Neue Freiheit in Libyen: "Gaddafi wollte uns auslöschen"
"Es ist ein Gefühl von Freiheit, wie ich es nie gekannt habe", sagt ein Tontechniker aus Nalut. Jetzt hat er einen Kulturverein für die lange unterdrückten Berber gegründet.
![](https://taz.de/picture/244734/14/berber_dpa.jpg)
NALUT taz | Yahmed Slimen blüht sichtlich auf, sobald er durch die niedrige Holztür den schmalen, kühlen Gang betritt. "Willkommen im Ksar Lalut", sagt er. "Hier spüre ich meine Wurzeln, hier fühle ich mich zu Hause", sagt der kleine bärtige Mann und blickt das enge Gewölbe entlang.
Das tausend Jahre alte Bauwerk liegt auf einem Berg in Westlibyen, unweit der Grenze zu Tunesien. Das Ksar (Burg) wurde von den Berberstämmen errichtet, den Amazigh, was übersetzt so viel wie "freies Volk" bedeutet. Ihnen gilt es als Symbol ihrer kulturellen Identität, mit eigenen Bräuchen und einer uralten Sprache, dem Tamazight.
"Damals unter Gaddafi stellte mir die Polizei selbst hier oben nach", erinnert sich Slimen. "Damals", das ist gerade einmal acht Monate her. Nalut, die 30.000 Einwohner zählende neue Stadt neben der Burg und den Ruinen des alten Lalut, befreite sich gleich am ersten Tag der Proteste, am 17. Februar 2011.
Trotz schwerer Belagerung und Granatenbeschuss gelang es den Truppen von Oberst Muammar al-Gaddafi nicht, die Stadt zurückzuerobern. Im Mai verjagten die Menschen die Truppen schließlich ganz aus den Nafousabergen.
"Es ist ein Gefühl von Freiheit, wie ich es nie gekannt habe", sagt Slimen und rückt sich dabei seinen gelb-grün-blauen Schal zurecht. Es sind die Farben der Amazigh-Kultur. "Gaddafi wollte unsere Kultur und Sprache auslöschen", sagt Slimen.
Lesen und Schreiben lernen
Im Jahr 1996, mit 28 Jahren, gründete er mit rund 20 anderen aus der Stadt ein Kulturkomitee. Es wurde nie zugelassen, die Mitglieder wurden verfolgt. "Gleichzeitig siedelte Gaddafi arabischsprachige Libyer an, um unsere Kultur in Bedrängnis zu bringen und Konflikte zu schüren. Es wurde uns sogar verboten, den Kindern Namen in unserer Sprache zu geben", berichtet Slimen. Das Namensverbot wurde erst 2004 gelockert. Fünf der sieben Kinder Slimens haben deshalb arabische Namen.
Doch das war "damals". "Jetzt blüht unsere Kultur wieder auf", sagt Slimen freudig. Er selbst hat nach dem 17. Februar einen neuen Kulturverein gegründet. Dieser will eine Sprachschule errichten, um den Menschen Lesen und Schreiben in Tamazight beizubringen.
Viel hat sich geändert in Nalut. Im ehemaligen Hauptquartier der Geheimpolizei sitzt Mohamed Abdel am Schreibtisch des einstigen Kommandanten. Der 36-jährige Tontechniker des ehemaligen Staatsrundfunks, der sich zwecks besserer Abstimmung der Propaganda mit der Geheimpolizei das Gebäude teilen musste, nennt sich heute stolz "Direktor von Radio Freies Nalut".
"Wir senden seit dem 17. Februar in unserer Sprache", sagt er. "Zurzeit kann man uns nur in Nalut auf UKW hören, doch wir wollen in ganz Westlibyen senden." 1,5 Millionen Berber zählt der Weltkongress der Amazigh unter den knapp sechs Millionen Libyern. In ganz Nordafrika - von den Kanarischen Inseln über Marokko, Algerien, Tunesien bis hin zu Libyen und Ägypten - sind es insgesamt etwa 45 Millionen.
Assimilierung schon vor Gaddafi
Die Assimilierungspolitik Libyens habe, so Abdel, lange vor Gaddafi begonnen. Mit wenig Erfolg: Zwar sprechen alle hier perfekt Arabisch, doch nur mit Auswärtigen: "Wir haben unsere Sprache nie aufgegeben." Das Radio sei aber wichtig, da kaum jemand das Tamazight-Alphabet beherrsche.
Vor dem Problem der Schriftsprache steht auch Hedi Bourgueg. Der 20-jährige Jurastudent macht nicht nur Radio, er arbeitet bei einer der drei mittlerweile entstandenen Zeitungen in Nalut mit. "Tziri n Lalut" - "Die Sonnen von Nalut" - heißt das achtseitige Blatt im DIN-A4-Format. Nur eine halbe Seite ist in Berberschrift geschrieben. "Der Rest ist Tamazight, aber mit arabischen Schriftzeichen. Nach und nach werden wir umstellen, sobald die Leute das Alphabet gelernt haben", sagt er.
Bourgueg ist in nur wenigen Monaten zum Aktivisten der Berberkultur herangewachsen. "Ich war auf dem nationalen Berberkongress im September in Tripolis", erzählt er. Es war bereits das sechste Treffen dieser Art, aber das erste, das im Inland stattfinden konnte.
Organisiert hat die Teilnahme von Bourgueg und anderen Jungen aus Nalut der 63-jährige Slimen. "Ich selbst war nicht dort, es braucht neue Leute", sagt der Volksschullehrer bescheiden und berichtet davon, was bei dem Treffen herauskam. "Es geht uns nicht um politische Autonomie, das libysche Volk ist ein Volk", weist er ungefragt die Anschuldigung des Separatismus von sich.
"Wir wollen, dass unsere Sprache und Kultur in der künftigen Verfassung anerkannt wird", denn "eigentlich sind alle Libyer Amazigh, auch wenn sie ihre Sprache und Kultur über die Jahrhunderte verloren haben."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten