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Netzzensur in der TürkeiFass mein Internet nicht an

Zum "Schutz" vor "anstößigen" Inhalten verschärft Erdogans Regierung die Netzzensur. Junge Leute demonstrieren gegen die Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Fast 10.000 Leute protestierten in Istanbul gegen die Netzzensur. Bild: dapd

ISTANBUL taz | "Wenn die Regierung ihre Pläne durchzieht, sind wir hier bald auf demselben Niveau wie in China und Kuba. Was hat das mit Demokratisierung zu tun?" Der junge Mann, vielleicht 20 Jahre alt, ist einer von Tausenden, die am vorvergangenen Sonntag den Istanbuler Hauptboulevard Istiklal in eine Demomeile verwandelten.

Organisiert über Facebook, kamen - wie in neun weiteren Städten - fast 10.000 vor allem junge Leute zusammen, um lautstark gegen eine geplante systematische Zensur im Internet zu protestieren. "Don't touch my internet" war auf den Plakaten zu lesen oder "Wir sind alle Porno".

Die Aufregung ist verständlich, denn die türkische Regierung plant eine radikale Zensur im Netz. Unter dem Vorwand, die Bevölkerung vor pornografischen oder anderen "anstößigen" Inhalten schützen zu wollen, sollen alle türkischen Internetnutzer ab dem 22. August gezwungen werden, eines von vier Paketen zu abonnieren: "Kinder", "Familie", "Inland" oder "Standard". Über eingebaute Filter sortiert die Telekommunikationsbehörde dann alles Missliebige aus. Bei den Paketen "Kinder" und "Familie" ist das alles, was "Anstand und Moral" untergraben könnte, bei "Inland" sind alle ausländischen Webadressen ausgesperrt. "Standard" soll die wenigsten Sperren vorsehen, Details sind noch unklar.

Schon jetzt ist das Internet in der Türkei massiven Eingriffen ausgesetzt. Das Videoportal YouTube wird andauernd durch irgendwelche Gerichte gesperrt, weil wahlweise "Atatürk" oder der "Islam" beleidigt werden. Auch Google blieb immer mal wieder gesperrt, weil das Finanzministerium Google zu höheren Steuerzahlungen zwingen wollte. Im April hat die Telekommunikationsbehörde eine Liste von 138 Wörtern veröffentlicht, die bei Internetadressen nicht mehr benutzt werden dürfen. Darunter sind englische Wörter wie "hot", "escort", "adult" und "fetish", aber auch türkische Begriffe wie "itiraf" (Geständnis) oder "yasak" (verboten).

Doppelsitzige Bänke in Teegärten eingesammelt

Viele junge Leute sind entsetzt und laufen Sturm gegen diese Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Sie haben jetzt auch Unterstützung von der EU-Kommission aus Brüssel und der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, bekommen. Während die Türkei gerade mit massiver Lobbyarbeit versucht, einen eigenen Kandidaten für das Spitzenamt der OSZE zu platzieren, hat die Medienbeauftragte der Ost-West-Organisation, Dunja Mijatovic, das Filtervorhaben massiv kritisiert. Freier Zugang zu Informationen sei ein Essential der OSZE-Charta.

Auch die EU-Kommission ist besorgt über die beabsichtigte Ausweitung der Internetzensur. "Wir meinen, dass solche Kontrollen mindestens juristisch kontrollierbar sein sollten", sagte eine Kommissionssprecherin.

Die angekündigten Zensurmaßnahmen fügen sich in ein größeres Bild der Politik der herrschenden islamischen AK-Partei, die immer stärker versucht, ihre konservativ-repressiven gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen. Erst kürzlich gab es einen Skandal, weil ein Busfahrer sich weigerte, ein händchenhaltendes Pärchen mitzunehmen, kurz darauf wurde bekannt, dass die Istanbuler Stadtverwaltung alle doppelsitzigen Bänke in Teegärten und Cafés einsammelt, um Liebespaare auf Abstand zu halten.

Auch dem Internet droht weiteres Ungemach. Ministerpräsident Tayyip Erdogan persönlich verkündete kürzlich auf einer Wahlveranstaltung, was für ein "unmoralisches und schädliches" Medium Facebook sei. Das letzte Mal, als Erdogan sich ähnlich äußerte, ging es um ein großes Versöhnungsdenkmal an der türkisch-armenischen Grenze. Seit rund zwei Wochen nun wird das Denkmal abgerissen.

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5 Kommentare

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  • S
    simondro

    @peter müller:

    lieber peter, yazgülü hat kein türkei-bashing betrieben, sondern hat das system, das schon immer eine nicht abzuweisende korrupte tendenz aufwies kritisiert. mit dem zusatz, dass seit erdogan die türkei von der konservativen militär dominanz sich zum islam. staat entwickelt.

    .....was jetzt so spektakulär daran ist, dass ein alevite in der opposition ist mußt du mir erst mal näher erläutern....aber sowas dann auch noch als "objektives beispiel" zu titulieren ist jetzt ein bissel wirr bzw. scheinst du anscheinend die richtigen/trefenden worte nicht gefunden zu haben;).

     

    btw: du bist also ein vertreter des anstandes?! schon mal darüber nachgedacht, dass da gaaanz viele menschen eine andere definition von anstand haben und deine def. wirklich die meisten freiheitsverbundenen nicht interessieren??!!

     

    komm schon peter! die internet zensur ist ein vorwand um gegner der akp besser zu kontrollieren. genauso wie hier die datenspeicherung herzlich wenig mit anti-terror maßnahmen zu tum hat....:D! pädos, zuhälter und demagogen gab es vor dem internet und wird es auch mit einer zensur weiterhin geben.....was für ein schwachsinn versuchst du uns da zu verklickern...wir sind schließlich hier nicht bei PI oder GMX;)!

    --------------------

    liebe hatun!

    es ist nun mal gelebter alltag der aleviten in der türkei, dass sie von frommen bis radikalen moslems als dreck angesehen werden, und wenn es den laizismus (noch) nicht geben würde gäbe es wahrscheinlich auch keine aleviten in d. türkei mehr. seit erdogan werden alle schlüsselpositionen von akp sympathisanten besetzt - alevit. studium-absolventen haben es z.zt nicht einfach in der türkei.....meine quellen: zeitzeugen, zeitgenossen vor ort und stelle, also versuch du und peter bitte nicht was anderes zu behaupten....

     

    nichts für ungut!

  • N
    Neo

    Dass Herr Gottschlich seit geraumer Zeit eine fundamentaloppositionelle Haltung gegenüber der AKP-Regierung eingenommen hat ist hinlänglich bekannt. Auch ist in seinen Beiträgen die doch naive und unterstützerische Schreibweise für die BDP (politischer Arm der PKK, die in der EU und USA als terroristische Org. eingestuft ist), die wahrscheinlich ideologisch begründet ist, ebenfalls unübersehbar.

     

    Daher interessieren mich eher Personen, die ihre Objektivität nicht vermissen lassen.

    Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk z. B. am 13. Mai 2011 über die Regierung und die Türkei im Interview mit Charlie Rose:

     

    Die Sorgen über den Erhalt des Laizismus, über eine Islamisierung der Türkei teile er nicht.

    Es habe sich hier leider immer um einen Vorwand gehandelt für den Eingriff des Militärs. Das entspreche nicht dem Ideal Atatürks.

     

    Es gebe Bedenken um den Schutz der Laizität, aber seiner Meinung nach werde das Land nicht religiöser. Vor zehn Jahren habe man noch keine Alkohol konsumierenden Menschen auf der Straße sehen können.

    ‘Turkey is not becoming more religious'

     

    Die Türkei sei weiter auf dem Weg zur Gemeinschaft der modernen Staaten, sie habe auch unter Erdogan das Ziel Atatürks nicht verraten, sich den zeitgenössischen Zivilisationen anzuschließen.

     

    Auf die Frage "Beweist die Türkei, dass ein Land muslimisch, aber zugleich pluralistisch, laizistisch und demokratisch sein kann?" sagte Pamuk, dass die Türkei gerade dies versuche:

     

    "Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Türkei schon bald zu einer vollen Demokratie und zu einer Wirtschaftsmacht werden wird, zwar nicht zum jetzigen Zeitpunkt, aber sie schreitet auf diesem Weg voran. Wir dürfen auf diesem Weg das Vetrauen in uns nicht verlieren."

     

    Und zu den bevorstehenden Wahlen äußerte sich Pamuk wie folgt: "Pamuk stellte fest, dass ihn die Rhetorik der politischen Parteien in der Türkei vor den Wahlen beunruhigten, und dass diese weniger mit Meinungsfreiheit als mehr mit Fanatismus zu tun hätten."

     

    Nachzulesen hier: http://www.todayszaman.com/news-243971-nobel-laureate-pamuk-i-take-coup-cases-seriously.html

     

    http://andalusian.de/index.php/blog-kategorien/item/orhan-pamuk-ueber-die-meinungsfreiheit

     

    http://www.charlierose.com/view/interview/11670

     

    Da passt natürlich auch dieser Artikel von Herrn Gottschlich uneingeschränkt hinein. Er übernimmt die nationalkemalistische Wahlpropaganda blind und unkritisch, da gibt es kritischere Artikel über diese angebliche "Internet-Zensur":

    http://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-angebliche-zensur-in-der-tuerkei/4139814.html

  • H
    Hatun

    @Yazgülü:

     

    Entschuldige, aber der islamische Unterricht hat ja wohl nichts mit der wirren Politik Erdogans zu tun. Es ist das Recht der muslimischen Mitbürger nach solch einem Unterricht zu verlangen. Zu deiner Inforation, angefeuert durch die Bemühungen den Islam als anerkannte Körperschaft anzusehen, wurden Errungenschaften für die alevitischen Mitbürger geschaffen. Oder wusstest du nicht, dass es auch alevitischen Unterricht für Schüler gibt? Du hetzt genauso wie die Feinde, die du dir auf die Fahne geschrieben hast. Doppelmoral in seiner Blüte.

  • PM
    Peter Müller

    Werte Yazgülü, machen Sie mal halblang mit Ihrem verzerrten Türkei-Bashing. Um nur ein objektives Beispiel zu geben, dass den Pauschalverurteilungen widerspricht: Der aktuelle Oppositionsführer der Türkei, Kemal Kiliçdaroglu, ist dem Vernehmen nach ein Alevite (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kemal_K%C4%B1l%C4%B1%C3%A7daro%C4%9Flu). - Um zum Thema zu kommen: So falsch ist eine Internetzensur nicht, wenn ich mir vergegenwärtige, was für abscheuliche Verbrechen mittels der Anonymität des Internets passieren (Pädophilie, Menschenhandel, Mordaufrufe etc.). Es ist eine Gradwanderung zwischen Schutz von legitimen Rechtsgütern wie Leib und Leben sowie der eingeschränkten Meinungsäusserungsfreiheit, die ich gerne auf mich nehme, wenn nur ein Kind dadurch geschützt werdne sollte. In dem Sinne: Ich bin NICHT Porno aber durchaus ein VERTRETER DES ANSTANDES! :-)

  • Y
    Yazgülü

    Ich selbst bin Alevitin, meine Großeltern waren Gastarbeiter in Deutschland. Ich bin froh, dass ich nicht in der Heimat meiner Großeltern lebe sondern Deutschland meine Heimat nennen kann.

    Die Türkei ist ein krimineller, islamistischer Staat, in dem das Recht des Individuums nichts gilt. Seit Jahren wird die Türkei immer islamistischer, mittlerweile hat sie ihre Gefolgsleute überall in Europa. Mir wird Angst und Bange wenn ich sehe, wo sie hier in Deutschland mittlerweile überall ihre Finger im Spiel haben (Islamunterricht, Islamkonferenz usw.).

    Warum macht Deutschland nichts dagegen?