: Neue Töne aus dem Exil
■ Internationale Komponistinnentage für Neue Musik auf dem Künstlerinnenhof Höge: Uraufführungen und Diskussionen zur Frage: Wie produktiv ist das Leben in der Fremde? Auch Ex-Stpendiatinnen waren zu Gast
Was bedeutet die Situation des Exils für künstlerisches Schaffen? Das war die Leitfrage einer Veranstaltung im Künstlerinnenhof Höge. Die Internationalen Komponistinnentage für Neue Musik begeisterten dort mit einem prallen Programm aus Diskussion und Konzerten. Dabei wurden Werke uraufausgeführt, die während Stipendienaufenthalten auf der Höge entstanden sind. Die MusikerInnen waren allesamt vom„Atelier für Neue Musik“ an der Hochschule der Künste Bremen unter der Leitung von David Stromberg.
Den musikalischen Auftakt bildete Betpak (1997) - ein einprägsames Klanggemälde der kasachischen Wüste. Bettina Skrzypczaks „Szene“ (2001) hingegen nimmt sich der seltenen Kombination von Geige und Violoncello an. Mit Klarheit und Wärme interpretierten Dana Anka-Matchin und David Stromberg. In ihrem Werk „Sprachrohr – de Sancta Maria“ (1997) bearbeitet und verfremdet Maria Carmen CÛrneci fünf Psalmen Hildegard von Bingens.
Die anschließende Podiumsdiskussion zwischen CÛrneci und Jazylbekova widmete sich den persönlichen Exilerfahrungen der Künstlerinnen. Beide Komponis-tinnen sehen in der Migration große Chancen hinsichtlich kreativer Entwicklung, gleichermaßen einig sind sie sich in der Ablehnung nationaler Etiketten und rücken eher die allen gemeinsame „internationale Heimatinsel“ Neue Musik in den Vordergrund.
In einer zweiten Diskussionsrunde diskutierten Noriko Nakamura, In-Sung Cho und Jin-Ah Ahn über den Konflikt zwischen der musikalischen Tradition ihrer Heimatländer Südkorea und Japan einerseits und der westlich orientierten Ausbildung andererseits.
In-Sun Cho war zwei Monate lang Stipendiatin auf der Höge, inmitten der Natur, welche die Komponistin als ihre wichtigste Inspirationsquelle bezeichnet. In dieser Zeit entstand der Entwurf zu „Klang aus der Ferne VII (2001)“. Die Uraufführung begeisterte das Publikum in intensiver Weise. Die Kombination von Celli, präpariertem Klavier, Shellchimes und Buckelgong versetzten den Hörer mitten in das sinnliche Erleben des Sommers, ohne jemals die Kontrolle über den Gestaltungsprozess zu verlieren und ins Klangschwelgerische abzudriften. Ganz ausgezeichnet agierten auch David Stromberg, Peter Albrecht und Mia Na. „Naga“ (1997) von Noriko Nakamura für Marimba solo, souverän interpretiert von Wilma Rehberg, zeichnete das schöne Bild des titelgebenden aus Tönen aufsteigenden Wasserdrachens. „Hope Lees Fei Yang“ (2001), eine Vorpremiere, spielte mit einer unüblichen Besetzung: Streichquartett und Bassakkordeon. Auch dieses Werk ist während eines Höge-Stipendiums entstanden, inspiriert vom schöpferisch anregenden Umfeld der Künstlerinnenkolonie und der Sommerlandschaft. Als siebtes Stück eines elfteiligen Zyklus über die chinesische Musikgeschichte fasst es musikalische Ideen aus den vorhergehenden Stücken zusammen. Jin-Ah Ahns „Ein Himmel – eine Erde“ (2001), eben fertig gestellt, ist das erste Werk, welches auf dem neu eingerichteten Videoschnittplatz der Höge entstanden ist. Ahn setzt sich darin mit gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus, Fanatismus und Barbarei auseinander. Die verwendeten Klaviertöne wurden ohne elektronische Verfremdung zusammengeschnitten zu einem impressiven Hörereignis, das der ZuhörerIn trotz der eindeutigen Bezugnahme viel Raum für eigene Gedanken lässt.
Die anregende und gut ausbalancierte Mischung aus spannender Musik und spannender Gespräche sorgte für viel Diskussionsstoff unter Publikum, MusikerInnen und Komponistinnen, der Wunsch nach einer Fortsetzung der Veranstaltung wurde laut. Das schöne Ambiente und die gute Organisation taten ein Übriges, die Höge einmal mehr als erstklassigen Veranstaltungsort für zeitgenössische Musik zu etablieren. Bleibt zu hoffen, dass man sich für eine Neuauflage der Veranstaltung entscheiden wird. Ulrike Ertle
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