■ Netanjahu will mit allen Mitteln die jüdische Siedlung Har Homa nahe Jerusalem durchsetzen. Gegen alle Vernunft und Proteste. Und getreu dem Motto: Frieden ist die Verlängerung des Konfliktes mit anderen Mitteln: Der Himmel weinte
Es war eisig kalt auf dem Berg. Es regnete beinahe unaufhörlich, der braune Schlamm beschmutzte Schuhe und Kleider. Sechs kleine Zelte standen auf der kahlen Höhe. Das war das „Lager“ von Faisal Husseini. Er ist dort Tag und Nacht.
Gegenüber, ein paar hundert Meter entfernt, sah der grüne Jebel, der über Nacht in der ganzen Welt zu einem Begriff geworden ist, wie verlassen aus. Aber wenn man genau hinschaute, sah man zwischen den Bäumen die grünen Uniformen der Soldaten, die, in kleine Gruppen verstreut, auf Befehle warteten.
Jeder wußte, was der Befehl sein wird: die Bulldozer zu beschützen, die den grünen Berg kahlrasieren sollen, um dort eine neue Steinwüste zu schaffen, genau wie alle anderen Bauprojekte, die die einst wunderschöne Umgebung der Stadt Jerusalem – (Psalm 125: „Wie um Jerusalem Berge sind, so ist der Herr um sein Volk her“) – zu einer der häßlichsten Gegenden im Lande gemacht hat.
Das Herz weinte, als die Bulldozer sich in Bewegung setzten, und der Himmel auch. Husseini, Sprößling einer aristokratischen Familie aus Jerusalem, saß auf einer alten Matratze, in ein arabisches Gewand aus Kamelhaar gegen die Kälte eingehüllt, und wiederholte endlos dieselben paar Sätze für die anwesenden Vertreter der Medien aus aller Welt: „Wer Arafat demütigt und schwächt, wird morgen mit den religiösen Fanatikern der Hamas verhandeln müssen.“ Auch darum ging es.
Alle Versuche, den unglückseligen Beschluß, auf Har Homa eine jüdische Siedlung zu bauen, noch zur 12. Stunde zu stoppen, waren gescheitert. Der amerikanische Präsident hat, mit Blick auf seine jüdischen Wähler, mit seinem Veto verhindert, daß der Sicherheitsrat gegen diese Siedlung Stellung nimmt. Die arabischen Fürsten haben die Palästinenser mit schönen Worten abgespeist. König Hussein hat einen schlimmen Terrorangriff auf jordanischem Boden in der letzten Woche ausgenutzt, um sich mit Netanjahu gefühlvoll zu versöhnen – und zwar ausgerechnet am Vorabend von Netanjahus endgültiger Entscheidung, die Bulldozer auf den Berg zu schicken. Ein Dolchstoß in den Rücken Arafats.
In der israelischen Öffentlichkeit fand die Besorgnis allerdings einen klaren Ausdruck. Eine Initiative des Gush Shalom, des radikalen Friedensblocks, hatte erstaunlichen Erfolg. In 24 Stunden unterschrieben über 500 prominente Israelis, darunter beinahe alle wichtigen Schriftsteller (bekannt in Deutschland: Amos Oz, Yoram Kaniuk, A.B. Jehoshua, weniger der noch wichtigere S. Jis'har), Dichter (Natan Sach, Dalia Rabikowitch, Jehuda Amichai), Künstler (Hanna Maron, Jig'al Tumarkin), Akademiker (Jehushua Ariele, Benny Morrism Se'ev Sternhell) den Aufruf, dessen Text aus fünf hebräischen Wörtern bestand: „Im letzten Augenblick: Stoppt die Bulldozer!“
Aber solche Leute interessieren Benjamin Netanjahu nicht. Er verfolgt ein klares Ziel: seine Regierung lebensfähig zu erhalten. Dazu braucht er die Rechtsradikalen in seiner eigenen Partei, die religiösen Fanatiker in seiner Koalition, die Siedler und die Orthodoxen, denen er Tausende Wohnungen auf Har Homa versprochen hat. Solche Baugeschäfte sind auch eine riesige Goldgrube. Für die Millionäre, die Netanjahus Kommandoaktion zur Eroberung seiner Partei und dann der Regierung finanziert haben, wird dabei auch etwas herauskommen.
Was hat das mit dem Frieden zu tun? Nichts. Der Frieden ist, wie alle anderen Themen, nur Material für Benjamin Netanjahus Wahlkampf – den letzten und den zukünftigen. Netanjahu glaubt, daß seine Art, gegen die Palästinenser Frieden zu führen (verbesserter Clausewitz: „Frieden ist eine Fortsetzung des Konflikts mit anderen Mitteln“), Erfolg verspricht.
Vorläufig kontrolliert Jassir Arafat die Wut seines Volkes noch mit einer eindrucksvollen Autorität. Die Parole war: Keine Gewalt. Als die Bulldozer anfingen, den Berg zu verhunzen, verließ Faisal Husseini mit seinen palästinensischen und israelischen Mitstreitern die Zelte und fing an, sich in Richtung des Jebels zu bewegen. Nach ein paar Dutzend Schritten bildete sich eine Kette israelischer Soldaten, um die Demonstranten zurückzudrängen. Es war eine seltsame Konfrontation: „Keine Gewalt!“ rief Husseini immer wieder. „Erhebt die Hände nicht!“ riefen die israelischen Offiziere. Israelische und (getarnte) palästinensische Soldaten parierten. Man drängte, schob, schrie Parolen, glitschte auf dem schlammigen Boden aus, aber niemand wurde verwundet.
Wie lange kann das so weitergehen? Kann Arafat seine frustrierten Anhänger weiterhin so bei der Stange halten? Und warum eigentlich? Welchen Erfolg verspricht er sich davon? Hat man ihm eine Gegenleistung garantiert, die weit über die veröffentlichten Vorschläge – die Genehmigung des Flughafens im Gaza-Streifen und der Häuserbau für Palästinenser – hinausgeht? Wartet er darauf, daß andere Elemente, wie die Hamas, Anschläge verüben werden, für die er keine Verantwortung zu tragen braucht? Will er selbst Gegenschläge verüben, wenn die israelische Armee nicht so darauf vorbereitet ist wie in dieser Woche?
Keiner weiß das. Wie immer hält Arafat seine Karten dicht an der Brust. Bis jetzt hat er gezeigt, daß man auch mit einem sehr schwachen Blatt viel gewinnen kann.
Netanjahu nutzt diese vorläufige Zurückhaltung seines Feindes-im-Frieden aus. Seht ihr, sagt er den Israelis mit beinahe sichtbarem Augenzwinkern, ich kann machen, was ich will. Keiner wagt es, mir etwas anzutun. Clinton habe ich in der Tasche. König Hussein auch. Die Palästinenser drohen, aber es kommt nichts dabei heraus.
Das kann zu einer unglückseligen Unterschätzung der anderen führen. Wie gefährlich solche Fehleinschätzungen sind, haben andere Führer in der Geschichte bewiesen. Derselbe Psalm 125 sagt darüber: „Die aber abweichen auf ihre krummen Wege, wird der Herr dahinfahren lassen mit den Übeltätern. Friede sei über Israel!“ Uri Avnery
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen