: Welt muss sich vorerst mit 1,5 Grad mehr abfinden
Es ist wahrscheinlich, dass die gefährliche Schwelle erreicht und möglicherweise überschritten wird – zumindest zeitweise
Von Susanne Schwarz
Die Erde wird heißer, trockener und allgemein gefährlicher. Zu verhindern ist das nicht mehr, denn die Erde hat sich schon um 1,1 Grad aufgeheizt und der Trend geht nach oben. Wie extrem die Verschlechterung der Lebensbedingungen auf der Erde durch die Klimakrise ausfällt, ist aber durchaus noch zu beeinflussen. Das zeigt ein neuer Bericht des Weltklimarats IPCC, der am Montagnachmittag in Interlaken in der Schweiz vorgestellt wurde.
Es war ein Paukenschlag, als der IPCC im Jahr 2018 feststellte: Es wäre gefährlicher als zuvor gedacht, die Erde um mehr als 1,5 Grad aufzuheizen – aber um das zu verhindern, müssten sich die CO2-Emissionen bis 2030 fast halbieren. Das waren schließlich nur zwölf Jahre für einen unvorstellbar großen Umbau der Weltwirtschaft.
Fünf dieser wenigen Jahre sind nun schon um, aber die Zahlen haben sich kaum verändert. Im Vergleich zum Jahr 2019 müssten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent sinken, 2050 praktisch bei null liegen, heißt es in dem neuen Bericht. Seit 2019 sind die globalen Emissionen eher noch weiter angestiegen, statt zu sinken. Das Problem wird also größer statt kleiner.
„Wir müssen anfangen, uns ernsthaft mit der Welt jenseits von 1,5 Grad Erderhitzung zu beschäftigen“, sagte der Klimawissenschaftler Oliver Geden am Montagmorgen, einer der Autor:innen des Berichts. Selbst unter optimistischen Emissionsszenarien wird die Marke „kurzfristig“ wahrscheinlich erreicht, in Szenarien mit höheren Emissionen noch überschritten.
Mit jedem Zehntelgrad steigt das Risiko für mehr extremes Wetter, das zum Beispiel zu Zerstörung, Hitzetoten, Krankheiten und Verletzungen, Ernteausfällen und Hunger führen kann. Hinzu kommen schleichende, langfristige Folgen wie der Anstieg des Meeresspiegels, der zahlreiche Küstenstädte und ganze Inselstaaten dem Untergang weihen könnte.
Es ist theoretisch möglich, die Temperaturen nachträglich wieder zu senken. Dafür müsste die Menschheit klimaneutral werden und der Atmosphäre anschließend sogar Treibhausgase entziehen. Die Rede ist dann von „negativen Emissionen“. Das geht durch Aufforstung oder auch verschiedene Technologien, die aber noch an ihrem Anfang stehen.
Für ihren Einsatz in allzu großem Maßstab bestehen laut Weltklimarat „Machbarkeits- und Nachhaltigkeitsbedenken sowie soziale und ökologische Risiken“. Hinzu kommt: Einmal verloren gegangene Ökosysteme wie Korallenriffe kann man nicht wiederbeleben.
Der Weltklimarat gilt als Goldstandard der Klimawissenschaft. Führende Forscher:innen aus verschiedenen Fachgebieten kommen dort zusammen, um den aktuellen Wissensstand der Menschheit zur Klimakrise zusammenzutragen. In ihre Berichte fließen Tausende von Studien ein. Manchmal bringt der Weltklimarat Sonderberichte zu einzelnen Themen heraus. Alle paar Jahre geht es aber um einen Rundumschlag zur Klimakrise im Allgemeinen – so wie jetzt, zum mittlerweile sechsten Mal.
Diese sogenannten Sachstandsberichte erscheinen in vier Teilen. Im ersten geht es um physikalische Grundlagen des Klimawandels, im zweiten um die praktischen Folgen für Natur und Gesellschaft, im dritten um Handlungsoptionen für den Klimaschutz. Zum Schluss erscheint ein Synthesebericht, der die Erkenntnisse aus allen Teilen zusammenführt. Dieses Werk ist es, das am Montag erschienen ist.
Eine der unbequemen Wahrheiten darin: Die Folgen der Klimakrise wurden lange unterschätzt. In den vergangenen Jahren ist die Forschung immer genauer geworden. „Für jedes Level an Erwärmung sind viele der klimawandelverbundenen Risiken größer, als es im fünften Sachstandsbericht festgestellt wurde“, steht in dem aktuellen Dokument.
Oliver Geden, Klimaforscher
Technisch wäre die nötige Emissionsminderung machbar und sogar wirtschaftlich sinnvoll, ergibt sich aus dem Bericht. Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale Welt sind im vergangenen Jahrzehnt deutlich billiger geworden, Solarstrom und Batterien zum Beispiel um 85 Prozent, Windstrom um 55 Prozent. Dem Report nach fließt aber immer noch mehr Geld in die fossile Infrastruktur, die die Klimakrise weiter antreibt, als in Klimaschutz und -anpassung.
„Wir haben es leider in den letzten Jahren dringlicher werden lassen, wir haben nicht schnell genug gehandelt“, sagte der Klimawissenschaftler Matthias Garschagen, der ebenfalls zu den Autor:innen des Berichts gehört. „Wir sehen den Klimawandel viel, viel stärker als vor einigen Jahren. Gleichzeitig haben wir es noch in der Hand, das Allerschlimmste abzuwenden. Aber dieses Fenster schließt sich rapide.“
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