Neue Superhelden-Comics: Kölsche Heldin, Allesblicker
Sarah Burrini geht in ihrem „Nerd Girl“-Comic ironisch zu Werke – und Pascal Jousselin spielt in „Unschlagbar“ gekonnt mit den Mitteln des eigenen Genres.
In der Regel nehmen sich die Superhelden amerikanischer Prägung, die mittlerweile in Kinos und an Kiosks omnipräsent sind, nicht sonderlich ernst. Vielleicht liegt’s ja an ihrer physischen Stärke, die sich auch optisch in ihren durchweg idealisierten Körpermaßen inklusive übertrainierter Muskelmassen spiegelt. Aber vor allem natürlich aufgrund ihrer jeweils exzeptionellen, im Dienst der Menschheit stehenden Superkräfte.
Dabei entsprangen diese „Übermenschen“ nicht selten den spätpubertären Fantasien von jugendlichen, körperlich schmächtigen Zeichner-Autoren-Teams. Werden die entfesselten übernatürlichen Kräfte allerdings zu dick aufgetragen, droht die Fantasie ins unfreiwillig Komische zu kippen. Das reizt auch Zeichner_innen des komischen Genres zur Verballhornung der mittlerweile im Mainstream angekommenen Spezies.
Dabei spricht doch gar nichts dagegen, dass Superhelden nicht auch klein und knuddelig sein können. Oder höchst durchschnittlich, wie „Nerdgirl“, eine Kreation der Kölner Comiczeichnerin Sarah Burrini, die bereits 2013 in der Webcomicserie „Das Leben ist kein Ponyhof“ die Figur Nerdgirl als Alter Ego ihrer Protagonistin Sarah dazuerfand (die ohnehin schon eine karikierte Spiegelung der Zeichnerin ist).
Nebenberufliche Abenteuer von Nerdgirl
Erste Auftritte des Nerdgirls waren schon in den Ponyhof-Strips (drei Bände erschienen bei Panini) zu lesen. Nun hat Burrini den „Nebenberuflichen Abenteuern von Nerdgirl“ ein eigenes Heft gewidmet, das passenderweise im typischen US-Comicheftformat erscheint. Endlich eine weibliche, deutsche Superheldin, mögen manche frohlocken. Doch wer Sarah Burrinis semiautobiografische Strips kennt, weiß, dass es auch beim Nerdgirl-Spin-Ooff nur höchst ironisch zugehen kann.
Sarah Burrini, Ines Korth (Farben): „Die nebenberuflichen Abenteuer von Nerd Girl“. Edition Kwimbi, 28 Seiten, 4,99 Euro
Pascal Jousselin: „Unschlagbar“ 1. Carlsen Verlag, 48 Seiten, 12 Euro
Sarah, die Möchtegernsuperheldin, die über eine Fülle unnützen Nerd-Wissens verfügt, versucht in passendem Outfit (Umhang, Augenmaske, Strumpfhosen), mithilfe der Taube „Deathwing“ und dem im Hintergrund agierenden Hacker „Tech-Guy“ dem Geheimnis von Einbrüchen in der Kölner Imbissbudenszene auf den Grund zu kommen. Dabei kämpfen offenbar Fleisch- gegen Veganimbissbetreiber gegeneinander, was zu einer zunehmend unappetitlichen Angelegenheit ausartet.
Während die Ponyhof-Comics kurze, pointierte Strips enthalten, ist das erste Nerdgirl-Heft auf eine längere (Krimi-)Geschichte angelegt, deren Zeichenstil ein Mix aus „Funny“-Elementen und dem Düster-Look aktueller Superheldenhefte ist, ohne das allzu Effekthascherische von diesen zu übernehmen. Sarah Burrini gelingt es, mit charmantem Witz und einer Prise Kölschem Lokalkolorit die Superheldenklischees süffisant zu parodieren.
„Unschlagbar“ im gelbschwarzen Kostüm
Während Nerdgirl von Superkräften nur träumen kann, verfügt ihr französischer Konkurrent „Unschlagbar“ souverän über die seinen. Dabei wirkt er optisch gar nicht heroenhaft: in seinem gelb-schwarzen Kostüm samt Augenmaske erscheint er untersetzt und leicht lächerlich. Der bescheiden zu Beginn jedes Strips als „der einzig wahre Superheld des Comics“ bezeichnete Held weist ein Alleinstellungsmerkmal auf, das mit den Erzählmitteln des zweidimensionalen Mediums Comics zusammenhängt.
Im Gegensatz zu den „normalen“ Superhelden der US-Comics hat Unschlagbar keine „Secret Identity“, er führt kein Doppelleben und muss nicht wie Clark Kent eine Telefonzelle suchen, um sich vom unscheinbaren Angestellten in einen Helden in Strumpfhosen zu verwandeln. Unschlagbar zieht wie jeder gute Comicheld seine Uniform nie aus. Eine typische „Unschlagbar“-Folge ist eine Seite lang (bis hin zu zehn Seiten in Band 1), und läuft folgendermaßen ab: Während der Held, der in „Kleinstadt“ zu Hause ist, alltäglichen Verrichtungen nachgeht – etwa für die Oma einkauft oder bei ihr zum Essen eingeladen ist –, passiert ein „unerhörtes Ereignis“, ein Vorfall oder ein Verbrechen.
Oft wird er per Handy von befreundeten Gendarmen gerufen, wenn diese etwa einen Dieb verfolgen, der einfach zu schnell für sie ist. Kein Problem für Unschlagbar: Er kann voraussehen, was in den kommenden Comic-Kästchen passiert (er sieht dabei einfach von seinem Panel aus in die folgenden der Seite hinunter), und so kommt ihm auch sein zukünftiges Ich zu Hilfe und lauert dem Läufer bereits dort auf, wo er gerade hinhastet.
Durch Buchseiten gehen
Pascal Jousselin reizt dieses einmal etablierte Prinzip aufs Feinste aus, indem er immer raffiniertere Variationen seiner Ausgangssituation erfindet und Unschlagbar zunehmend komplexere Fälle lösen muss, die ihn auch Fälle von Korruption in Politik und Wirtschaft verhindern helfen. Nicht fehlen dürfen: ein wahnsinniger Wissenschaftler und ein Superbösewicht namens Scherzkeks – Batmans Joker lässt grüßen –, der durch Buchseiten gehen kann.
Ein Nachwuchstalent nach „Robin“-Art steht dem Helden zur Seite: „Two-D-Boy“, der die zweidimensional gezeichneten Dinge in seiner Umgebung – Bäume, Autos oder Tiere – wie Spielzeuge hochheben und versetzen kann. Ein aus dem Nest gefallenes Küken kann in Two-D-Boys Händen zum Monster werden und eine rücksichtslose Pharmaunternehmerin dazu bewegen, zur Umweltaktivistin zu mutieren.
Unschlagbars Zeichner Pascal Jousselin (Jahrgang 1973) hat in Frankreich bereits zahlreiche, meist parodistisch angelegte Reihen (etwa mit „Michel Swing“, eine Persiflage von Rennfahrercomics wie „Michel Vaillant“) für die Comicmagazine Fluide Glacial oder Spirou entwickelt, und bereits mit Lewis Trondheim zusammengearbeitet.
„Unschlagbar“ ist seit längerer Zeit – manch einer erinnert sich an Gotlibs „Superdupont“, die Parodie des Superfranzosen mit Schnurrbart und Baskenmütze – der originellste komische Superheld, der wie kein anderer das eigene Medium auf intelligente Weise zu nutzen versteht. Beide Parodien schaffen das Kunststück, sowohl erwachsene wie jugendliche Leser mit intelligentem Humor anzusprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“