Neue DGB-Studie: Jeder zweite Ostler kriegt Niedriglohn

Zu einem Niedriglohn muss nur jeder fünfte Wessi arbeiten, aber jeder zweite Ossi. Die Unterschiede nehmen eher zu. Schuld ist die Deindustrialisierung der DDR nach der Wende.

Nur eine "industrielle Insel": Chemie-Standort in Leuna (Sachsen-Anhalt). Bild: dpa

BERLIN taz | Zwanzig Jahre nach der deutschen Vereinigung sind die Löhne im Osten Deutschlands noch immer deutlich geringer als im Westen, und zwar durchschnittlich ein Viertel. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die aus Anlass des Tages der deutschen Einheit vorgestellt wurde. Zudem, so die Studie, sorgen eine geringe Bezahlung und hohe Arbeitslosigkeit im Osten für ein deutlich höheres Armutsrisiko der Bevölkerung.

Die Einkommensunterschiede in West und Ost sind laut Studie immer noch sehr hoch. So betrug im Oktober 2006 der durchschnittliche Bruttostundenverdienst im Westen 17,22 Euro, im Osten waren es 13,51 Euro. Alarmierend ist: Die Schere zwischen den Ost- und Westlöhnen schließt sich nicht, sondern öffnet sich sogar ein Stückchen weiter. Betrug der Verdienstabstand zwischen Ost und West 1996 noch 27,1 Prozent, so lag er im Jahr 2006 bei 27,4 Prozent.

Diese Unterschiede haben viele Ursachen: So ist im Westen der Anteil der Beschäftigten in gut bezahlten Branchen höher als im Osten. Aber auch innerhalb der Branchen wird im Westen mehr gezahlt als im Osten. Zudem ist die Tarifbindung der Betriebe im Osten geringer als im Westen. Im Osten wird vielerorts unter Tarif gezahlt, häufig auch nur Niedriglöhne. Die – international definierte – Niedriglohnschwelle in Deutschland lag 2007 bei 9,19 Euro pro Stunde. Für diesen Lohn arbeitete laut DGB-Studie in Ostdeutschland fast jeder zweite Beschäftigte, im Westen jeder fünfte.

Aufgrund der im Osten weit verbreiteten Niedriglöhne ist auch der Anteil der Beschäftigten, die zusätzlich zu ihrem Gehalt Hartz IV benötigen, größer als im Westen. Insgesamt ist das Armutsrisiko laut Studie in den neuen Ländern doppelt so hoch wie in den alten. Am höchsten ist die Armutsgefährdung in Mecklenburg-Vorpommern, am geringsten in Bayern.

Ursache dieser Gesamtentwicklung ist die De-Industrialisierung Ostdeutschlands nach der Wende, die einen massiven Verlust an Arbeitsplätzen brachte und die trotz massenhafter Abwanderung der Ostdeutschen zu einer permanent höheren Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern führte. Denn wenn es wenig Jobs gibt, werden schlechte Bedingungen eher akzeptiert.

In der direkten Nachwendezeit bis 1991 sind laut DGB-Studie im Osten rund 1,3 Millionen Jobs verloren gegangen, danach eine weitere Million. Profitiert hat davon Westdeutschland: Hier wurde in der Nachwendezeit Beschäftigung aufgebaut, um im Wiedervereinigungsboom die steigende Nachfrage aus Ostdeutschland zu bedienen. Innerhalb von zwei Jahren sind damals im Westen 2,5 Millionen neue Jobs entstanden, anderthalb mal so viel wie in den 16 Jahren danach.

Mit anderen Worten: Nach der Abwicklung der häufig maroden Ostbetriebe, die nach der Währungsunion nicht konkurrenzfähig sein konnten, wurde Ostdeutschland oftmals zu einem Absatzmarkt für westdeutsche Produkte degradiert. Diese Abhängigkeit von der westdeutschen Wirtschaft besteht bis heute fort. "Große, eher kapitalkräftige, exportorientierte und forschungsintensive Industrieunternehmen sitzen hauptsächlich in den alten Bundesländern", bilanziert die DGB-Studie. "Im Osten führen sie meist nur Zweigbetriebe."

Im Osten seien lediglich "einige industrielle Inseln" entstanden, die sich auf Städte wie Dresden, Jena, Wismar und Leipzig konzentrieren. "Diesen industriellen Inseln stehen große Flächen ländlicher Gebiete gegenüber, in denen Tourismus und Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen, die jedoch nicht in dem Maße für Wachstum und Beschäftigung sorgen können wie die industriellen Leuchtturmregionen und das hier angesiedelte Produzierende Gewerbe."

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