Neue US-Studie: Multitasker merken sich weniger
Viele Dinge müssen wir gleichzeitig erledigen - Mailen, Smsen, Surfen. Eine neue Studie kommt zum Ergebnis, dass Multitasking schadet - vor allem im Alter.
Die Vermutung, dass das ständige Nebeneinander verschiedener Signale und Umwelteinflüsse dem Gedächtnis eher schadet als nutzt, äußern Gehirnforscher schon länger. Nun haben Wissenschaftler an der University of California in San Francisco zumindest für ältere Menschen verifiziert, wie es zu solchen Abläufen kommt. "Multitasking" unterbricht manche Funktionen im Gehirn demnach stärker als bislang angenommen wurde.
Während eine Gruppe mit Probanden im Alter von 20 bis 39 Jahren recht gut mit vielen externen Signalen umgehen konnten, sah es bei Menschen zwischen 60 und 80 ganz anders aus. Der Neurologe Adam Gazzaley ließ die Testpersonen zunächst eine Szenerie beobachten, die sie sich merken sollten. Dabei wurden sie mehrere Sekunden lang von der Einblendung eines Gesichts gestört, dessen Geschlecht und Alter bestimmt werden sollte. Anschließend ging es zurück zur anfänglichen Szene. Dabei ergab sich, dass ältere Versuchspersonen sich schlechter von der Unterbrechung "erholen" konnten als die Jüngeren.
Zwar untersuchte Gazzaley in seiner Studie nicht explizit die Nutzung von Computern und Smartphones, die ihre Nutzer den ganzen Tag über mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen lassen bzw. sie mit neuen Mails, Chatmitteilungen oder Facebook-Nachrichten in Bewegung halten. Es sei aber durchaus möglich, so der Forscher, auch dies in Betracht zu ziehen. "Technologie stellt eine größere Störung dar, als wir es hier getestet haben", sagte der Neurologe der New York Times.
Eine direkte Auswirkung der Forschungsarbeit wäre die Tatsache, dass ältere Arbeitnehmer mehr Zeit brauchen als jüngere. In den nächsten Jahren könne das Problem stark zunehmen, da die gesellschaftliche Relevanz solcher Multitasking-Anforderungen steige. Elektronische Medien griffen immer mehr um sich. Gleichzeitig altere die Arbeitsgesellschaft.
Anreiz des Gehirns
Gazzaley schaute seinen Probanden nicht nur bei der Arbeit zu, sondern verwendete bildgebende Verfahren, um einen Blick in das Gehirn zu werfen. Dabei zeigte sich, dass es jüngeren Menschen möglich war, die Gehirnbereiche, die von einer Aufgabe eingenommen wurden, schneller "auszuknipsen", um sich dann wieder einer anderen Tätigkeit zuzuwenden. Bei älteren Probanden blieben die Segmente dagegen länger aktiv.
Doch Multitasking belastet auch jüngere Menschen. Wie Forscher der Stanford University bereits 2009 ermittelten, fällt es Dauer-Multitaskern, die sich von unterschiedlichen Medien berieseln lassen, insgesamt schwerer, sich zu konzentrieren. Bei einer Farbauswahlaufgabe gelang es einer Gruppe von Nicht-Multitaskern problemlos, irrelevante Bereiche auszublenden, während die Multitasker ständig abgelenkt wurden.
Unterbrechungen werden beim Multitasking offensichtlich als eine Art Anreiz des Gehirns wahrgenommen. Mit der Zeit wird man "süchtig" nach frischen Impulsen, muss ständig Mails oder Facebook-Kommentare abfragen oder prüfen, ob die Lieblingswebsite neue Nachrichten gepostet hat.
Noch ist unklar, wie sich das Gehirn von Kindern verändert, die von klein auf Multitasking lernten. Eine Studie der psychologischen Fakultät der University of Minnesota kam zu dem Schluss, dass der Denkapparat noch bis zum sechszehnten oder siebzehnten Lebensjahr seine Fähigkeit schult, unterschiedliche Informationssignale nach Wichtigkeit zu sortieren. Entsprechend könnten "gelernte" Multitasker später besser mit solchen Anforderungen umgehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich die Konzentrationsfähigkeit verbessert.
Für ältere Menschen dürfte das kein Trost sein. Sie müssen laut Gazzaley damit rechnen, den Anschluss zu verlieren: Das Problem, sich von einer Sekunde auf die andere nicht mehr daran erinnern zu können, was man als nächstes tun wollte, sieht der Neurologe auch als Auswirkung auf die abnehmenden Multitasking-Fähigkeiten des Gehirns. Ob ein regelmäßiges Gehirntraining helfen kann, muss noch erforscht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier