Neue CO2-Uhr auf taz.de: Die neue Zeitrechnung

Ab 31. Oktober 2021 läuft sie: unsere CO2-Uhr auf taz.de. Sie zeigt an, wie wenig Zeit noch bleibt, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Pappe tickt nicht, unsere CO2-Uhr schon Foto: Karsten Thielker

Von Barbara Junge

04.08.23 | Update: Im August 2023 haben wir die CO₂-Uhr neu gestellt, seitdem läuft sie etwas anders als die Uhr des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), die als Basis diente. Die Original-Uhr wird immer nur neu gestellt, wenn der Weltklimabericht erscheint und basiert deswegen auf dem Bericht des Jahres 2021 und dem Global Carbon Budget 2020. Die Datengrundlage ist allerdings inzwischen aktualisiert worden. Dabei hat sich das verbleibende CO₂-Budget deutlich reduziert. Das hat die taz angepasst.

Im Detail bedeutet das: Das ursprüngliche Budget lag für Anfang 2020 noch bei 400 Milliarden Tonnen, Anfang 2023 sind es nur noch 150 Milliarden Tonnen. Der Wert für den jährlichen Ausstoß wurde im Global Carbon Budget 2022 auf jährlich 40 Milliarden Tonnen CO₂ aktualisiert. In der Berechnung werden sowohl im Budget als auch beim Ausstoß nur die CO₂-Emissionen berechnet. Es wird angenommen, dass sich der Ausstoß der anderen Treibhausgase proportional gleich verändert.

Im Weltklimabericht werden die Budgets für mehrere internationale Grenzen für die Erderhitzung berechnet. Die Idee basiert auf der Erkenntnis, dass die kumulativen CO₂-Emissionen fast linear mit dem Temperaturanstieg durch den Klimawandel zusammenhängen. Da es dennoch eine Unsicherheit gibt, wie viel Erderhitzung eine bestimmte Menge CO₂ in der Atmosphäre auslösen wird, sind diese Budgets mit Wahrscheinlichkeiten versehen. Für die CO₂-Uhr nutzen wir das Budget, das mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit das +1,5-Grad-Ziel einhalten wird.

29.10.21 | Die Formel staatlicher Klimapolitik in den führenden Industrienationen geht derzeit in etwa so: Gib große Versprechen, hantiere mit noch größeren Zahlen und lass dich dabei nicht auf konkrete Berechnungen festlegen. Das vermindert den politischen Druck von innen wie von außen und lässt ausreichenden Spielraum bei Umfang und Geschwindigkeit klimapolitischer Maßnahmen. Wie das in der Praxis aussehen kann, haben die Parteien vor der Bundestagswahl im September 2021 gerade vortrefflich demonstriert.

Politik im Trödelmodus
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Die Kunst des Druckausgleichs war bislang stets der Kern politischen Handelns, sie funktioniert beim Streit über die Föderalismusreform wie bei einem Kita-Ausbauplan. In der Klimapolitik indes versagt das Prinzip. Denn die alten Regeln folgen noch einer politischen Logik, bei der es auf wenige Jahre gar nicht zwingend ankam. Es stand nicht die Frage im Raum, ob mit einer Politik im Trödelmodus weite Teile der Erde unbewohnbar werden.

Der internationale Klimarat IPCC hat in seiner jüngsten Analyse gezeigt, dass die Welt bei gleich bleibender globaler Emission schon bis zum Jahr 2030 auf eine Erwärmung um 1,5 Grad zusteuert. Bis 2100 sind wir, optimistisch betrachtet, auf einem 2,7-Grad-Kurs. „Zeitkritikalität“, wie das die Klima-Experten nennen, hat Einzug in die Politik gehalten.

Was zeigt die CO₂-Uhr an?

Die taz bildet mit der CO₂-Uhr ab, welche Menge des Treibhausgases die Welt insgesamt noch ausstoßen darf, um die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen und möglichst sogar auf 1,5 Grad. Ein Echtzeitinstrument, das real gemessene Emissionen automatisch visualisiert, ist die CO₂-Uhr nicht. Die Uhr basiert auf der ähnlichen Uhr des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), wurde aber im August 2023 mit neuen Daten aktualisiert.

Wie wird die CO₂-Uhr gestellt?

Die CO₂-Uhr basiert auf zwei wichtigen Kennziffern, dem CO₂-Gesamtbudget, das nach Berechnungen von Wissenschaftler:innen noch bleibt, um mit einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen und den jährlichen weltweiten CO₂-Emissionen. Erstere Zahl basiert bei der taz-Uhr auf der Studie "Indicators of Global Climate Change 2022", die das Budget aus dem Weltklimabericht mit den gleichen Methoden neu berechnet. Zweitere stammt aus dem "Global Carbon Budget 2022".

Die Uhr ist technisch ein Stück Code, basierend auf den Daten des MCC, das bei der taz gehostet wird und das wir dann als Element auf taz.de flexibel einbinden können.

Die taz hat deshalb beschlossen, eine neue Zeitrechnung zu übernehmen. Vor der COP26, der Klimakonferenz in Glasgow Anfang November, stellen wir eine CO2-Uhr auf unsere digitale Startseite.

Der Countdown läuft

Diese Uhr zählt im Sekundentakt herunter, wie viel Zeit der Weltgemeinschaft bleibt, um das Ziel des Pariser Kimaabkommens von 2015 nicht zu verfehlen. Wie viel Zeit also noch ist, die Erderhitzung auf 1,5 oder höchstens 2 Grad zu begrenzen.

Die wissenschaftliche Grundlage für die Uhr liefert das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Das Prinzip ist auf den ersten Blick etwas kompliziert: Der Weltklimarat hat berechnet, wie viel CO2 die Atmosphäre theoretisch noch aufnehmen kann, ohne das 1,5- respektive das 2-Grad-Ziel zu überschreiten. Das ist der erste Schritt. Dieses Budget wird nachvollziehbar kleiner und kleiner.

Wie viel Zeit in diesem in Paris gesteckten Rahmen noch bleibt, zeigt die Uhr in einem zweiten Schritt. Beim aktuellen Emissionsvolumen von mehr als 42 Gigatonnen CO2 pro Jahr ist das Budget in wenigen Jahren aufgebraucht. Beim aktuellen Emissionstempo haben wir bis 1,5 Grad nicht einmal mehr acht Jahre, 25 Jahre sind es bis 2 Grad.

Wettlauf gegen die Zeit

Auch wenn es sich hier um ein theoretisches Modell mit vielen Unbekannten handelt, gibt die Uhr doch eine klare Vorstellung des Faktors Zeit für die globale Klimapolitik. Für den kompletten Umbau der Weltwirtschaft sind jedenfalls 25 Jahre nicht viel Zeit und 8 schon gar nicht. Und selbst bei Einhalten der Budgets gibt es laut der Analyse des Weltklimarats ein gar nicht so kleines Restrisiko von einem Drittel, dass die gefürchteten Marken doch gerissen werden.

Mit der Uhr wollen wir, die taz, wie auch das Mercator Institut so sichtbar wie möglich machen, dass die globale Politik gegen die Zeit läuft. Je langsamer die Politik läuft, desto schneller läuft die Uhr, je schneller aber auch die Politik handelt, desto langsamer tickt sie. Das ist kein Katastrophenszenario – Risiko wie Chance können an der CO2-Uhr abgelesen werden.

Zur COP in Glasgow stellen wir die Uhr auf unserer digitalen Startseite nach oben. Unsere Pläne aber gehen weiter, auch analog wollen wir ein entsprechendes Zeichen setzen, gut sichtbar, ganz oben. Um das zu machen, müssen voraussichtlich jedoch erst noch ein paar Hürden genommen werden.

Barbara Junge ist taz-Chefredakteurin und Initiatorin der taz-Klima-Offensive sowie des taz Klimahubs.