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Neue EU-KommissionDas Kabinett der Königin

Ursula von der Leyen hat sich eine rechtsoffene Kommission zusammengestellt, im Parlament droht ihr keine linke Mehrheit mehr. Trotzdem steckt die EU fest.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (l.) umarmt EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am 27. November in Straßburg Foto: Yves Herman/reuters

Brüssel taz | Das war knapp. Fast sechs Monate nach der Europawahl, aber gerade noch rechtzeitig vor der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident im Januar hat sich die Europäische Union eine neue Regierung gegeben. Genauer: eine neue EU-Kommission. Sie wird erneut von der deutschen CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt und besteht aus 27 weitgehend unbekannten Politikern.

Getragen wird das Kabinett „von der Leyen II“ von einer großen Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen im Europaparlament. Auch die Grünen wollen von der Leyen stützen. Nur so lasse sich verhindern, dass die Politik von rechtsradikalen Parteien abhängig wird, erklärte die deutsche Grünen-Politikerin Terry Reintke. Allerdings ist die neue Kommission auch schon so rechtslastig wie nie.

Mit dem Italiener Raffaele Fitto wird erstmals ein postfaschistischer Politiker ein hohes Amt in Brüssel bekleiden – noch dazu als geschäftsführender Vizepräsident. Der von der rechten italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni nominierte Fitto soll sich um die milliardenschweren Regionalfonds kümmern und Reformen anstoßen.

Neu ist auch, dass Grüne und Linke gar nicht, Sozialdemokraten und Liberale nur schwach in der Kommission vertreten sind. Die meisten Kommissare, 14 an der Zahl, kommen aus der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), in der die deutschen Christdemokraten den Ton angeben. EVP-Chef Manfred Weber, ein CSU-Politiker, gilt denn auch als Strippenzieher der neuen EU-Regierung. Manch einer hält ihn sogar für mächtiger als von der Leyen.

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Christdemokratische Dominanz

Dabei ist die frühere Verteidigungsministerin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Bei der Europawahl im Juni hatte die „Queen of Europe“ – so ihr Spitzname in Brüssel – keine ernsthaften Konkurrenten. Ehemals mächtige EU-Kommissare wie Frans Timmermans hat sie hinausgeworfen. Die neue Kommission ist von Kopf bis Fuß auf von der Leyen eingestellt. Nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ hat von der Leyen die alten Ressorts neu aufgeteilt und so zugeschnitten, dass sie sich überschneiden. Künftig gibt es nicht mehr einen Klimakommissar, sondern gleich drei – das letzte Wort hat die deutsche Chefin. Ähnlich läuft es in der Wirtschafts- und in der Digitalpolitik. Den Durchblick dürfte nur noch ihr Kabinettschef Björn Seibert haben.

Zusammen mit von der Leyen und Manfred Weber bildet Seibert ein deutsches Führungstrio. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz, wie viele in Brüssel erwarten, im Frühjahr zum Bundeskanzler gewählt würde, wäre die christdemokratische Dominanz in Brüssel perfekt. Im Europäischen Rat – der Runde der Staats- und Regierungschefs – gibt es mit dem portugiesischen Sozia­listen António Costa noch ein Gegengewicht.

Costa tritt sein Amt am 1. Dezember an. Er löst den bisherigen liberalen Ratspräsidenten Charles Michel aus Belgien ab. Michel hat sich oft mit von der Leyen angelegt und meist den Kürzeren gezogen. António Costa will bescheidener auftreten und sich vor allem um Kompromisse bemühen. Eine echtes Korrektiv zur „Queen“ von der Leyen ist von ihm nicht zu erwarten.

Schon jetzt gebe es in der EU keine echte Opposition mehr, kritisiert der italienische Europa­rechtler Alberto Alemanno. Früher reichten zwei Parteien – Konservative und Sozialdemokraten –, um die Kommission zu stützen. Die anderen waren eine meist konstruktive Opposition. Heute bilden alle etablierten Parteien einen Regierungsblock. Wer nicht hinter von der Leyen und ihrer Politik steht – Linke, Rechte, Unabhängige, BSW –, wird ausgegrenzt.

Keine linke Mehrheit mehr

Eine alternative linke Mehrheit wie in den vergangenen fünf Jahren gibt es auch nicht mehr. Falls sich die etablierten Parteien mal nicht einigen, wäre hingegen eine rechte Mehrheit drin. EVP-Chef Weber scheint diese sogar aktiv anzustreben. Wenn es nach ihm geht, soll auch die von Meloni dominierte rechtskonservative EKR-Fraktion gelegentlich bei der Schaffung von Mehrheiten aushelfen.

Wie das aussehen kann, hat sich Anfang Oktober bei der EU-Verordnung gegen die Entwaldung gezeigt. Das neue Gesetz wurde mit Hilfe von Rechten und einigen AfD-Stimmen aufgeschoben und aufgeweicht. Werden die „entwaldungsfreien Lieferketten“ zur Blaupause für einen neuen Regierungsstil – im Zweifel mit den Rechten? Das ist eine der vielen Fragen, die den Start der neuen Kommission überschatten.

Eine andere Frage ist, was aus dem Programm für die nächsten fünf Jahre wird. Bei der Europawahl hatten CDU/CSU versprochen, mehr für die Wettbewerbsfähigkeit zu tun und härter gegen irreguläre Migration vorzugehen. Ein halbes Jahr später beherrschen jedoch ganz andere Themen die Agenda. Die deutsche Wirtschaft schmiert ab, der Krieg in der Ukraine eskaliert, die Klimakrise spitzt sich zu – und dann ist da auch noch Trump.

Doch bei der Vorstellung ihrer neuen Kommission in Straßburg ging von der Leyen mit keinem Wort auf den künftigen US-Präsidenten und dessen Drohungen ein. Strafzölle auf deutsche Autos, Rückzug aus der Ukraine, Handelskrieg gegen Kanada, Mexiko und China? Die neue Weltlage hat es noch nicht auf die EU-Agenda geschafft. Viele Pläne aus Brüssel klingen so, als würde Joe Biden weitermachen und als sei Trump nur ein böser Traum.

In der Warteschleife

Hinter verschlossenen Türen bereiten sich die EU-Politiker zwar bereits auf Trump 2.0 vor. Doch die Kommission von der Leyen 2.0 wirkt aus der Zeit gefallen. Einen Start-up-Kommissar wird es geben, um den Wohnungsbau will sie sich kümmern. Neu ist auch, dass erstmals ein Kommissar für Verteidigung zuständig ist. Doch was der Litauer Andrius Kubilius machen kann, bleibt unklar. Rüstung und Verteidigung sind nationale Kompetenzen.

„Wir werden sofort mit der Arbeit beginnen“, kündigte Ursula von der Leyen an. De facto wird die neue EU-Regierung aber wohl erst im Januar los­legen – wenn Trump vereidigt ist. Voll handlungsfähig könnte sie sogar erst im Frühjahr werden, wenn die nächste Bundesregierung steht. Denn ohne Deutschland, das größte EU-Land, geht in Brüssel gar nichts.

Fast sechs Monate nach der Europawahl steckt die EU immer noch in der Warteschleife. Die neue Kommission dürfte daran so schnell nichts ändern.

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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • von der Leyen hat bereits als Verteidigungsministerin versagt und war Orban's und Macron's Wunsch gegen Manfred Wenber, um die EU nicht zu stark werden zu lassen. Dubiose SMS Deals und immer wieder verschwinden wichtige Unterlagen/Daten/Geräte vor der Aufklärung...



    So jemand passt ideal in einen korrupten Politikfilz, der vor allem darum kämpft, dass sich nichts ändert...

  • Frage 1: Liegt es eigentlich in der Natur des Konservatismus, dass man hin und wieder mit Faschisten koaliert, wenn's nicht anders geht?

    Frage 2: Wie fatal kann eigentlich für die Demokratie eine Koalition mit Faschisten sein oder gibt es da Ausnahmen?

    Frage 3: Und wird es am Ende so ausgehen, dass die Faschisten sich mäßigen werden, wenn sie ihre Regierungsmacht mit Konservativen teilen, die als größter Koalitionspartner den Regierungschef (m/f/d) stellen?

  • Zunehmende Armut, zügellos steigende Preise, massiver Abbau von Arbeitsplätzen, Kürzungen bei fast allen wichtigen sozialen Aufgaben, ein marodes Bildungswesen und ein krankes Gesundheitswesen, eine immer stärker ins Ungewisse tendierende Zukunft, all das kommt in den Plänen & Reden bei den EU- Granden nicht vor !



    Interessante Informationen dazu auch unter www.zlv.lu " Jede Menge Kabale "'

  • Die EU - im Kern eine sehr schöne Idee und Vision - in Realität schrecklich gescheitert. Ein alles erstickendes Bürokratiemonster ohne echte demokratische Legitimation durch die Bevölkerung. Ein Moloch. Man kann nicht ohne sie, aber auch nicht mit ihr. Wenn die durch die Zögerlichkeiten des Westens ermutigten Autokraten in Russland, China, Iran, Nordkorea und Co den nächsten Weltenbrand entfacht haben werden, wird die EU untergehen. Falls es ein Danach geben wird, kann man gespannt sein, was dann kommt.

  • Mal abwarten wie gemeinsame Politik mit Nationalisten geht.

    • @Moritz Pierwoss:

      Einige Faschisten wollen den Nationalisten scheinbar wohl helfen...

  • Die linke Mehrheit konnte beendet werden - das ist eine sehr gute Nachricht.



    Unklar bleibt dennoch ob die neue Kommission willens und in der Lage sein wird im EU-Bürokratiedschungel aufzuräumen und die Anzahl der EU-Verordnungen drastisch zu reduzieren.



    Sicherlich würde es helfen, wenn man sich an den USA ein Beispiel nehmen würde und der Kommission ein DOGE-department „Department of Government Efficiency" anzuhängen und dieses mit weitreichenden Befugnissen ausstattet.

    • @Andere Meinung:

      Es gibt einfach zu viele, die da ihren Narzissmus mit einbringen und mitreden wollen. Deshalb wird es immer mehr Bürokratie statt weniger. Auch inndeutschland erklärt einem jeder Bürgermeister warum das jetzt bei ihm aber nicht geht. Und es gibt keine fehlerkultur in diesem Land und auch nicht in Europa. Diese Kommission steht für Status quo und wird den Abschwung in Europa weiterbringen

    • @Andere Meinung:

      Dann mal Butter bei die Fische: Welche 10 Verordnungen können entfallen, ohne Nachteile für den Binnenmarkt zu verursachen?

      • @Peter Rabe:

        das dachte ich auch immer.



        Die Regeln helfen doch einen regulierten ungehinderten EU-weiten Binnenmarkt zu ermöglichen und führen so zu mehr Geschäftsvolumen.



        Bei näherer Betrachtung fällt aber folgendes auf:



        a) Die EU regelt Details des Binnenhandels, die zuvor auch in Deutschland nicht geregelt waren. Vieles wurde im B2B Geschäft einfach zwischen Lieferant und Kunde vertraglich direkt vereinbart oder es spielte einfach keine Rolle. Bei der Ausdehnung auf den EU-weiten Markt scheint nun ein tiefes Misstrauen dazugekommen zu sein und der Wunsch diesem Misstrauen gegenüber anderen EU-Ländern durch strikte zentrale Regeln zu begegnen.



        Warum? Das hat auch im BRD-Binnenmarkt ohne viele dieser Regeln geklappt. Vertraut einfach darauf, dass sich Lieferanten und Kunden vertraglich zwischen EU-Ländern einigen.



        b) Die Methode über zentrale EU Regeln bevorzugt einseitig große Unternehmen und benachteiligt kleine Unternehmen. Alleine die Summe aller CE-Richtlinien beinhaltet innerhalb der zugeordneten 25 Hauptverordnungen viele 100 Einzelregeln die alle auch von kleinen Unternehmen beachtet werden müssen. Ein großes Unternehmen hat für so etwas Stabsstellen die dies sicherstellen.

      • @Peter Rabe:

        Blind einfach 10-mal jede hundertste. Angesichts des unfassbaren Mikromanagementsin praktisch allen Bereichen des täglichen Lebens würde es keine falsche treffen, da bin ich sicher.

        • @QuerBeetLeser:

          Ich beschäftige mich täglich mit Verordnung. Die werden vorbereitet mit Studien, Stakeholdermeetings, Anhörungen etc. Hunderte Seiten mit dem Für und Wider. Und eine Option ist immer „Nichts machen” und „Industrie das Problem selbst lösen lassen“. Nur wenn dort ein Minus steht, dann geht man an den Gesetz.

          Ich habe noch nie eine Verordnung gesehen, die sich dem Mikromanagement verschrieben hätte. Ich habe noch nie eine gesehen, die kein echtes Problem angegangen ist.

  • Kommt Frau von der Leyen nicht bald mal ins Rentenalter ?



    Schaden wurde doch schon genug angerichtet.