Neue EU-Kommission: Das Kabinett der Königin
Ursula von der Leyen hat sich eine rechtsoffene Kommission zusammengestellt, im Parlament droht ihr keine linke Mehrheit mehr. Trotzdem steckt die EU fest.
Getragen wird das Kabinett „von der Leyen II“ von einer großen Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen im Europaparlament. Auch die Grünen wollen von der Leyen stützen. Nur so lasse sich verhindern, dass die Politik von rechtsradikalen Parteien abhängig wird, erklärte die deutsche Grünen-Politikerin Terry Reintke. Allerdings ist die neue Kommission auch schon so rechtslastig wie nie.
Mit dem Italiener Raffaele Fitto wird erstmals ein postfaschistischer Politiker ein hohes Amt in Brüssel bekleiden – noch dazu als geschäftsführender Vizepräsident. Der von der rechten italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni nominierte Fitto soll sich um die milliardenschweren Regionalfonds kümmern und Reformen anstoßen.
Neu ist auch, dass Grüne und Linke gar nicht, Sozialdemokraten und Liberale nur schwach in der Kommission vertreten sind. Die meisten Kommissare, 14 an der Zahl, kommen aus der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), in der die deutschen Christdemokraten den Ton angeben. EVP-Chef Manfred Weber, ein CSU-Politiker, gilt denn auch als Strippenzieher der neuen EU-Regierung. Manch einer hält ihn sogar für mächtiger als von der Leyen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Christdemokratische Dominanz
Dabei ist die frühere Verteidigungsministerin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Bei der Europawahl im Juni hatte die „Queen of Europe“ – so ihr Spitzname in Brüssel – keine ernsthaften Konkurrenten. Ehemals mächtige EU-Kommissare wie Frans Timmermans hat sie hinausgeworfen. Die neue Kommission ist von Kopf bis Fuß auf von der Leyen eingestellt. Nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ hat von der Leyen die alten Ressorts neu aufgeteilt und so zugeschnitten, dass sie sich überschneiden. Künftig gibt es nicht mehr einen Klimakommissar, sondern gleich drei – das letzte Wort hat die deutsche Chefin. Ähnlich läuft es in der Wirtschafts- und in der Digitalpolitik. Den Durchblick dürfte nur noch ihr Kabinettschef Björn Seibert haben.
Die wichtigsten EU-Kommissar*innen
Zusammen mit von der Leyen und Manfred Weber bildet Seibert ein deutsches Führungstrio. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz, wie viele in Brüssel erwarten, im Frühjahr zum Bundeskanzler gewählt würde, wäre die christdemokratische Dominanz in Brüssel perfekt. Im Europäischen Rat – der Runde der Staats- und Regierungschefs – gibt es mit dem portugiesischen Sozialisten António Costa noch ein Gegengewicht.
Costa tritt sein Amt am 1. Dezember an. Er löst den bisherigen liberalen Ratspräsidenten Charles Michel aus Belgien ab. Michel hat sich oft mit von der Leyen angelegt und meist den Kürzeren gezogen. António Costa will bescheidener auftreten und sich vor allem um Kompromisse bemühen. Eine echtes Korrektiv zur „Queen“ von der Leyen ist von ihm nicht zu erwarten.
Schon jetzt gebe es in der EU keine echte Opposition mehr, kritisiert der italienische Europarechtler Alberto Alemanno. Früher reichten zwei Parteien – Konservative und Sozialdemokraten –, um die Kommission zu stützen. Die anderen waren eine meist konstruktive Opposition. Heute bilden alle etablierten Parteien einen Regierungsblock. Wer nicht hinter von der Leyen und ihrer Politik steht – Linke, Rechte, Unabhängige, BSW –, wird ausgegrenzt.
Keine linke Mehrheit mehr
Eine alternative linke Mehrheit wie in den vergangenen fünf Jahren gibt es auch nicht mehr. Falls sich die etablierten Parteien mal nicht einigen, wäre hingegen eine rechte Mehrheit drin. EVP-Chef Weber scheint diese sogar aktiv anzustreben. Wenn es nach ihm geht, soll auch die von Meloni dominierte rechtskonservative EKR-Fraktion gelegentlich bei der Schaffung von Mehrheiten aushelfen.
Wie das aussehen kann, hat sich Anfang Oktober bei der EU-Verordnung gegen die Entwaldung gezeigt. Das neue Gesetz wurde mit Hilfe von Rechten und einigen AfD-Stimmen aufgeschoben und aufgeweicht. Werden die „entwaldungsfreien Lieferketten“ zur Blaupause für einen neuen Regierungsstil – im Zweifel mit den Rechten? Das ist eine der vielen Fragen, die den Start der neuen Kommission überschatten.
Eine andere Frage ist, was aus dem Programm für die nächsten fünf Jahre wird. Bei der Europawahl hatten CDU/CSU versprochen, mehr für die Wettbewerbsfähigkeit zu tun und härter gegen irreguläre Migration vorzugehen. Ein halbes Jahr später beherrschen jedoch ganz andere Themen die Agenda. Die deutsche Wirtschaft schmiert ab, der Krieg in der Ukraine eskaliert, die Klimakrise spitzt sich zu – und dann ist da auch noch Trump.
Doch bei der Vorstellung ihrer neuen Kommission in Straßburg ging von der Leyen mit keinem Wort auf den künftigen US-Präsidenten und dessen Drohungen ein. Strafzölle auf deutsche Autos, Rückzug aus der Ukraine, Handelskrieg gegen Kanada, Mexiko und China? Die neue Weltlage hat es noch nicht auf die EU-Agenda geschafft. Viele Pläne aus Brüssel klingen so, als würde Joe Biden weitermachen und als sei Trump nur ein böser Traum.
In der Warteschleife
Hinter verschlossenen Türen bereiten sich die EU-Politiker zwar bereits auf Trump 2.0 vor. Doch die Kommission von der Leyen 2.0 wirkt aus der Zeit gefallen. Einen Start-up-Kommissar wird es geben, um den Wohnungsbau will sie sich kümmern. Neu ist auch, dass erstmals ein Kommissar für Verteidigung zuständig ist. Doch was der Litauer Andrius Kubilius machen kann, bleibt unklar. Rüstung und Verteidigung sind nationale Kompetenzen.
„Wir werden sofort mit der Arbeit beginnen“, kündigte Ursula von der Leyen an. De facto wird die neue EU-Regierung aber wohl erst im Januar loslegen – wenn Trump vereidigt ist. Voll handlungsfähig könnte sie sogar erst im Frühjahr werden, wenn die nächste Bundesregierung steht. Denn ohne Deutschland, das größte EU-Land, geht in Brüssel gar nichts.
Fast sechs Monate nach der Europawahl steckt die EU immer noch in der Warteschleife. Die neue Kommission dürfte daran so schnell nichts ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“