Neue Chefs bei der Süddeutschen: Sieg für die Münchner Kulturhoheit
Künftig leiten ein begnadeter Zyniker, eine Arbeitsbiene und eine Polit-Edelfeder als Stellvertreter die Süddeutsche Zeitung. Das Ziel: Qualitätssteigerung und schwarze Zahlen.
Als die Gesellschafter der Süddeutschen Zeitung den neuen Chefredakteur verkünden, klingt das für die sparwütig wirtschaftenden SZ-Eigner fast euphorisch. "Wir freuen uns, mit Kurt Kister einen der renommiertesten deutschen Journalisten für die Position des Chefredakteurs der Süddeutschen Zeitung gewonnen zu haben", heißt es in der Mitteilung des Herausgeberrats. Kister stehe "beispielhaft für die hohen Qualitätsansprüche, die innere Stärke und die Kontinuität der Redaktion".
Dabei werden diese regelmäßig auf harte Proben gestellt, seit die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) die Mehrheit übernommen hat. Die schwäbischen Verleger fielen bislang vor allem durch radikale Sparkonzepte auf. Als der Ruhestand von Chef Hans Werner Kilz näher rückte, wuchs in der Redaktion die Angst, die SWHM könnte einen Verleger-hörigen Sparkommissar als Nachfolger durchdrücken. Doch dazu kam es nicht.
wurde 1953 in Nittenau/Oberpfalz geboren, studierte Rechtswissenschaften und absolvierte parallel dazu eine journalistische Ausbildung. Von 1981 bis Ende 1987 arbeitete er als Richter an verschiedenen bayerischen Gerichten sowie als Staatsanwalt. Seit 1988 ist Prantl politischer Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Ab 1992 arbeitete er dort als Leitender Redakteur. Im gleichen Jahr wurde er stellvertretender Ressortleiter, seit 1995 ist er Chef des Ressorts Innenpolitik.
Der heute 52-Jährige studierte in München Geschichte, Politik und Kommunikationswissenschaften. Dort besuchte Kister auch die Deutsche Journalistenschule. Seit Mai 1983 schrieb er als Reporter für die Innenpolitik-Redaktion der Süddeutschen Zeitung. Später wechselte er zu Seite 3, war dort auch Ressortleiter. Von 1991 bis 1996 berichtete Kister aus Washington. 2005 wurde Kurt Kister neben dem inzwischen ausgeschiedenen Ernst Fischer stellvertretender Chefredakteur der SZ.
Der 43-Jährige wirkte bislang als Geschäftsführender Redakteur der SZ und Chef des Newsdesks. Erste journalistische Erfahrungen machte Krach beim Ingolstädter Donaukurier. Krach geht 1993 ins Politik-Ressort des Sterns, 1997 zum Spiegel. Bei dem Magazin arbeitete Krach zunächst als Bayern-Korrespondent, später als Vizechef des Berliner Büros und zuletzt als Leiter des Deutschland-Ressorts in der Hamburger Zentrale. 2003 kam Krach zur SZ und richtete den neuen Newsdesk mit ein.
An der SZ-Spitze steht Zukunft ein Team renommierter Journalisten: der bisherige Vize Kurt Kister als Chef, Wolfgang Krach als Stellvertreter, Leitartikler und Politikchef Heribert Prantl als Mitglied der Chefredaktion.
"Das ist auch ein Signal der Verleger, um zu zeigen: Wir haben gute Leute im Haus", sagt Harald Pürzel, Chef des Konzernbetriebsrats. Das sei ökonomisches Kalkül. Weitere Einschnitte bei Qualität und Unabhängigkeit gefährde die Stellung der SZ. Dass sich die Herausgeber nun auf eine interne Lösung geeinigt haben, dürfte auch das Werk des Verlegers Eberhard Ebner sein. Er ist einer der Hauptgesellschafter der SWMH und mit der SZ-Verlegerfamilie Friedmann mehr als gut bekannt. Ebner hat der SWMH über seine Verbindungen zur Münchner Verlegerdynastie den Einstieg bei der SZ ermöglicht und muss immer ran, wenn es zwischen den ungleichen Polen in Stuttgart und München knirscht. Dass da ein gewisser Kulturschock auf Deutschlands wichtigste Überregionale zukomme, darauf hatte Ebner gleich nach dem Kauf der Anteilsmehrheit SZ-Chefredakteur Kilz vorbereitet: Hier die regionalen Sparfüchse - und dort die weltläufige Süddeutsche mit ihren Qualitätsmaßstäben und entsprechenden Kosten. Der Trost, so Ebner damals: Der Kulturschock sei beidseitig, auch die Stuttgarter SWMH-Geschäftsführer hätten ihre Not mit den SZlern. "Ob das denn wirklich alles sein müsse" - mit solchen Fragen hatte Rebmann gleich bei seinem Antrittsbesuch in München für Kopfschütteln gesorgt.
Wie es scheint, ist man miteinander warm geworden: Die Neubesetzung der SZ-Chefredaktion ist klar von Münchner Wünschen geprägt. Zwar seien auch externe Kandidaten für die Nachfolge des zum Jahresende ausscheidenden Kilz ins Visier genommen worden, heißt es. "Aber offenbar haben sie niemanden gefunden, der hier eine Chance gehabt hätte."
Der neuen SZ-Spitze hilft, dass die SZ nach einem Einbruch durch die Konjunktur- und Anzeigenkrise 2008/2009 derzeit besser dasteht: Die Auflage ist mit knapp 450.000 Exemplaren täglich leidlich stabil, im ersten Quartal haben die Anzeigenumsätze angezogen, auch das zweite Quartal laufe positiv, ist in München zu hören. Die Geschäftsführer planen schwarze Zahlen. "Die werden sie auch mit brachialer Gewalt durchdrücken", sagt Harald Pürzel vom Betriebsrat. "Ich bin mir sicher, im dritten oder vierten Quartal werden sie ein weiteres Kostensenkungsprogramm auflegen."
Mit den jetzt Inthronisierten hat sich auch Kilz und damit die Münchner Kulturhoheit noch einmal durchgesetzt: "Guter Journalismus lebt von Unabhängigkeit, verlangt Mut, Urteilskraft und moralische Integrität. Wer schreibt, braucht kämpferisches Temperament, eine polemische Bereitschaft, eine Freude an Kontroversen", schrieb Kilz 2009 im SZ-Magazin: "Nicht alles, was Journalisten toll finden, erfüllt die Erwartungen der Leser. Aber nur Leser, deren Erwartungen wir Journalisten übertreffen, kaufen die Zeitung wieder." Nun werden ein Zyniker (Kister), eine Arbeitsbiene (Krach) und eine Polit-Edelfeder (Prantl) die SZ leiten. Oder weiterleiten: Denn schon letztes Jahr konnte es passieren, dass Besuche beim SZ-Chef damit endeten, dass plötzlich Kurt Kister mit einer unmissverständlichen Aufforderung in der Tür stand: "Herr Kilz, wir müssen regieren."
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