festival zielt auf die Gruppe der urbanen, ökologisch sensiblen, akademisch geprägten bürgerlichen Alternativen. Auch diese Gruppe ist empfänglich für Nostalgie: Die Headliner sind also Indie-Größen der Neunziger- und frühen Nullerjahre, nämlich die Pixies, PJ Harvey, Franz Ferdinand und Feist. Im weiteren Programm kommen unter anderem die Literaten Heinz Strunk, die Zauber-Performer Salon Mortale und das Zwergstadt-Spielmobil.
Das Festival möchte als Gelegenheit zu einem Kurzurlaub verstanden werden, individuell zu gestalten, auch in Komfortfragen: Von der Kanutour bis zur festen Hütte gibt es manches, das die Besucher hinzubuchen können. Konzipiert ist das Festival für bis zu 20.000 Besucher und damit vergleichsweise klein: Beim Hurricane-Festival, also der Variante für die 20-Jährigen, kamen in diesem Jahr rund 78.000 Leute.
Auch ohne Zubuchungen ist „A Summer’s Tale“ nicht gerade billig. Das normale Festivalticket von Mittwoch bis Samstag inklusive Camping kostet 179 Euro, mit Komfortcampingplatz sind es 219 Euro. Auf dem Gelände zu essen mag mehr mit Genuss zu tun haben als auf anderen Festivals, es hat aber auch seinen Preis. Und richtig viel Geld kann ausgeben, wer auf dem Komfortcampingplatz eine Unterkunft hinzubuchen möchte: Die „Summer Lodge“ mit zwei Einzelbetten, Stromanschluss und zwei Festivaltickets kostet für zwei Personen 1.247 Euro.
Einfacher haben es die Veranstalter bei den Erwachsenen-Festivals, die außerhalb der Saison in der Ferienanlage Weissenhäuser Strand stattfinden. Die Infrastruktur vom Apartment bis zum Schwimmbad gibt es dort schon, die Besucher*innen bewegen sich genau dort, wo im Sommer Urlaub gemacht wird.
Auch am Weissenhäuser Strand gilt die Annahme, dass mit Mainstream niemand über 30 anzulocken ist. Das Festival „Rolling Stone Weekender“ hat eine ähnliche Zielgruppe wie „A Summer’s Tale“, vielleicht noch mehr verengt auf den männlichen Musik-Nerd. Wieder zurückkehren zum Weissenhäuser Strand wird im Frühjahr 2018 der „Baltic Soul Weekender“, ein Soul-Festival mit viel Nostalgieanteilen – dort spielten schon die Temptations, Lisa Stansfield oder die Supremes. Und dann ist da noch der Heavy Metal. Metal geht in allen Altersgruppen, allen Kulturkreisen und allen sozialen Schichten. Das Metal-Festival am Weissenhäuser Strand heißt „Metal Hammer Paradise“.
Diese Erwachsenen-Festivals stehen auf zwei Säulen: ein Programm, das eine klare Zielgruppe anspricht, und ein Komfort, der es den älteren Herrschaften die Entscheidung erleichtert, das Sofa zu verlassen. „Ist das dann noch Rock ’n’ Roll?“, fragte die Süddeutsche Zeitung nach der ersten Ausgabe von „A Summer’s Tale“ im Jahr 2015. Die Antwort: „Das ist kein Rock ’n’ Roll. Aber ziemlich schön.“
Weil die Zielgruppen-Erweiterung weiterhin ein großes Thema für die Veranstalter ist, werde in der Festivallandschaft der neue Bereich Family Entertainment weiter wachsen, prognostiziert Jens Michow vom Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft. Bei „A Summer’s Tale“ wird Kindern im Vorschulalter Programm geboten – mit Kinderbands, einem Theaterstück und einem Kinderzelt. Allerdings können die Kleinen nicht zur Betreuung abgegeben werden. Die Eltern bleiben verantwortlich. Und sollten auch nicht arm sein: Ein Familienticket mit Camping von Mittwoch bis Samstag kostet 449 Euro.
Dass es auch ganz anders geht, zeigt das Skandaløs-Festival in Neukirchen in Schleswig-Holstein. Entstanden aus einem Schulfest wird es mit viel öffentlicher Unterstützung von einem Kulturverein organisiert: Finanziell engagieren sich unter anderem der Kreis Nordfriesland und die EU und viele ehrenamtliche Leute aus Hamburg, Lüneburg, Bremen , Neukirchen und Umgebung stemmen das Ganze. Die 4.000 Karten, die es in diesem Jahr gibt, sind fast ausverkauft.
Das Skandaløs-Festival hat keinen Komfort-Campingplatz, aber für Familien gibt es ein abgelegeneres Gelände. Ansonsten gibt es eine ähnliche Vielfalt wie bei „A Summer’s Tale“: Workshops, Theater, Ausflüge, Diskussionen, Kinderprogramm. Nur dass alles etwas alternativer, kleiner und undergroundiger ist: Die Headliner sind Tash Sultana, Schnipo Schranke und Faber. Die Altersfrage stellt sich beim Skandaløs-Festival weniger. Zu einem solchen Festival kommen alle, die in der Nähe sind, weil dort sonst nichts los ist. Und von weiter her kommen die, die nicht nur ausrasten wollen – dafür sorgt die Qualität des Programms.
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