Neue Generation protestiert gegen Atommüll: Jung. Cool. Gegen Atom.
Neben den erfahrenen Aktivisten prägt eine neue Generation die Proteste gegen das Atommülllager. Sie sind vor allem eines: vielseitig engagiert.
![](https://taz.de/picture/372088/14/castor_01.jpg)
Seit 48 Stunden sitzen viele von ihnen vor dem Zwischenlager. Stroh schützt gegen die harte Straße, Plastikplanen gegen die Regenschauer: Über 1.200 Menschen warten am Sonntagmittag in Gorleben auf den Castor. Vor der Polizei weichen sie nicht.
Widerstand hat es im Wendland immer gegeben, wenn der Castor kommt. Dafür sorgt allein schon das starke Engagement der örtlichen Bevölkerung. Doch in diesem Jahr ist etwas anders: Die Proteste haben nach langer Stagnation erstmals wieder massiven Zulauf. Wer sind diese neuen DemonstrantInnen, woher kommen sie?
Auf den ersten Blick weckt die Blockade viele Assoziationen an die 80er-Jahre. Anti-Atom-Sonnen und Friedenstauben sind zu sehen, bunte Mützen, Wollpullover, Pali-Tücher. Viele der TeilnehmerInnen haben schon Demoerfahrung, die in die Zeiten zurückreicht, als Gorleben Ende der 70er-Jahre als "Nukleares Entsorgungszentrum" festgelegt wurde: Die Generation 50 plus ist so stark vertreten wie in vermutlich keiner anderen sozialen Bewegung. Sie sehen vieles von dem, wofür sie in der Vergangenheit gekämpft haben, bedroht - und gehen darum wieder auf die Straße.
Dort treffen sie auf diejenigen, die den Protest vor dem Zwischenlager zahlenmäßig dominieren: Junge Menschen zwischen 15 und 30 haben die Massen-Sitzblockade als ihre Protestform wiederentdeckt - und ins neue Jahrtausend geholt. Die Kommunikation der Teilnehmer läuft nicht nur basisdemokratisch über "Bezugsgruppen" und "SprecherInnenräte". Für die Koordination gibt es Massen-SMS-Verteiler. Bei der Blockade werden die Ansagen aus der Mitte der Aktivsten per Funkmikro in die drumrum stehenden Lautsprecherwagen übertragen; für alle, die nicht dabei sein können, gibt es einen Live-Ticker im Internet. Während unter den OrganisatorInnen der Blockaden viele Aktive mit langjährigen Erfahrungen sind, gibt es unter den Teilnehmer viele, die zum ersten Mal in Gorleben mitmachen. Ohne Protesterfahrung sind sie aber dennoch nicht. Schlüsselerlebnis, so ist bei der Blockade immer wieder zu hören, waren die G-8-Proteste im vergangenen Jahr in Heiligendamm.
Viele, die sich zuvor nur lokal und oft eher theoretisch mit politischen Fragen beschäftigt haben - ob beim BUND, in Uni-Gruppen oder der Grünen Jugend, machten dort ihre ersten Erfahrungen in Sachen Massenprotest. Die großen Camps, die vielen Aktionen, die erfolgreiche Blockade der Zufahrtswege zum Gipfel haben eine neue Generation für zivilen Ungehorsam gewonnen.
Großer Vorteil dieser Aktionsform ist, dass sie einerseits ein sehr viel deutlicheres Zeichen setzt als eine klassische Demonstration: Man ist bereit, für das politische Ziel Regeln zu brechen und Konsequenzen zu tragen. Zugleich ist das Risiko bei Blockaden auch für weniger Erfahrene überschaubar, und das Bild, das sie vermitteln, ist positiv und friedlich. Denn auch das ist ein Erkennungsmerkmal der neuen Aktionen: Sie arbeiten - im deutlichen Gegensatz etwa zu Autonomen der 80er und 90er - offensiv mit den Medien und bemühen sich aktiv darum, schöne Bilder und klare Botschaften zu vermitteln.
Eingesetzt wird diese Strategie nicht nur gegen den Castor. Im vergangenen Jahr gab es ein Protest-Revival auch bei anderen Themen. Besetzungen von Gentechnikfeldern oder öffentlich angekündigte Zerstörung der Pflanzen hatten in diesem Sommer ein unerwartetes Comeback. Und auch beim Klimaschutz greifen AktivistInnen auf die Heiligendamm-Erfahrungen zurück, etwa beim Klimacamp in Hamburg .
Auch die Teilnehmerkreise überschneiden sich erheblich. Wer politisch aktiv ist, engagiert sich immer häufiger nicht nur zu einem Thema. Entscheidend sei, so berichten viele der Gorlebener Blockierer, dass einem ein Problem persönlich als relevant erscheine - und die Politik offensichtlich nichts dagegen unternimmt. Und Kristallisationspunkte sind wichtig - also Orte oder Ereignisse, an denen der Konflikt sichtbar wird.
Durch diese Multi-Aktivisten werden viele Protestelemente von einer Aktion zur nächsten übertragen. So wurden etwa die Demo-Clowns, die mit absurdem Theater einerseits Regeln übertreten, andererseits aber auch Konflikte entschärfen können, in Deutschland erstmals in Heiligendamm öffentlich wahrgenommen. Seitdem tauchen sie bei Kohle-Protesten ebenso auf wie beim Castor. Auch Kletterer treten mittlerweile nicht mehr nur bei Greenpeace in Erscheinung, sondern ebenso vor dem Atommülllager.
Besonders effektiv wird der Widerstand aber, wenn sich nicht nur die verschiedenen Spektren mischen, sondern wie jetzt wieder im Wendland auch die verschiedenen Altersgruppen, die jeweils ihre eigenen Protesterfahrungen einbringen können - in das Mehr-Generationen-Projekt X.
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