Neuer Comic aus Frankreich: Das Ende der proletarischen Guerilla
Tresordiebe mit Perücken und falschen Bärten: „Die falschen Gesichter“ nimmt ein actiongeladenes Kapitel französischer Kriminalgeschichte auf.
Die „Postiches“ („Perücken“) waren eine berüchtigte Bande, die zwischen 1981 und 1986 in Paris 27 Banken ausraubte und dabei Hunderte Tresore knackte. Zu ihrem Namen kamen sie, weil sie die Filialen mit Perücken und falschen Bärten verkleidet betraten. Sie nahmen Geiseln, handelten aber nach der Maxime, niemanden zu töten. Durch den Serienerfolg ihrer Einbrüche wurden sie zum Albtraum der Pariser Polizei.
Im Comic „Die falschen Gesichter“ wird die Pariser Kriminalgeschichte zu einem Milieureport. Der Zeichner Hervé Tanquerelle hat die Atmosphäre der achtziger Jahre wiederbelebt. Die Haarschnitte, die Kleidung, die Schachtelwagen oder die Uniformen der Polizisten. Er bildet die historischen Details liebevoll genau ab. Die Zeichnungen sind durchgängig zweifarbig schwarz-weiß-grau-blau, was ihnen einen historischen Anstrich verleiht. Die fehlende Farbigkeit verstärkt bei historischen Rückblicken die Authentizität.
Das Bandenwesen ist ein Steckenpferd des Autors David B. Der Titel „Die falschen Gesichter“ geht auf eine Kurzgeschichte des französischen Schriftstellers Marcel Schwob (1867–1905) zurück, in der maskierte Straßenräuber im Hundertjährigen Krieg ihr Unwesen treiben. David B. hat Schwob in seinem schillernden Album „Kapitän Scharlach“ ein Denkmal gesetzt. Piraten überfallen darin Paris und bezirzen die Pariserinnen mit einem lyrischen Argot, der Geheimsprache der Gauner, der Schwob als einer der Ersten eine philologische Studie widmete.
Nicht die wahre Geschichte
In seiner Geschichte der Postiches wollte sich David B. von den historischen Fakten inspirieren lassen. Tanquerelle hat auf seinem Blog erklärt, dass der Titel schon klarmachen soll, dass David B. und er nicht ihre „wahre Geschichte“ erzählen. Bei den Maskeraden der Postiches nimmt er sich denn auch mal die Freiheit, sie wie Figuren aus Hergés Tim und Struppi aussehen zu lassen.
Die Postiches waren anders als die französische Verbrecher- und Ausbrecherlegende Jacques Mesrine, der im medialen Rampenlicht seine eigene Legende schuf. Während französische Berichterstatter sie zu ehrenhaften Wegelagerern des Kapitalismus stilisierten, konzentrierten sie sich selbst auf die Handstreiche, mit denen sie die Banken ausraubten.
David B. skizziert acht randständige Existenzen, die keinen Platz in den existierenden großen Verbrecherbanden gefunden haben. Die Kumpels vereint ihre Herkunft aus den damals brachliegenden Pariser Arbeitervierteln Belleville und Montreuil.
Obwohl David B. und Tanquerelle sichtbar Sympathie für die Gangster aufbringen und „Die falschen Gesichter“ manchmal Züge einer Abenteuergeschichte annimmt, zeichnen sie sie nicht nachsichtig weich. Einige aus der Bande sind auch psychisch auf die schiefe Bahn geraten. Die Geiselnahmen laufen trotz der Maxime „Keine Toten“ nicht gerade zimperlich ab. David B. gibt seinen Figuren eine authentische Aura, indem er sie nicht sozialromantisch auflädt.
Steckengeblieben im Niemandsland
Dennoch bleibt das Szenario bisweilen im Niemandsland zwischen Sozialromantik und Sozialkritik stecken. Obwohl die Postiches hier und da eine proletarische Freundschaftsethik anstimmen und den Niedergang Bellevilles betrauern, protokolliert David B. vor allem den Ablauf der Einbrüche.
Der Reportagecharakter der Erzählung ist ihm so wichtig, dass er sich manches Mal zu sehr an den Ereignissen festhält. So ist sehr schnell abgehandelt, wie sich die Gruppe zusammenrauft, in wenigen Bildern sind Charakter und Vorgeschichte der einzelnen Mitglieder angerissen.
Sobald man anfängt, von ihrem Verhältnis untereinander zu erfahren, steht auch schon der nächste Bruch vor der Türe. Und die Einbruchsszenarien sehen einander doch recht ähnlich. So steuert die Geschichte dann auch auf ein wenig erbauliches Ende zu und gerät zum Abgesang auf die proletarische Guerilla des dann gentrifizierten Stadtteils Belleville. Und wir bleiben ein wenig wie nach einer Doku zurück, bei der wir uns nur an die eingespielten Actionszenen erinnern.
David B. (Text), Hervé Tanquerelle (Zeichnung): „Die falschen Gesichter“. Avant Verlag, Berlin 2013, 152 Seiten, 19,95 Euro
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