Neu-Moderatorin Charlotte Roche: "Hass tut Talkshows gut"
Heute moderiert Charlotte Roche zum ersten Mal die Radio-Bremen-Talkshow "3 nach 9". Ein Gespräch über Lügen und Authentizität im Fernsehen - und über dessen Nebenwirkungen.
taz: Charlotte Roche, dürfen Sie sich bei Radio Bremen in die Sessel lümmeln wie einst beim Musiksender Viva?
Charlotte Roche: Ich soll meine Gespräche führen wie bei Viva, und da war ich nie so wild, wie viele denken. Auch wenn es den Eindruck erweckt hat, ich sei ständig betrunken und schieße nur aus der Hüfte - ich war immer bestens vorbereitet. Aus Angst, meinem Gegenüber nicht gewachsen zu sein. Und Aggressivität ist mir fremd.
Mancher hält schon ein Buch über Körperflüssigkeiten für eine Aggression. Es gab ja sofort eine Protestnote an Radio Bremens Fernsehausschuss gegen die "Feuchtgebiete"-Autorin.
bekam für die Sendung "Fast Forward" im Musiksender Viva den Grimme-Preis. Ihr autobiografischer Roman "Feuchtgebiete" erschien 2008.
Wer so was schreibt, kennt mich nur als Talkshow-Gast. Wenn ich da acht Minuten hab, hau ich total auf die Kacke. Als Gastgeberin nehme ich mich zurück und sorge dafür, dass der Gast Vollgas gibt. Ich sprenge sicher nicht meine eigene Sendung.
Sie würden aber Lügenstories akzeptieren, haben Sie dem Spiegel gesagt. Für die Bremer CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann disqualifiziert Sie das endgültig als Talk-Host.
Die Lüge ist manchmal einfach unterhaltsamer, aber das hängt immer von Person und Rahmen ab. Ein Politiker darf natürlich öffentlich nicht lügen, ein Gast der Harald Schmidt-Show schon. So einfach ist das.
Aber Ziel ist doch die Wahrheitsfindung - was führt dahin?
Ich habe da nix gelernt, nix besucht, nix studiert. Die Basis ist ein nettes Hallo, das suggeriert: Von mir hast du nichts zu befürchten - sonst kriegt man niemanden geknackt. Er soll ja Dinge sagen, die er sonst nie sagt, zündende Anekdoten.
Wer zum Beispiel?
Es gibt niemanden, von dem ich sage: den nicht! Allerdings habe ich noch nie ein Politikerinterview gemacht - da wärs falsch, mit einem NPD-Funktionär zu beginnen. Aber ein bisschen Hass tut Talkshows ganz gut.
So wie vor 25 Jahren, als ein Heiratsvermittler in "3 nach 9" Hertha Däubler-Gmelins Äußeres für den Absatz seiner Thailänderinnen verantwortlich machte?
Da kann man eigentlich nur noch eskalieren - rausschmeißen vielleicht, so frauenverachtend wie das ist.
Würde der Chef eines Flatrate-Bordells fliegen?
Das ethische Konzept hinter Flaterate-Sex ist diskutabel, auch wenn ich nichts gegen Prostitution oder Porno habe. Dass Frauen Rechte brauchen, gekaufter Sex kein Artikel ist wie Alkohol und seinen Preis braucht - darüber kann man toll reden.
Laden Sie Kunstfiguren wie Horst Schlämmer ein?
Da kann ich überhaupt nichts mit anfangen. Kunstfiguren sind in Deutschland wahnsinnig schlecht - alle haben graue Perücken auf und sehen aus wie Hausmeister. Langweilig.
Sind Sie selber echt oder auch ein wenig Kunstfigur?
Alle denken, ich sei im Fernsehen wer weiß wie authentisch, aber ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass Authentizität im Fernsehen nicht existiert. Selbst privat ist man doch fast immer Teil irgendeiner Inszenierung. Ich bin erst nach dem sechsten Bier authentisch.
Sie sind ein Kind des Musikfernsehens. Wird es nun bei "3 nach 9" musikalischer?
Eher nicht, denn das Musikfernsehen hat mir auch ein wenig vom Leben ruiniert. So wie ich keine anzüglichen Zoten mehr reiße, weil ich diesen Tumor durch mein Buch und das Reden darüber rausoperiert habe, so war auch das Ende bei Viva ein Abschluss mit der Musik. Ich kaufe mir oft monatelang keine Platten und höre nur Sachen, die ich auch vor Viva schon gehört habe. Man kann von seinem eigenen Image erschöpft werden.
Das verleidet einem die Musik?
So wie mir Feuchtgebiete den Sex verleidet hat. Wenn auch nicht auf Jahre.
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