Neue Regierung in Finnland: Minister für zehn Tage
Wegen seiner Verbindungen zur Neonazi-Szene muss Wirtschaftsminister Junnila gehen. Die „Wahren Finnen“ sprechen von einer Schmutzkampagne.
So beispielsweise ein Auftritt, den er 2019 als Hauptredner bei einer Veranstaltung hatte, die Medien als Treffen der „Who's who finnischer Neonazis“ einstuften. Und bei dem von einer Nachfolgeorganisation der „Soldiers of Odin“ bis zu der ein Jahr später verbotenen „Nordischen Widerstandsbewegung“ die gewaltbereitesten Neonazi-Gangs Finnlands vertreten waren. Auf Medienfragen versuchte sich Junnila damit herauszureden, dass ihm die teilnehmenden Organisationen im einzelnen gar nicht bekannt gewesen seien.
Was allerdings ebenso wenig glaubwürdig war wie sein Versuch, antisemitische Äußerungen und die Verwendung von Nazi-Codes und -Symbolen in sozialen Medien und in seinen Wahlkampagnen mit einer „zeitweisen Neigung zu dummen Scherzen“ zu erklären. Solche Art „Humor“ sei tatsächlich eine übliche Praxis der extremen Rechten, um ihre Botschaften zu verbreiten, sich aber gleichzeitig zur Not wieder mit „Gar-nicht-so gemeint“ oder „war nur Spaß“ davon distanzieren zu können, analysierte der Kulturwissenschaftler Riku Löf.
„Gas Geben“-Plakat und geschönter Lebenslauf
Ganz typisch sei beispielsweise Junnilas „Gas“-Kampagne gewesen. Den Slogan „Gas! Vilhelm Junnila“ hatte der bei seiner persönlichen Wahlkampagne verwendet. Was bislang nur in Internetforen diskutiert wurde, fand nun auch den Weg in Tageszeitungen wie Helsingin Sanomat: Hatte er sich da vom „Gas Geben“ auf NPD-Wahlplakaten inspirieren lassen, die vor einigen Jahren in Deutschland große Empörung ausgelöst hatten? „Wenn wir nicht aufpassen, verschiebt sich das immer mehr in eine extreme Richtung“, warnt Löf: „Was bisher bei einem Politiker nicht akzeptabel war, gilt irgendwann als normal.“
Beim Wirtschaftsminister gab es noch mehr zu entdecken. Offenbar hat er seinen Lebenslauf „geschönt“ und ein behauptetes Studium nie absolviert. Und da war sein Vorschlag, den Klimawandel mit „der Förderung von Klimaabtreibungen“ bei afrikanischen Frauen einzudämmen. Damit könne man der wahren Ursache der Erderwärmung begegnen, der „Überbevölkerung“. Sogar dem ansonsten bei der Kommentierung innenpolitischer Vorgänge recht zurückhaltendem Staatspräsidenten Sauli Niinistö platzte angesichts solch offenem Faschismus der Kragen: „Das ist gelinde gesagt sehr peinlich für die Regierung. Gelinde gesagt.“
Misstrauensvotum der Grünen
Die Grünen-Fraktion entschloss sich, gegen Junnila ein Misstrauensvotum im Reichstag zu beantragen. Dem schlossen sich binnen weniger Stunden alle anderen Oppositionsparteien an. Bei der Abstimmung am Mittwoch hielten 86 Reichstagsabgeordnete Junnila als Minister für untragbar, 95 sprachen ihm das Vertrauen aus. Ein Abstimmungserfolg für ihn, der aber keiner war: Die Regierung hat nämlich eine Parlamentsmehrheit von 109 Mandaten.
Offenbar lag dem Ergebnis ein taktisches Abstimmungsverhalten zugrunde. Riikka Purra, die Vorsitzende der Wahren Finnen, hatte die Koalitionsparteien vor der Abstimmung erpresst: Sollte das Misstrauensvotum Erfolg haben, würde das gleichzeitig automatisch das Ende der Koalition bedeuten. Was die Fraktionen der anderen drei Regierungsparteien vermeiden wollten. Auffallend viele Abgeordnete fehlten dann plötzlich bei der Abstimmung und bei der Schwedischen Volkspartei wurde festgelegt, wie viele ParlamentarierInnen Junnila das Misstrauen aussprechen dürfen und wer sich nur der Stimme enthalten sollte.
Damit verlor Junnila die Abstimmung zwar nicht und Purra musste ihre Drohung nicht wahr machen. Aber das Signal war unmissverständlich: Zum ersten Mal in der finnischen Parlamentsgeschichte sprachen Abgeordnete von Regierungsparteien einem Kabinettsmitglied offiziell das Misstrauen aus. Ministerpräsident Petteri Orpo machte außerdem klar, dass mit diesem Votum der Fall Junnila nicht erledigt ist. Er habe ein „sehr ernstes Gespräch“ mit seinem Wirtschaftsminister geführt, teilte er mit und kündigte für kommende Woche ein Treffen der Regierung an, bei dem ein Tagesordnungspunkt die rechtsextremen Kontakte Junnilas sein sollten.
Die „Wahren Finnen“ sprechen von Schmutzkampagne
Dazu kam es nicht mehr, weil der am Freitag die nach Orpos Worten „einzig mögliche Konsequenz zog und den richtigen Beschluss fasste“. Vermutlich hatte ihm auch seine Parteivorsitzende geraten seinen Rücktritt zu erklären, denn auch die Wahren Finnen konnten kein wirkliches Interesse daran haben, die Koalition nach weniger als 2 Wochen schon wieder platzen zu lassen. Purra lobte jedenfalls, Junnila habe „das Rückgrat gezeigt, das ich von ihm kenne“ und er habe „weder Finnland noch der Bewegung der Wahren Finnen schaden wollen“.
Gleichzeitig beklagte sie aber den gesamten Vorgang als Ergebnis einer gezielten Schmutzkampagne gegen ihre Partei. „Gewisse Kreise“ seien schon dabei, sich auf ein weiteres Kabinettsmitglied einzuschießen: „Innenministerin Rantanen soll anscheinend das nächste Ziel sein.“ Und Purra warnte schon einmal angesichts möglicher neuer Misstrauensvoten: „Entweder ist das eine Regierung, die geschlossen auftritt oder eine, die es dann nicht mehr geben wird.“
Mari Rantanen könnte tatsächlich ein nächstes Misstrauensvotum gelten. Von ihr stammen Äußerungen, die laut dem Ideenhistoriker Olav Melin auf „im höchsten Grade rassenbiologisches Denken“ schließen lassen. Außerdem wird sie kritisiert, weil sie noch im März Tweets unter dem Hashtag „Bevölkerungsaustausch“ verbreitete. Eine Verschwörungsideologie mit der beispielsweise auch der Rechtsterrorist und Massenmörder Anders Breivik seine Taten zu rechtfertigen versuchte und die vom finnischen Verfassungsschutz „als eine der wichtigsten ideologischen Triebkräfte des Rechtsterrorismus“ eingestuft wird.
Kommt dieses Thema auf den Tisch, könnte es abgesehen von der Innenministerin gleich für mehrere Ministerinnen der Wahren Finnen eng werden. Die Vokabel scheint nämlich auch zum regelmäßigen Sprachgebrauch von Justizministerin Leena Meri und von Purra selbst, der Parteivorsitzenden und Finanzministerin, gehört zu haben.
Mit Junnilas Abgang dürfte die Regierungskrise nicht gelöst sein, sondern könnte nach der parlamentarischen Sommerpause erst so richtig in Gang kommen. Er erwarte jetzt eine größere Debatte über die Zukunft dieser Regierungszusammenarbeit, sagt Tapio Raunio, Staatswissenschaftsprofessor an der Universität Tampere: „Für mich wäre es ein Wunder, wenn diese Regierung eine ganze Legislaturperiode durchhält.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour