Neue Hartz-IV-Sätze: Bloß keine höhere Stütze!
Wie sollen die Hartz-IV-Bezüge korrigiert werden? Nach oben? In der Koalition finden einige, das könne wahlweise vom Arbeiten abhalten oder den Staatshaushalt gefährden.
BERLIN taz | Noch ist nicht klar, wohin die Reise in Sachen Hartz-IV-Regelsätze geht. Doch Oppositionspolitiker, Sozialverbände und Erwerbsloseninitiativen formulieren bereits mehr oder weniger deutliche Bedenken gegen die von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) favorisierte Lösung, Kindern aus Hartz-IV-Familien Gutscheine zum Besuch von Musikschulen, Sportvereinen oder für den Nachhilfeunterricht zur Verfügung zu stellen.
"Wir sind grundsätzlich gegen eine Gutscheinlösung", unterstrich am Montag Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, gegenüber der taz. "Zur Menschenwürde gehört die freie Entscheidung, wie man sein Geld einsetzen will." Für Kurth wie auch für Anette Kramme, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, manifestieren diese Pläne vor allem das Misstrauen gegenüber Hartz-IV-Empfängern. "Dabei zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass der überwiegende Teil der Eltern die Ausgaben für ihre Kinder noch aus dem eigenen Regelsatz mitfinanziert", sagte Kramme. Gutscheine sollte es nur als Ausnahme geben. "Wenn erwiesen ist, dass Eltern für ihre Kinder nicht zahlen."
Stattdessen plädiert die SPD-Politikerin dafür, dass Schulen den Kindern aus Hartz-IV-Familien auch ohne Gutscheine künftig Förder- oder Nachhilfeunterricht anbieten sollten. Einmaliger Bedarf wie ein "Tennisschläger oder ein Musikinstrument" könnten künftig von den Jobcentern als Sonderbedarf finanziert werden. Trotzdem glaubt Kramme, dass auch die Regelsätze für Kinder "wahrscheinlich höher ausfallen müssten".
Ob man auch im Bundesarbeitsministerium daran denkt, ist jedoch unklar. Am Montag warnte ein Ministeriumssprecher vor "zu hohen Erwartungen" und trat Berichten entgegen, nach denen der Regelsatz für Erwachsene von derzeit 359 Euro monatlich auf um die 400 Euro erhöht werden könnte. Von diesen Sätzen leiten sich bisher die Sätze für Kinder ab. Erst im Herbst, wenn das Statistische Bundesamt die neue Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorlegt, will die Regierung neue Berechnungen präsentieren.
"Um eine leichte Erhöhung der Regelsätze für Kinder kommt man nicht herum, selbst wenn man auf Gutscheine setzt", sagt auch Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Schließlich fehle in den Regelsätzen bereits das Geld für Kleidung und Nahrungsmittel. Gutscheine hält Schneider nur dort für sinnvoll, wo es um Leistungen wie Nachhilfe oder den Besuch eines Sportvereins geht. "Es bringt ja nichts, dafür jetzt 6 Euro mehr im Monat auszuzahlen."
Allerdings warnen Schneider, Kramme, Kurth und Martin Behrsing vom Erwerbslosen Forum Deutschland einhellig sowohl vor dem immensen verwaltungstechnischen Aufwand, den ein Gutscheinsystem mit sich bringen würde, als auch vor der Gefahr, dass Kinder dadurch stigmatisiert werden könnten. Mit solchen Gutscheinen lernten "Kinder sehr früh, dass sie sich jederzeit für die Armut ihrer Eltern schämen müssen", sagte Martin Behrsing.
Solch einer Stigmatisierung ließe sich, so die Überlegungen im Paritätischen, beispielsweise mit einem Familienpass für alle Eltern entgegenwirken, den Hartz-IV-Bezieher vom Jobcenter finanziert bekommen könnten. Mit dem Pass könnten Kinder vergünstigt oder kostenlos Zoos, Kinos oder Theater besuchen. In der zweiten Augusthälfte will der Paritätische ein ausführliches Konzept zum Thema Gutscheine vorlegen, kündigte Schneider an. Für den Hauptgeschäftsführer ist allerdings jetzt schon klar: "Die Kommunen müssen einzeln vor Ort entscheiden, was sinnvoll und möglich ist, alles andere wäre Chaos."
Für Kurth, für den Sachleistungen nur in "eng begrenztem Rahmen wie beispielsweise die Ausgabe von Schulbüchern" akzeptabel wäre, spricht ein weiteres Argument gegen Gutscheine: "In Dänemark werden solche Scheine auf dem Schwarzmarkt verkauft. Und ich könnte es Eltern noch nicht einmal verdenken, dass sie den Gutschein gegen Geld tauschen, um ihren Kindern ein Paar Schuhe zu bezahlen." Für den Grünen liegt zudem auf der Hand, dass ein elektronisches Gutscheinsystem, für das in jeder Kommune Geräte und Chipkarten angeschafft werden müssten, bis Jahresende nicht umsetzbar ist. Doch nur noch bis zum 31. Dezember hat die Politik nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Zeit, eine Lösung vorzulegen.
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