Neue Krimireihe mit Tatort Lübeck: Western an der Ostsee
Der Krimi „Käpt’n Hook“ (Das Erste, 20.15 Uhr) erzählt mit lakonischem Humor von einem Ex-Polizisten, der an der Küste einen Neustart versucht.
LÜBECK taz | Einer grüßt „Moin, Moin“ und dann sagt eine ganze Weile niemand was. So deutlich wie in dieser ersten Szene wird den Fernsehzuschauern nur selten ein Klischee aufs Auge gedrückt.
Auf den ersten Blick ist „Käpt’n Hook“, der Pilotfilm der ARD-Krimireihe „Nord bei Nordwest“, die zweimal jährlich ausgestrahlt werden soll, ein klassischer Provinzkrimi. Die Produktionsfirma Aspekt Telefilm hat auch die „Spreewaldkrimis“ gemacht und der Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt hat für den „Käpt’n Hook“-Hauptdarsteller Hinnerk Schönemann schon den mit dem Grimme-Preis prämierten „Mörder auf Amrum“ geschrieben. Ein bewährtes Team also, von dem man einiges erwarten kann.
Der Film spielt auf der Ostsee-Halbinsel Priwall, 30 Kilometer nordöstliche von Lübeck. Es soll der „am dünnsten besiedelte Ort“ des Landes sein, in den sich der menschenscheue Ex-Polizist Hauke Peters flüchtet, um seine Ruhe zu haben: „Wenn man was nicht mag, dann ist einem weniger davon lieber!“, erzählt er der einzigen Polizistin des Dorfes Lona Vogt. Deren erste Amtshandlung besteht darin, dass sie ein paar freche Jungs nach einem Klingelstreich an ihrer Tür verfolgt.
Kaum ist der Fremde im Dorf, steigt die Todesrate vor Ort dramatisch. Der dort ansässige Tierarzt fährt sein Auto mit Karacho über die Kaimauer. Da trifft es sich gut, dass Hauke Peters als Veterinär im Ort arbeiten will, und so kann er prompt die verwaiste Praxis übernehmen, zu der die fanatische Tierliebhaberin Jule gleich mitgeliefert wird: Sie wohnt in der Praxis und redet als aufgekratzte Quasselstrippe in einer halben Minute mehr, als die anderen beiden Protagonisten im ganzen Film.
Schon beim ersten Spaziergang mit seinem Hund am Strand entdeckt Hauke Peters zwei Leichen in einem gestrandeten Fischkutter. Die anschließende Spurensicherung bewältigt er viel professioneller als die Dorfpolizistin. Schon bald fallen zwei Bösewichte im Ort ein, die verdächtige Fragen stellen und gerne die Männer zusammenschlagen, die ihnen nicht gleich antworten.
Aber das in Krimis so wichtige „Wer ist der Täter?“ ist hier kaum wichtig. Schnell entsteht ein eigentümlicher Genre-Mix, denn auch in der Tierpraxis ist viel los. So ist die eindeutig blutigste Szene des Films die Operation eines Schoßhündchens – komplett mit Herzstillstand und Mund-zu-Schnauze-Beatmung.
Der Provinzkrimi ist also auch eine Tierarztserie und erinnert von der Dramaturgie her stark an einen Western: Der schweigsame Fremde kommt in den Ort und hilft dem Dorfsheriff dabei, die Outlaws zu besiegen. Der Autor Holger Karsten Schmidt sagt, dass er „gerne mit filmischen Zitaten und Anspielungen, insbesondere auf amerikanische Thriller und Western“ arbeite. Unter anderem ist der Titel der Serie bei Alfred Hitchcock geklaut, dessen Klassiker „Der unsichtbare Dritte“ im Original „North by Northwest“ heißt.
Zum Glück fällt Schmidt zum Thema Tierarztserie nur „Daktari“ ein, und so erspart er den Zuschauern die Sentimentalität, die den Kern dieses Genres bildet. Stattdessen setzt er als Stilmittel Humor ein, und der ist bei ihm lakonisch, hintergründig und schwarz. Es ist ein Witz der nur angefangenen Sätze, der einsilbigen Pointen und der herausgerutschten Peinlichkeiten. Angesichts einer Leiche fragt die Dorfpolizistin den Ex-Kollegen: „Der war so in der Unterhose, als Sie ihn gefunden haben?“, und es ist schwer zu entscheiden, ob dies nun ein extrem naiver oder boshafter Satz ist.
Solche absichtlichen Untiefen geben der Geschichte eine innere Spannung: Man kann die Filmfiguren nicht gleich einordnen, und das weckt die Neugier. Schmidt kann es sich sogar leisten, in einem Nebenplot von einem tragischen Unfall in der Vergangenheit der Dorfpolizistin zu erzählen, ohne den Plot dabei zu vollgestopft wirken zu lassen.
Trotz der vielen Einflüsse, deren er sich bedient, erzählt Schmidt immer klar und mit einem starken dramatischen Sog. Solch ein gutes Drehbuch ist selten im deutschen Unterhaltungsfernsehen. Zu seinen Qualitäten gehört auch, dass die Hauptrolle dem Schauspieler Hinnerk Schönemann auf den Leib geschrieben wurde.
In einer Szene wird sogar klargestellt, dass der gebürtige Rostocker einen ursprünglich aus Rostock Kommenden spielt, und auch sonst passt ihm die Rolle so bequem wie eine Lieblingsjacke. Er ist maulfaul, melancholisch, lakonisch und immer dann am witzigsten, wenn er mit einem irritierten Blick deutlich macht, wie sehr ihn die Handlungen seiner Mitmenschen überraschen.
Henny Reents spielt die Dorfpolizistin, Marleen Lohse die Tierarzthelferin – beide sind rothaarig und ebenfalls in Norddeutschland (Wittmund und Soltau) geboren. Auch an ihrem Spiel wirkt nichts forciert – sie sind genau passend besetzt und bringen Hauke Jacobs auf eine andere Weise aus der Ruhe.
Der Regisseur Marc Brummund war so klug, mit authentischem, in einigen Einstellungen fast dokumentarisch wirkendem Lokalkolorit zu arbeiten. So sieht es bei ihm erfreulich unaufgeräumt aus – viele deutsche Krimis sehen ja unrealistisch adrett aus, aber hier glaubt man bei einigen Szenen, den Gestank riechen zu können.
Der Titelheld „Käpt’n Hook“ entpuppt sich schließlich als sprechender Papagei, der, wie man es kennt, unanständige Sachen von sich gibt und schließlich einen entscheidenden Hinweis krächzt. Ein wenig Piratenfilm ist also auch noch dabei im Genre-Mix.
„Nord bei Nordwest – Käpt’n Hook“: 6. 11., 20.15 Uhr, Das Erste
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