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Neuanfang in BerlinEine Umarmung für alle

Dass ich nach Berlin gekommen bin, ist Glück. Als Geflüchtete passieren mir Ungerechtigkeiten, aber ich bin froh hier zu sein.

„Die Erinnerung an eine Tasse Kaffee währt vierzig Jahre“, sagt man in Istanbul Foto: Cavan/imago images

Meine treuen Leser*innen, seit April 2020 berichte ich Ihnen in dieser Kolumne von den großen Ungerechtigkeiten, die mir als Geflüchtete widerfahren sind. So hat sich zwischen uns eine schöne und intensive Beziehung entwickelt. Vor der Solidarität, die Sie mir gezeigt haben, verneige ich mich mit dem größten Respekt. Eine Journalistin und Autorin wie ich kennt kein größeres Glück. Für die Briefe, die Sie mir aus allen Ecken Deutschlands geschickt haben, bedanke ich mich von tiefstem Herzen.

Sie, meine Leser*innen, haben meine Stimme gehört. Die zahlreichen Briefe, die Sie mir geschickt haben, haben mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin und dass meine Texte jemanden erreichen. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ausdruck verleihen will ich meinem Dank mit einem Lied von Whitney Houston aus dem Film „Bodyguard“: „I have nothing if I don’t have you“. Dieses Lied soll uns noch enger zusammenschweißen. Ich liebe euch sehr!

Als ich mich vor drei Jahren entschloss Istanbul zu verlassen, habe ich nur gedacht, so schnell wie möglich nach Toronto zu gelangen. Dann bin ich in Berlin gelandet. Das war reine Glückssache. In allem steckt etwas Gutes. Und auch wenn mir hier viele Ungerechtigkeiten widerfahren sind, kann ich heute sagen, dass ich froh bin, nach Deutschland gekommen zu sein.

Ich schätze mich glücklich, dass die unendlich toleranten und hilfsbereiten Deutschen mir einen kleinen, warmen und glücklichen Platz in ihrem Land und in ihrem Herzen gegeben haben. Als Journalistin, als Frau und vor allem als Mensch will ich nun all die Pläne, die ich immer aufgeschoben habe, in die Tat umsetzen. Im Oktober werde ich endlich beginnen die Bücher zu schreiben, die ich seit Langem geplant habe.

Auch das Jobcenter hat endlich meinen Antrag bearbeitet, und somit hat sich nun der Großteil meiner Probleme in Luft aufgelöst. Nach sechs Monaten habe ich am Dienstag endlich meine Papiere bekommen. Und im September beginne ich dann mit dem Sprachkurs.

Letzte Woche habe ich drei wunderbare Frauen kennengelernt, und mit ihrer Unterstützung werde ich im Oktober eines meiner Projekte verwirklichen. Bleiben Sie bitte auf dem Laufenden!

Übrigens können Sie mir auf Twitter, Facebook, Instagram und Youtube folgen. Dadurch wird die Entfernung zwischen uns schrumpfen. Ach, und falls es Sie nach Berlin verschlägt, melden Sie sich und wir trinken einen Kaffee. In Istanbul sagt man: „Die Erinnerung an eine Tasse Kaffee währt vierzig Jahre.“ Letzten Freitag habe ich in Deutschland meinen dritten Geburtstag gefeiert. Ich habe Hoffnung, dass mein 45. Geburtstag zugleich die Zeit für einen Neubeginn ist.

Ich umarme Sie alle, achten Sie auf die Abstandsregeln. Bleiben Sie gesund und stark. „Stronger together.“

Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein

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1 Kommentar

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  • Hab' gerührt gelesen und auf die ironische Wendung gewartet ... - kam aber keine! Danke Michelle, danke taz!