Neue SPD-Minister*innen-Riege: Radikales Austauschprogramm
Parteichef Lars Klingbeil schmeißt fast das gesamte alte SPD-Personal raus. Die schwierigste Aufgabe liegt aber noch vor ihm – seine Doppelrolle.
M ut hat er ja, der neue Vizekanzler und alte SPD-Chef, Lars Klingbeil. Mut zu radikalen Entscheidungen, die auch Enttäuschungen produzieren. Mit dem Personaltableau für die künftige Bundesregierung hat der mächtigste Mann der SPD gleich mehrere bisherige Minister:innen in den vorläufigen Ruhestand geschickt: Hubertus Heil, Svenja Schulze, Karl Lauterbach, Nancy Faeser, Klara Geywitz – sie alle hätten gern weitergemacht und wurden nun abserviert.
So hat Klingbeil eines seiner Versprechen vom Wahlabend, die personelle Neuaufstellung der Partei, im exekutiven Teil schon mal abgehakt. Dass auch die Karriere der SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken, die ebenfalls auf ein Amt in der Bundesregierung gehofft hatte, dem Ende zustrebt, fällt in diesem kollektiven Austauschprogramm kaum noch auf. Damit ist Esken, deren Person heiß und zuweilen sehr unfair diskutiert wurde, ein gesichtswahrender Abgang ermöglicht worden.
Sie, die beim Parteitag im Juni voraussichtlich auch als SPD-Vorsitzende abtritt, wird nun gleichberechtigtes Mitglied im Club der von Klingbeil Geschassten. Was die Mitglieder verbindet: Sie alle repräsentieren die abgewählte Ampelregierung. Das Signal, das Klingbeil setzt: Wir starten neu durch. Nun ja, so frisch sind die neuen Gesichter auf den zweiten Blick gar nicht. Einige, wie Carsten Schneider und Reem Alabali-Radovan, haben bereits die vergangenen dreieinhalb Jahre als Staatsminister:innen im Kanzleramt Tür an Tür mit Olaf Scholz gearbeitet.

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Mit Klingbeil selbst und Boris Pistorius haben sich zudem zwei Männer Schlüsselressorts gesichert, die prägend für die SPD in der Ampel waren. Und im Falle von Klingbeil auch an führender Stelle verantwortlich für den Absturz der Sozialdemokraten am Wahlabend des 23. Februar. Das kann man frech nennen oder machttaktisch versiert. Zumindest spricht es für die kommunikativen Fähigkeiten des Parteivorsitzenden, dass aus der SPD zurzeit wenig Murren zu hören ist. Nach dem Debakel vom Wahlabend sind SPD-Supermann Klingbeil mit dem Koalitionsvertrag und dem eigenen Regierungsteam jedenfalls zwei Schritte aus der Agonie geglückt. Die schwierigsten Aufgaben liegen aber noch vor ihm: Er muss loyal mit Friedrich Merz und der Union zusammenarbeiten und gleichzeitig die SPD zu neuen Erfolgen führen.
Sein Vorgänger im Finanzministerium – Christian Lindner – war an der Doppelbelastung als Minister und Parteivorsitzender gescheitert. Klingbeil dürfte entgegenkommen, dass die Ziele von Amt und Wahlprogramm nicht wie bei der FDP diametral auseinanderliegen, sondern weitgehend deckungsgleich sind: Milliarden investieren, die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und die Mitte entlasten. Mal sehen, ob die Umstände und die Union Klingbeil gewähren lassen.
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