Neue Musik aus Brooklyn: Beats mit Töpfen und Schüsseln
Verschwurbelte Geräuschmusik aus dem Südosten New Yorks: Zwei neue Bands aus Brooklyn betreten die Bühne.
Auf der Suche nach einer Musik, die all die Verkürzungen, Zuspitzungen und Verwirrungen der jüngsten amerikanischen Geschichte detailliert abbildet, ohne sich in ironischer Distanz zu ergehen, wird man in der Noise-Szene fündig. Egal, ob in den gemütlichen College-Städten Oregons oder den Metropolen an der Ostküste, überall tauschen junge Karohemdenträger auf Kassettenlabels selbst aufgenommene Feedbackschleifen aus, die ihre Dissidenz durch zielloses Spielen mit Instrumenten oder durch geballten Lärm artikulieren.
Wie viel Platz dabei für ein hybrides Dazwischensein ist, lässt sich bei den Boardrum-Sessions in Brooklyn-Williamsburg beobachten. In diesem Jahr durfte das New Yorker Projekt Gang Gang Dance das "Boardrum88" dirigieren. Eine Aufgabe, die wie geschaffen für das Ensemble zu sein schien, das sich bei seinen Live-Auftritten um drei Drumkits schart und von dort aus einen Freakout zelebriert, der verzückende Folgeschäden hinterlässt. Als 2005 ihr zweites Album "Gods Money" veröffentlicht wurde, war dieser Sound das große Unbekannte: Psychedelisch, ohne durch lärmendes Gitarrenfeedback geerdet zu werden, zu unbestimmbar elektronisch, um von den queer angehauchten Retro-Folkern adaptiert zu werden, die zeitgleich von den Bürgersteigen Brooklyns auf die Laufstege aufstiegen. Ein Album wie ein Wurzelstrang. Oder viele.
Dieses Geflecht wird auf Gang Gang Dances neuem Album "Saint Dymphna" langsam in seinen Zutaten sichtbar. Es bedient sich bei allem, was dem durchschnittlichen Gegenwartswestler zwischen Radio und RSS-Feed Tag für Tag entgegentönt. "House Jam" startet mit einem harmlosen Rockbeat und Acid-Fanfaren und endet in verhallten Wave-Gitarren und dem vollkommen weltentrückten Gesang von Liz Bougatsos. "Princes" stolpert über einen Grime-Beat inklusive MC-Einsatz mitten in eine Noise-Kaskade, fängt sich auf den letzten Metern, nur um nach einem kurzen Interlude gleich das nächste Überrollen der Synapsen einzuleiten.
Die High Places dagegen lieben den Loop. Doch nicht seine minimalistisch-kickende, sondern die schnörkelig-verspielte Spielart ziert das Debütalbum des Duos aus Brooklyn. Auf "High Places" präsentieren Rob Barber und Mary Pearson kleine Westentaschensymphonien, die ihre Instrumentierung mit einer Akustikgitarre, Töpfen, Schüsseln und dem Fagott aus Pearsons Kinderzimmer bestreiten.
Dabei sind zehn Songs entstanden, deren verhallte Soundwelten weit über ihre Ursprünge hinausweisen. In jedem Song der High Places finden sich Spuren der amerikanischen Nachkriegsavantgarde und Gegenkultur: John Cages spielerisches Beharren auf der prinzipiellen Allgegenwart musikalischer Klänge, die nerdig vernarrte Proto-do-it-yourself-Haltung eines Harry Partch und ein Interesse an persönlicher Mythologie, welches am Black Mountain College wohl gut aufgehoben gewesen wäre und sich in Pearsons Lyrics gerne mit hintergründigen Kalauern verbrüdert.
Dennoch ist es keine Vorliebe der High Places, mit ihrem guten Geschmack zu protzen. Das Epos der Avantgarde, die große Erzählung von Fortschritt und Scheitern sind nicht ihre Sache, eher die Sammlung von kleinen Geschichten und nutzlosen Glückskeks-Aphorismen. Für ihre zurückhaltend verrauschte Musik haben die beiden alle Sounddetails passgenau geschliffen, um genau diesen einlullenden Flow hinzukriegen, der das Hören ihres Debüts so kurzweilig macht.
Auf diese Weise bilden die High Places den kleinen Widerspruch zum schwitzenden und rebellierenden Jungskörper, der den Krach so verehrt, dass er ihn auf seinem Trommelfell verewigt hat. High Places spielen Wiegenlieder für Aufgeweckte, denen klar ist, dass das Spiel mit Lärm dann in die Sackgasse führt, wenn es die gleichen Wege wie seine Gegner geht.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE
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