piwik no script img

Neuer Beatles-SongHoffentlich wird niemand gebissen

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Peter Jackson hat einen neuen Beatles-Song gefunden. Natürlich kommt die Idee von ihm, immerhin ist der Regisseur bekannt für seine Horrorfilme.

Sind Untote im Spiel, gibt es kein gutes Ende. Szene aus Peter Jacksons Film „Braindead“ Foto: Everett Collection/ddp

M ehr als 54 Jahre ist es inzwischen her, dass alle vier Beatles sich gemeinsam in einem Aufnahmestudio befunden haben. Mit John Lennons Tod 1980 war die Tür zu einer Reunion endgültig verschlossen.

Mitte der 1990er Jahre jedoch versilberten die Überlebenden mit der dreiteiligen „Anthology“ noch die letzten Testaufnahmen und Konzertmitschnitte. Außerdem wurden alte Solo-Demoaufnahmen aus Lennons Nachlass auf ihre Verwertbarkeit hin überprüft. Zwei „neue“ Songs der „Beatles“ kamen dabei heraus.

Wenigstens war das weitere Material, das die Lennon-Witwe Yoko Ono den Rest-Beatles, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr, übergeben hatte, von so schlechter Tonqualität, dass das „Anthology“-Experiment die endgültige Beerdigung der Legende hätte sein können. George Harrison hatte dennoch zu mindestens einem weiteren Songfragment ein paar Gitarrenspuren aufgenommen.

Trotz der insgesamt geringen Ansprüche der sich selbst parodierenden musikalischen Resterampe konnte das aber nicht mehr zur Verkaufsreife produziert werden. Bis jetzt. Mit dem Regisseur Peter Jackson tritt ein Spezialist für die Exhumierung von Verstorbenen auf den Plan.

Besonders bemerkenswert aus Jacksons Frühwerk ist die Komödie „Braindead“ (1992), in der aus ihrer Kellerhaltung ausbrechende Zombies eine ansonsten ganz friedliche Nachbarschaft in Wellington terrorisieren. Im Prinzip macht Jackson diesen Film seitdem immer und immer wieder, nur jedes Mal mit mehr Geld und zunehmend ausufernder computergestützter Ausstattung. Ob „King Kong“ oder „Herr der Ringe“, immer kommt irgendetwas aus gutem Grund in ein tiefes Verlies Weggesperrtes an die Oberfläche und macht dort dann alles kaputt. Jetzt also die Beatles.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Mithilfe modernster Rechentechnik gelang es Jackson nun, eine weitere Gesangsspur von den Homedemos John Lennons zu isolieren und die Störgeräusche zu entfernen: Seit Donnerstag ist „now and then“ auf Youtube zu hören. Am Freitag soll das Video von Jackson dazu erscheinen. Zusammen mit den Gitarrensounds des 2001 verstorbenen Harrison ergibt das alles schon eine halbe Zombieapokalypse. In den Promo-O-Tönen schwärmt Ringo Starr mit schleppender Aussprache, dass es beinahe so gewesen wäre wie damals mit John Lennon im Studio. Hoffentlich wurde niemand gebissen. Paul McCartney verspricht derweil, dass das nun aber wirklich die letzte Beatles-Aufnahme sein würde. So aber kann nur ein Mann ohne Vision sprechen.

ABBA schließlich macht mit dem Voyage-Spektakel in London vor, wie eine Gruppe von Menschen die Unsterblichkeit ihrer Musik mit dem Trugbild der eigenen körperlichen Jugend verwechselt und auf diese Weise ihr Stückchen Ewigkeit gegen ein jämmerliches Puppentheater austauschen kann.

Eine Welt voller holografischer Beatles-Avatare

So fällt es leider nur zu leicht, sich eine Welt vorzustellen, in der holografische Beatles-Avatare täglich mehrere Auftritte im nachgebauten Cavern Club in Liverpool absolvieren. Ein leistungsfähiges statistisches Modell errechnet ständig neue Songs im Beatles-Sound, mindestens ein Album im Monat. Ach, wer hätte je gedacht, dass der schlimmste Alptraum der sein würde, in dem John Lennon ewig singt.

Die selbstbewusst gewordene KI wird die Welt nicht in einem nuklearen Inferno vernichten. Nein, sie wird die Menschheit damit foltern, jede kreative Regung, jeden schöpferischen Akt in abertausenden Iterationen zu wiederholen, zu variieren und zu perfektionieren, bis das immer Gleiche immer pseudo-neu den Rhythmus vorgibt, der im Gleichschritt der Erlösung zustrebt. Imagine!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ja, der Song ist überflüssig, nein, das liegt nicht an der KI. Hier habe ich mal vorgeführt, was mit der KI gemacht wurde: digitalcourage.soc...111346483014738050

  • Also ich, Musiklehrer an einer Grundschule, Studium Gitarre an der UdK Berlin mag den Song und das Video. Sehr sogar! Mit dem künstlerischen Wert des Songs hat die „böse“ KI nicht das Geringste zu tun! Ich vermute mal, dass auch der Autor des polemischen Textes seine Worte nicht mit einem Stock in Sand geschrieben hat, sondern sich auch technischer Hilfsmittel bedient hat. Vllt. sogar - Gott bewahre! - denen eines Computers! Vllt. mag der Autor einfach keine Musik. Aber dann wäre es m.E. besser, er würde über andere Themen (Politik? Die schlimme Weltlage? Autos? ) schreiben. Selten hat das Zitat: „Über Musik zu sprechen, ist wie über Architektur zu tanzen!“ so gegolten. Und hundert Mal lieber eine Welt mit der Stimme von John Lennon in all ihren Erscheinungsformen, als diesen gefühlsarmen, pseudointelkektuellen Zynismus. Thomas Merfort, Zeuthen

  • seit jahrzehnten wurde immer wieder probiert die stimme von john Lennon aus seinem damaligen demotape zu isolieren, bzw. seine piano begleitung rauszufiltern. dies war bis vor kurzen technisch nicht möglich. mithilfe einer speziell trainierten ki konnte SEINE stimme aus dem demotape sauber isoliert werden. also 100 prozent John Lennons stimme und nicht wie hier einige denken das seine stimme von einer ki neu erzeugt wurde.

  • Aber der Song ist doch gar nicht KI, es sind doch alte Aufnahmen, oder bin ich da falsch informiert.

    • @ersoichso:

      Ein Musikjournalist sollte zwischen Aufnahmetechnik-KI-Tools und Kompositions-KI-Tools differenzieren können. Reine Polemik, toller Song.

  • Den Nagel auf den Kopf getroffen.

  • Super geschrieben & absolut auf den Punkt. Herrlich.



    Vielen Dank!

  • "Die selbstbewusst gewordene KI wird die Welt nicht in einem nuklearen Inferno vernichten. Nein, sie wird die Menschheit damit foltern, jede kreative Regung, jeden schöpferischen Akt in abertausenden Iterationen zu wiederholen, zu variieren und zu perfektionieren, bis das immer Gleiche immer pseudo-neu den Rhythmus vorgibt, der im Gleichschritt der Erlösung zustrebt. Imagine!"



    YES!