Neue Landtagspräsidentin in Thüringen: Gesellschaftliche Brückenbauerin
In Erfurt wurde am Dienstag zum bundesweit ersten Mal eine Linken-Politikerin zur Landtagspräsidentin gewählt. Wer ist Birgit Keller?
Die 60-Jährige ist die erste von der Linken gestellte Landtagspräsidentin in Deutschland. Das passt Politikern wie dem Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich nicht, der an alten Feindbildern festhält und die Entwicklung der gewendeten PDS seit 1989 ignoriert. Er hatte angekündigt, seine kleine FDP-Fraktion werde sich bei der Wahl der Stimme enthalten.
Denn die gelernte Elektromonteurin Birgit Keller trat bereits 1977 als 18-Jährige der SED bei und stieg über die Jugendorganisation FDJ bis zur Mitarbeiterin der SED-Kreisleitung in Nordhausen auf. Zu allem Überfluss erwarb sie über ein Fernstudium 1988 noch ein Diplom als Gesellschaftswissenschaftlerin.
Eine beträchtliche Altlast in den Augen der Kommunistenhasser also, wäre da nicht ihre zweite Laufbahn nach 1990. Bis 2012 betrieb sie nämlich als selbständige Unternehmerin einen Tankanlagenservice in Sangerhausen. Parallel dazu trainierte sie – wenn man so will – zehn Jahre lang als Kreistagspräsidentin in Nordhausen schon für ihr neues, formal höchstes Thüringer Amt als Landtagspräsidentin.
Das Direktmandat für den Erfurter Landtag schnappte ihr bis 2019 regelmäßig Egon Primas weg, bis sie dieses Jahr mit 32,3 Prozent erstmals vor dem CDUler lag. Eine solche Niederlage gegen Keller hatte Primas schon einmal wegstecken müssen. 2012 hatte sie sich in der Landratswahl im Kreis Nordhausen gegen ihn durchgesetzt.
Den Einwohnerverlust konnte sie nicht stoppen
Landrätin blieb sie damals indes nur zwei Jahre, weil Ministerpräsident Bodo Ramelow sie 2014 als Infrastruktur- und Landwirtschaftsministerin in sein Kabinett holte. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, nicht nur wegen der im waldreichen Thüringen ausgeprägten Schäden durch Sturm, Dürre oder Borkenkäfer. Als Interessenvertreterin der Landwirtschaft lag Keller manchmal quer mit dem von der Grünen Anja Siegesmund geführten Umwelt- und Energieministerium.
Auch bei der besonders von ihren Linksparteifreunden in der Fraktion forcierten Gebietsreform hatte sie es nicht so eilig. Indes hat auch die Ministerin Keller trotz vorbildlicher Mobilitätsprojekte besonders in ländlichen Räumen den Einwohnerverlust Thüringens nicht stoppen können.
Dennoch: Linken-Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hat gewiss recht, wenn sie Birgit Keller als „über Parteigrenzen hinweg anerkannt und geachtet“ bezeichnet. Sie gelte als verbindlich und fachlich kompetent, als „gesellschaftspolitische Brückenbauerin“. Fähigkeiten, die für ein moderierendes Präsidentinnenamt prädestinieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund