Nervfaktor Werbung: Groß, laut und dümmlich
Jeder Deutsche ist täglich rund 2.000 Werbeeindrücken ausgesetzt. Warum nur sind 1.999 davon nur so nervig? Wütende Ansichten eines alten Kreativen aus der Branche.
Die Geschichte ist uralt. Großmutter fragt ihren studierten Enkel, was er beruflich inzwischen so macht. "Ich bin Rausschmeißer im Puff", ist seine Auskunft, weil er nicht zugeben möchte, dass er in der Werbung arbeitet. Wirtschaftskommunikation, wie Werbung heute fein genannt wird, war nie eine geachtete Branche. In der Wertschätzung der Berufe rangieren die Werber direkt hinter den Politikern, aber noch vor den Immobilienmaklern. Aber es gab Zeiten, in denen Werbung zumindest geduldet wurde, weil im TV manchmal Spots auftauchten, die den Zuschauern ein Schmunzeln abtrotzten. Sogar ansprechende Anzeigen wurden nur zögernd überblättert.
Jetzt aber ist die Krise bis in die letzten Hirnwindungen der Werber vorgedrungen. Statt sie als Chance zu nutzen und mutige, vor allem lustige Kampagnen zu machen, arbeiten sie nach dem alten Motto der Penetrierung: dumme Sprüche und Bilder so oft wiederholen, bis beim Verbraucher aus Ablehnung blanker Hass wird - wobei der Bekanntheitsgrad tatsächlich steigt, während die Sympathie hingegen sinkt.
Werbung gibt sich gerne jung und innovativ. Um das auszudrücken, greift man in der Branche gerne zu Wortneuschöpfungen. Ob die potenziellen Kunden diese verstehen, scheint zweitrangig. Oder wissen Sie, was ein "Milchjieper" aus der Kinderriegel-Werbung ist? Ferrero erklärt auf seiner Internetseite: "Der Begriff Jieper wird im norddeutschen Raum häufig verwendet und bedeutet Lust bzw. Verlangen. Der Milchjieper ist demnach Lust auf frischen Milchgeschmack." Ach so!
Am Geld kann es nicht liegen, dass Werbefilme, Anzeigen oder Plakate so langweilig und hässlich sind. 2009 werden trotz Krise mindestens 21 Milliarden Euro in die klassischen Medien gesteckt, allein neun Milliarden in die TV-Werbung. Außerdem ist zu viel Geld grundsätzlich kontrakreativ. Je teurer eine Kampagne sein darf, desto mehr denken die Agenturen über Fotos auf den Malediven nach - statt über Ideen, die sich vor der Haustür realisieren lassen. Der LBS-Film mit dem Althippie, dessen Tochter Spießerin werden will, weil die spießigen Eltern ihrer Freundinnen in schönen Häusern wohnen, wurde auf einem Bauplatz um die Ecke gedreht - statt in der Karibik.
Dass klare Gedanken wichtiger sind als Geld, beweisen sogar kleine Prospekte für Kunstausstellungen. Die Berliner Klee-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie gab den Besuchern einen unlesbaren Wisch mit auf den Weg, der einer Baggerfirma alle Ehre gemacht hätte. Quasi als Kontrast zu den feinsinnigen Klee-Bildern, wie die zuständige Pressereferentin erklärte. Zur gleichen Zeit lief in München eine Kandinsky-Ausstellung mit einem Prospekt, der kaum teurer war, aber klar, einfach und 100 Prozent Kandinsky. Die Grafiker hatten sich der Aufgabe untergeordnet, statt Selbstverwirklichung zu üben.
Zu ärgerlicher Werbung gehören immer zwei. Ahnungslose Auftraggeber, die sie wollen. Und dumme oder auch feige Kreative, die sie machen. Das Paradoxon: Obwohl die meisten Kampagnen wirken, als seien sie zwischen Kantine und Toilette entstanden, handelt es sich um extrem komplizierte Steißgeburten. Zum Beispiel TV-Spots: Die Kreativen müssen dem Agenturchef nicht selten zwanzig verschiedene Treatments abliefern, das sind Beschreibungen der nicht vorhandenen Filmideen. Von denen werden drei oder vier sorgsam aufbereitet und dem Kunden gezeigt werden. Der wählt automatisch das schlechteste Filmchen aus, das vorproduziert und getestet wird.
Sollten sich irgendwelche Ideenreste eingeschlichen haben, werden sie von den Testpersonen - zufällig ausgewählten Verbrauchern - gnadenlos niedergemacht. Sie suchen nicht das Neue, sondern orientieren sich an den Suppen- oder Shampoo-Filmchen, die sie seit Jahren kennen. Das Ergebnis kann nur eine Familie sein, die verzückt ihre Teller leer löffelt, oder eine Jungfrau mit wehendem Zeitlupenhaar, über das sich die Kräftigungsformel mit dem Vitaminkomplex legt. Es geht aber auch nerviger. Leicht verfettete OBI-Verkäufer als Rapper. Oder Kleinkinder, die sich darüber streiten, was echter Kiri-Käse ist.
In der Printwerbung sieht es nicht besser aus. Die Bildideen wirken wie vor 30 Jahren. Die Sprache ist zu effizientem Denglisch geworden, besonders in der Autowerbung. Und nach wie vor wird in die Entwürfe so viel reingepackt, dass der Leser erst gar nicht hinschaut. Eine Anzeige für ein schlichtes Make-Up von Jade besteht aus 16 grafischen Elementen. Wahrnehmen kann der Leser höchstens drei oder vier.
Immerhin, TV- und Radiospots lassen sich wegzappen, Anzeigen überblättern. Und den Prospektmüll im Briefkasten kann der verärgerte Hausbewohner in die Tonne werfen. Das ist bei Plakaten leider nicht möglich. Sie hängen rum und stören. Gott sei Dank werden sie in weiten Teilen des Landes wegen mangelnder Baulücken immer weiter zurückgedrängt - auf Bahnstrecken und in Nischen, wo sie niemandem wehtun. Ganz im Gegensatz zur Außenreklame von Läden, Supermärkten und Ladenketten. Obwohl es in Deutschland Millionen von Gesetzen und Vorschriften gibt, dürfen Aldi, Lidl, Penny, Kaisers oder McDonalds nach außen die Sau rauslassen. Am schlimmsten gebärdet sich Schlecker. Mit Vorliebe klatscht die Drogeriemarktkette ein einfallsloses Blauschild auf sorgsam renovierte Altbauten. Frei nach dem Motto: Wo es am meisten stört, ist seine Wirkung am größten. Gut 11.000 Schlecker-Märkte verunstalten Deutschland.
Es gibt aber noch Steigerungen: MediaMarkt, Saturn und als Gipfel der Geschmacklosigkeit die deutschen Baumärkte. Die größten (OBI, Hornbach, Praktiker und Bauhaus) spendieren auch den meisten optischen Mist. Weil ihre Gebäude offenbar nicht scheußlich genug sind, ragen auf Pfeilern ihre ungestalten Logos bis zu 30 Meter in die Luft. Zum Teil mit Rotor, sodass sie nach allen Himmelsrichtungen Brechreiz auslösen können.
Diese optische Umweltverschmutzung findet zwar vorwiegend in trostlosen Kaufparks statt, drängt aber zunehmend in die Innenstädte. Weil diese zu veröden drohen, genehmigen die Stadtväter grölende Ladenfronten von Ein-Euro-Märkten, Textildiscountern oder Imbiss-Ketten, die innen so riechen, wie ihre Außenwerbung verspricht.
Zum Glück gibt es Städte wie Görlitz, die ihren sanierten Stadtkern vor allen hässlichen Ladenbeschriftungen schützen. Erstaunlicherweise nicht mit dem Gesetzeshammer, sondern per Überzeugung. Das Stadtbauamt hat den anliegenden Geschäften und Banken aufgezeigt, wie überdimensionierte Ladenschilder in einem sorgsam restaurierten Häuserensemble wirken - und wie viel Sympathie dem entgegengebracht wird.
Lauter Belästigungen
Doch Werbung wäre nicht Werbung, wenn sie nicht jede neue Chance ergreifen würde, die Menschen zu ärgern. Nach dem Einkaufs-TV für hinterhältige Handy-Verträge und dem sogenannten Telefon-Marketing mit vorgeschobenen Meinungsumfragen hat sie jetzt das Internet entdeckt. Die Belästigungen werden immer vielfältiger. Zunächst waren es nur unerwünschte Mails. Inzwischen gibt es an die zwanzig Möglichkeiten, den Internetbenutzer zu nerven. Die widerlichsten sind sogenannte Interstitials, ein feines Wort für Unterbrecherwerbung.
Herr Müller will sich zum Beispiel online über Börsenkurse informieren. Die erscheinen auch im Browser. Doch sofort legt sich eine Einblendung über die aufgerufene Webseite, wahlweise von der Bank of Scotland, der BHW oder Mazda. Gern auch Pornoschmutz. Zwar kann Herr Müller die Einblendung schließen. Doch das "close" ist so versteckt, dass er es mühsam auf dem Bildschirm suchen muss. Außerdem bewirkt das Anklicken oft das genaue Gegenteil. Statt zurück auf seine Börsenkurse wird er auf Zinssätze der isländischen Art oder dicke Brüste geleitet.
Doch wehe dem, der aus Neugierde einen Versandhandel, einen Reiseanbieter oder einen Internetprovider aufruft. Viele Firmen sehen darin eine Aufforderung, ihre Newsletter zu schicken. Und die lassen sich nur mit massiven Drohungen stoppen. Bei der Partneragentur Parship helfen auch die nicht. Als Antwort kommen Standardmails, die auf den supergünstigen Aktionsrabatt hinweisen. Das alles ist zwar grausamer Werbealltag, nur gibt es ihn nicht. Jedenfalls nicht in der deutschen Fachpresse.
Die berichtet stolz, dass die deutsche Werbung inzwischen einen Spitzenplatz bei internationalen Kreativ-Wettbewerben einnimmt. Das mag sein - nur bekommt die Werke, die dort prämiert werden, ein normaler Verbraucher nie zu sehen. Sie werden eigens für die Wettbewerbe gemacht und erscheinen einmalig in Fachmagazinen, auf Insider-Sites oder laufen zwei- oder dreimal in einem Programmkino.
Ende April findet der größte nationale Wettbewerb in Berlin statt. Der Art Directors Club für Deutschland, ein Verein aus feinen Kreativen, kürt die besten deutschen Arbeiten aus dem Jahr 2008. Besucher, die sich die prämierten Werke im Berliner Kosmos-Kino ansehen, werden sich verwundert die Augen reiben: "So edel ist die deutsche Werbung? Warum sehe ich davon nie etwas auf der Straße, in der U-Bahn, in meiner Zeitung, im Fernsehen oder im Internet?" Die Antwort ist einfach: Deutsche Kreativität findet im Saale statt. Doch es gibt Hoffnung, dass sie nach außen dringt. Die Krise wird sogar die Bau- und Elektronikmärkte dieses Landes zur Einsicht zwingen, dass dumpf gleich stumpf ist.
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