Neue Strategien der Immobilienfirmen: „Mietendeckel ist Sand im Getriebe“
Börsennotierte Immobilienkonzerne verdienen auch an Hartz-IV. Warum der Mietendeckel ein Mittel dagegen ist, erklärt Soziologe Philipp Metzger.
taz: Herr Metzger, was versteht man unter der Finanzialisierung des Wohnungsmarkts?
Philipp Metzger: Unter Finanzialisierung verstehen wir in der Forschung, dass in der Ökonomie das Finanz- gegenüber dem Industrie- und Handelskapital größer geworden ist. Viele Unternehmen passen ihre Profitstrategien dem Finanzkapital an.
Was hat sich am Wohnungsmarkt verändert?
Lange Zeit existierten auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland neben dem öffentlichen Wohnungsbau private VermieterInnen und kleine Wohnungsunternehmen.
38, promovierte als Politologe an der Universität Wien
Erst im Zuge des Neoliberalismus Anfang der 1990er Jahre sind ungefähr eine Million Wohnungen in das Eigentum von Immobilienkonzernen übergegangen. Diese agieren ganz anders als andere Eigentümergruppen. In der ersten Phase dominierten Ende der 1990er Jahre Private-Equity-Firmen. Das sind Investmentfonds mit einem kurzfristigen Anlagehorizont. Wohnungen werden maximal fünf Jahre bewirtschaftet.
In dieser Zeit werden die Mieten erhöht, und die Wohnungen werden dann wieder gewinnbringend verkauft. Die börsennotierten Immobilienfinanzkonzerne hingegen wirtschaften langfristig und setzen auf Modernisierung, um die Profite zu erhöhen. Sie versprechen ihren AktionärInnen, die Rendite auf 30 Prozent zu erhöhen. Sie sind daher massiv unter Renditedruck.
Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Sowohl die Deutsche Wohnen als auch die Vonovia sind Anfang der 2000er Jahre aus solchen Immobilienfonds entstanden.
Sie schreiben in Ihrem Buch von einer Hartz-IV-Strategie der Immobilienwirtschaft. Was verstehen Sie darunter?
Die Konzerne verkaufen in einem Gebiet Cluster, das sind zusammenhängende Gebiete von Wohnblöcken. Dann können sie die Miete erhöhen, was sich auf den Mietspiegel auswirkt. Dadurch steigt die Bemessungsgrundlage für Hartz-IV-EmpfängerInnen bei den Mieten. Gewinner sind aber die Finanzkonzerne.
Können Sie ein Beispiel für diese Strategie in Berlin benennen?
In der Gropiusstadt in Neukölln setzt die Deutsche Wohnen diese Hartz-IV-Strategie um. Ähnliche Entwicklungen kann man in Marzahn und Lichtenberg sehen.
Warum wird darüber in der Literatur zur Gentrifizierung so wenig gesprochen?
Die meisten AutorInnen nähern sich der Gentrifizierung über das Thema Stadtentwicklung an. Ich nähere mich dem Thema hingegen vom Finanzmarkt. Daher schaue ich auf die Finanzinvestoren als Treiber der Gentrifizierung.
Warum beschäftigen Sie sich in einem Kapitel mit Arbeitskämpfen bei Vonovia?
Die Wohnungsbranche hatte lange eine 100-prozentige Tarifanbindung. Bei Vonovia arbeiten heute noch knapp 15 Prozent der Beschäftigten nach Tarifvertrag. Anders als die Private-Equity-Fonds setzten die börsennotierten Wohnkonzerne nicht auf Outsourcing, sondern auf Insourcing. Das bedeutet, dass vorher ausgegliederte Unternehmensteile wieder integriert werden, aber ohne Tarifvertrag. Dabei spart man Steuern, und in einem Büro sitzen KollegInnen mit einer Lohndifferenz von 1.000 Euro. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi scheiterte 2013 bei dem Versuch, bei Vonovia wieder einen Tarifvertrag zu erkämpfen, weil es eine massive Gegenkampagne und Unionbusting vonseiten des Konzerns gab.
Welche Rolle spielt die Politik bei der Finanzialisierung?
Das war kein Betriebsunfall, sondern politisches Ziel. Vier Finanzmarktgesetze haben das Konzept beschleunigt. Die Liberalisierungen fingen mit Helmut Kohl an und wurden unter Rot-Grün radikalisiert. Und dieser Prozess hält bis heute an. Auch im ersten Koalitionsvertrag der Groko stand, dass man den Immobilienmarkt stärker in den globalen Finanzmarkt integrieren will. Gleichzeitig hat sich der Bund aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen. Und die öffentlichen Wohnungsbestände wurden in Ost- und Westdeutschland seit Anfang der 1990er Jahre zu Spottpreisen verscherbelt.
Setzt die Berliner Politik nicht mit dem Mietendeckel auch andere Akzente?
In der Tat ist der Mietendeckel Sand im Getriebe der Finanzialisierung. Für die Deutsche Wohnen könnte dadurch nach Eigenaussage des Vorstandsvorsitzenden Michael Zahn in verschiedenen Interviews ein jährlicher Schaden von 330 Millionen Euroentstehen. Wenn man die Wohnungen wieder in öffentliche Hand bekommen würde, wie es die Initiative Deutsche Wohnen enteignen plant, wäre das ein klares Signal gegen die Finanzialisierung des Wohnungsmarkts.
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