Neue EU-Ratspräsidentschaft: Die Hoffnungen ruhen auf Schweden
Am 1. Juli übernimmt Schweden den präsidialen Staffelstab von Tschechien. An den Wechsel knüpfen sich große Erwartungen, vor allem in Hinblick auf den Lissabon-Vertrag.
BRÜSSEL taz | Brüssel atmet auf. Nach sechs Monaten, in denen der Rat der Staats- und Regierungschefs unter tschechischer Führung ziemlich kopflos dahintrudelte, kommen endlich wieder Profis ans Ruder. Die Schweden haben bereits bei ihrer ersten Ratspräsidentschaft 2001 bewiesen, dass sie den schwerfälligen Tanker EU energisch, kollegial und mit großer Offenheit lenken können. Am Montag präsentierte Schwedens Außenminister Carl Bildt das Programm für die sechsmonatige Ratspräsidentschaft. Als Erstes erklärte Bildt, dass der EU-Beitritt Kroatiens auf unbestimmte Zeit vertagt ist. Der EU-Beitritt Kroatiens ist blockiert, seitdem das seit fünf Jahren zur EU gehörende Slowenien im Dezember ein Veto einlegte. Beide Balkanländer streiten seit ihrer Unabhängigkeit vom ehemaligen Jugoslawien 1991 um einen kleinen Landstreifen und ein Seegebiet an der Adria. Am Freitag waren Gespräche unter EU-Vermittlung erneut gescheitert. "Nun müssen beide Länder zunächst eine Phase des Nachdenkens einlegen", sagte Bildt.
Island könne dagegen auf einen schnellen Beitritt hoffen und das nächste Land sein, das der EU beitritt. Über den Antrag entscheidet das isländische Parlament wohl Ende Juni. Bildt stellte dem Land verkürzte Verhandlungen in Aussicht. Es gebe nur "wenige offene Punkte", sagte er.
Die anderen Aufgaben für Schweden sind nicht minder gewaltig. Noch immer ist die hausgemachte Krise der EU nicht gelöst, die Union steckt irgendwo zwischen Nizza-Vertrag und Lissabon-Vertrag in einer Lähmung fest. Die Schweden werden der irischen Regierung ganz sicher Unterstützung beim zweiten Referendum Anfang Oktober zusagen, gleichzeitig aber jeden Anschein der Einmischung vermeiden. Doch selbst wenn die Iren dieses Mal ja sagen sollten, sind damit nicht alle Probleme gelöst.
Energisches Auftreten der Ratspräsidentschaft ist dann gefragt, damit der polnische und der tschechische Regierungschef rasch ihre Unterschriften unter den Vertrag setzen. Sie hatten das bislang unter Hinweis auf das ausstehende irische Referendum hinausgezögert. Mit den Briten wird Ratspräsident Fredrik Reinfeldt ebenfalls ein ernstes Wort reden müssen. David Cameron, der Chef der euroskeptischen Konservativen, will im Fall seines Wahlsiegs seine Landsleute über den Lissabon-Vertrag abstimmen lassen. Da das Unterhaus ihn bereits ratifiziert hat, sehen EU-Juristen darin einen Bruch der europäischen Gesetze.
Für Europas Bürger allerdings ist die Streiterei um Verträge nur eine Fußnote. Sie erwarten Auswege aus der internationalen Finanzkrise. Jeder zehnte Arbeitnehmer in der EU könnte nach Schätzungen bis zum Jahresende ohne Beschäftigung sein. Zwar hat, wie EU-Botschafter Christian Danielsson einräumt, die EU in diesem Bereich wenig zu sagen. Doch sollen sich die Regierungen darüber austauschen, wie sie national den Arbeitsmarkt in Ordnung bringen wollen und möglichst Erfolgsmodelle voneinander kopieren.
Intensiv werden sich die Schweden auch mit der Frage befassen müssen, wie sie die 400 Milliarden Euro Staatshilfe, die EU-weit zur Stimulierung der Wirtschaft ausgegeben wurden, wieder einsammeln. Sie müssen die Daumenschrauben des Stabilitätspakts anziehen - auch dabei ist energisches und konsequentes Auftreten gefragt. Ein Handikap der Schweden besteht darin, dass sie selbst nicht zur Eurozone gehören, also nicht zum "innersten Kreis der EU", wie Danielsson selbst einräumt.
Angesichts dieser Herkulesaufgabe tritt die große Klimakonferenz in Kopenhagen fast in den Hintergrund. Dabei steht sie im Arbeitsprogramm der Schweden weit oben, dicht gefolgt vom "Stockholmer Programm", das die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik und bei der Verbrechensbekämpfung voranbringen soll. In der Nachbarschaftspolitik will sich der Ostseeanrainer Schweden um eine engere Zusammenarbeit mit den Küstenländern der Region bei der Energieversorgung und im Umweltschutz bemühen. Außerdem stehen zahlreiche Gipfeltreffen auf dem Programm, darunter mit den USA, Südafrika, Brasilien, China, Indien und Russland. "Und das sind nur die planbaren Termine", sagt Danielsson. Eine neue Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine oder ein neuer Krieg irgendwo in der Welt seien da nicht eingeplant. DANIELA WEINGÄRTNER
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