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Neue Musik von SKRSINTL und TapesIm Paralleluniversum des Dub

Dub erfährt in den Neu-Interpretationen durch das Kollektiv SKRSINTL und den Produzenten Tapes eine zeitgemäße Modernisierung.

Die Suche beginnt am Pazifik: SKRSINTL Foto: Matthew Power

Ästhetik und Ökonomie – der marxistische US-Kulturkritiker Frederic Jameson sieht beides in der Warenform des globalisierten Hyperkapitalismus aufs Engste miteinander verknüpft. Wie Musik in ihrer warenförmigen Zirkulation an kulturellem Mehrwert gewinnt, lässt sich etwa anhand der Wege veranschaulichen, die Dubsound von Jamaika aus um die Welt genommen hat.

In Jamesons Theorie ist zwischen Dub als ästhetischem Prozess und Dub als Ware auf dem Markt zu unterscheiden. Zuerst nahmen die karibischen Emigranten ihre Musik in den späten Fünfzigern mit, als sie nach Großbritannien, in die USA und nach Kanada auswanderten. Auch dort entstanden bald Soundsystems – mobile DJs mit eigenen Verstärkeranlagen und eigenen Platten als Sonderpressungen, Dubplates genannt – nach jamaikanischem Vorbild. Heute gibt es eine Soundsystemkultur auch in Japan. Und in Kanada hat sich ihr sogar eine neue Migrantengeneration angenommen.

Schon der Name des kanadischen Dubkollektivs SKRSINTL ist eine Hommage an die frühen jamaikanischen Soundsystems. Die Buchstaben stehen für Seekersinternational. ­Dahinter steckt ein Konglomerat von acht, manchmal bis zu dreizehn Künstlern, das im pazifischen Nordwesten an der kanadischen Westküste im Bundesstaat British-Columbia nahe der Stadt Vancouver nach dem Rotationsprinzip arbeitet.

Firmenwappen auf Lautsprecherboxen

Angefangen hat SKRSINTL tatsächlich als Soundsystem, gegründet von philippinischen Auswanderern, die in den Neunzigern nach Vancouver gekommen waren. Seit Mitte der nuller Jahre veröffentlichen die MusikerInnen unter dem Namen SKRSINTL immer wieder auch eigene Produktionen, die die Traditionen von Dub­reggae in der digitalen Ära fortschreiben: Mal sind es einzelne Singles und Tracks auf Audiokassetten, immer wieder auch Alben, so wie kürzlich „LoversDedicationStation“, womit SKRSINTL nun auch inter­na­tio­nal bekannt wurden. „Uns gefällt, wie die jamaikanischen Soundsystems schon visuell ihre Stempel aufsetzen. Oft genügen Firmenwappen, die auf die Lautsprecherboxen der Soundsystems gesprüht sind. Deshalb kürzen wir unseren Namen Seekersinterna­tio­nal in Großbuchstaben ab“, schreibt eines der Bandmitglieder.

Wir machen nicht nur Dubversionen vorhandener Songs, unser Leben wird als Dubversion lebenswerter

SKRSINTL

Dub begann zur Blütezeit des Reggae Ende der sechziger Jahre. Musik in Jamaika hat seit jeher einen kommunalen Charakter: Menschen hören neue Songs zuerst auf Partys, die auf der Straße und in Parks stattfinden. Die größten Hits wurden ver­sio­niert, das heißt, als Instrumentals vom Original abgezapft oder wiederum als A-cappella-Fassung mit anderem Arrangement und neuem Titel versehen.

Dub entstand als frühe Form von Nachhaltigkeit in der Nutzung knapper Ressourcen: Zur Mitte der siebziger Jahre entwickelten sich Dub-Abmischungen mit Hilfe von Effektgeräten und Studio-Mehrkanaltechnik zur raffinierten Kunstform. Produzenten wie Lee „Scratch“ Perry und King Tubby wurden bekannt, weil sie selbst aus den kitschigsten Reggaesongs haarsträubend düstere Dubversionen kondensieren konnten. Dubproduzenten waren auch die Ersten, die das Mischpult als Instrument einsetzten. Eine Technik, die heute noch im Dancefloor-Sound gang und gäbe ist.

Der britische Reggae-Experte Lloyd Bradley erklärt das Phänomen so: „Einzelne Soundelemente aus einem Song zu isolieren und danach im Mix anders anzuordnen … schuf eine Art spirituelle Verbindung nach Afrika und den Praktiken des Obeah.“ In dieser afrikanischen Homöopathie wird der Körper in sieben Bestandteile unterteilt und hernach geremixt“.

Sirenen und Hundegebell

Der Dub von einst taucht auf dem aktuellen SKRSINTL-Album „LoversDedicationStation“ als Echo auf. Wie eine Flaschenpost, die nach langer Reise übers Meer an einer anderen Stelle angeschwemmt wird, ist das durchaus gespenstisch in seiner Anmutung: Die Musik von SKRSINTL klingt kaskadenhaft, sie erzeugt ihre Dramaturgie gerade in ihrem unsteten Wesen: Stimmfetzen, Sirenen, Hundegebell und Türknarren sind melodiöse Bestandteile im Mix, genau wie Keyboard-Fiepen und prasselnde Beats. Immer wieder wird jedes Geräusch fragmentiert und zerbröselt, Beats und Melodien nehmen erst Konturen an und tauchen dann wieder unter im Mix. Es sind Effekte wie Delay und Reverb, die Eingängigkeit erzeugen.

So entstand eine Musik dritter Ordnung: SKRSINTL sind inspiriert von Lovers Rock, einem Reggae-Subgenre, das maßgeblich von afrobritischen Produzenten der frühen achtziger Jahre entwickelt wurde, die sich wiederum auf klassischen jamaikanischen Rocksteady-Sound bezogen hatten und gleichzeitig auch US-Soul-Einflüsse inkorporierten. „Lovers Rock war unsere Ausgangsidee. Wir haben uns überlegt, wie dieser Sound heute klingen könnte, und stellen uns London in einer Parallelwelt vor.“

Die Künstler

SKRSINTL: "LoversDedicationStation" (Bokeh Versions);

Rezzett: "Doyce" (TheTrilogyTapes);

Tapes: "No Broken Hearts on the Factory Floor" (Corner Stone Music);

Tapes DJ-Set, 21. Januar "Sameheads" Berlin

SKRSINTL beschreiben Dub ebenfalls als „Dub from a Parallel Dimension“, ein Labor für Kreativität. „Es ist unser Transportmittel, mit dem wir an andere Orte gelangen. Aber Dub ist keine Klangnorm. Wenn wir Dubversionen anfertigen, gehen wir nie nach Schema F vor, wir machen keine Riddims, Dub ist Lebensphilosophie, viel mehr als nur ein Musikgenre. Es ist zwar eine der schönsten jamaikanischen Erfindungen, aber der Spirit dahinter ist universell anwendbar. Wir machen keine Dubversionen von vorhandenen Songs, wir machen Dubversionen von unserem Leben insgesamt, damit es lebenswerter wird.“

Mann mit Maske: Tapes alias Jackson Bailey Foto: Mathew Snow

Von den verschlungenen Wegen des Dub weiß auch der britische Produzent Jackson Bailey zu erzählen. Geboren in London ist er als Fünfjähriger mit seiner Familie nach Neuseeland ausgewandert, in Matakana, später Auckland groß geworden und als Teenager wieder zurückgekehrt nach England, wo er „Sonic Arts“ studierte, ohne Abschluss. Inzwischen lebt Bailey in Amsterdam. „Tapes“ war zuerst sein DJ-Name.

„Als Student hatte ich wenig Geld. Während sich meine Kommilitonen Dubplates kauften, besaß ich lange Zeit nicht mal einen Computer, sondern habe mit ein paar Platten und vielen Audiokassetten aufgelegt. Das wurde dann mein Ding, und ich legte ausschließlich Tapes auf. Als Tapes produziert Jackson Bailey inzwischen auch eigene Tracks und hat einen eigenwilligen Garagen-Dancehall-Sound geschaffen.

Auf seinem 2015 erschienenen Doppelalbum „No Broken Hearts on the Factory Floor“ ist LoFi nicht nur Mittel zum Zweck. Tapes setzt seine Kassetten-DJ-Technik konsequent in der Produktion fort. „Jedes Tapedeck klingt anders, ich mische meine Musik auch darauf ab, weil ich ihr Rauschen in meinen Sound integriert habe. Meine Drummaschine stammt von einer alten Lowery-Orgel, die ich auf der Straße gefunden habe.“

Grenzüberschreitende Schroffheit

Wie SKRSINTL verwendet auch Tapes klassische Produktionsmethoden und mischt sie mit eigenen Anschauungen. „Ich verstehe unter Dub die Methode, im Mix versteckte Widersprüche einer musikalischen Figur nach vorne zu bringen und wieder verschwinden zu lassen.“ Jackson Bailey definiert die Praxis des Dub als grenzüberschreitend, was Musikgenres angeht. 2013 und 2014 hat Bailey eine Weile in Leipzig gewohnt und sich mit dem Digidub-Produzenten Disrupt angefreundet, aber auch den Elektronikproduzenten Kassem Mosse kennengelernt. Wenn er heute zurück nach London reist, macht er unter dem Alias Rezzett zusammen mit dem Produzenten Lukid roughen House, der in seiner Schroffheit entfernt den Prinzipien des Dub verpflichtet ist.

Tapes sagt von sich, dass er sich der Klangsprache von Dub eher „semantisch verbunden“ fühle, seine Musik folge aber letztendlich eigenen, von den Erfahrungen der Auswanderung und Rückwanderung geprägten Lebenserfahrungen. Die Sounds von SKRSINTL und Tapes sind Beispiele für den Erfindungsreichtum von Migration. Was ihre zeitgenössischen Dubversionen mit Frederic Jame­son zu haben: Sie schöpfen aus der Vergangenheit und implizieren ein besseres Leben in der nahen Zukunft. „Utopisches Denken“, hat Jameson geschrieben, „behält im Auge, dass es ein Leben gibt, dass sich radikal von der Gegenwart unterscheidet, indem es sie negiert.“

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