Neonazis im Fußballclub: Rückennummer 88
In Jena beschäftigen sich zum ersten Mal Trainer, Übungsleiter und Mitglieder von Vereinen mit dem Problem Rechtsextremismus im Breitensport.
JENA taz Die Jugendfußballer des thüringischen Vereins sind bereit zum Spiel. Sie bilden einen Kreis, einer ruft: "Sieg!" Ein paar Spieler antworten: "Heil!" Während Bundesliga-Vereine immer konsequenter gegen Rechtsextreme vorgehen, machen sich Neonazis und ihre Ansichten in Sportvereinen in der Provinz breit. Eine Tagung im thüringischen Jena beschäftigte sich nun erstmals umfassend mit diesem Problem.
Zu erkennen, dass es dieses Problem tatsächlich gibt, fällt vielen Sportfunktionären offensichtlich immer noch schwer. Einzelfälle seien das, sagt Peter Gösel. Er ist Vorsitzender des Thüringer Landessportbundes. Ja, es gebe Fälle in Thüringen, wo Rechtsextreme in Vereinen Parolen loslassen, sagt er in seinem ersten Diskussionsbeitrag während der Tagung. Und sicher gebe es auch eine große Dunkelziffer, vieles würde unter der Decke gehalten. Aber alles, "ohne dass großer Handlungsbedarf besteht".
Das sehen Trainer und Projektbetreuer aus ganz Deutschland anders. Mit 120 Teilnehmern ist die Veranstaltung komplett ausgebucht. Sie wollen Antworten auf Fragen, mit denen viele von ihnen alltäglich konfrontiert sind: Wie geht man um mit rassistischen Parolen auf dem Dorffußballplatz? Wie reagiert man auf einen Torwart, der provokativ mit der Rückennummer 88 aufläuft - dem Zahlencode für Heil Hitler? Und was tut man, wenn der Jugendtrainer ein bekennender Neonazi ist? Im südthüringischen Zella-Mehlis beispielsweise trainieren Mitglieder der örtlichen Kameradschaft den Fußballnachwuchs.
Es ist das Dilemma vieler kleiner Vereine. Die Trainer und Übungsleiter kommen oft aus dem Ort. Sie gehören dazu. Wenn sie sich als Rechtsextreme zu erkennen geben oder mal eine Neonazi-Parole fallen lassen, tun sich die Vereine schwer, sie zur Verantwortung zu ziehen: "Das ist ein Netter, der hat sich nichts zuschulden kommen lassen", heißt es dann oder "Ich wusste nicht, wofür die ,88' steht." Oftmals glauben die Verantwortlichen in den Vereinen auch, sie seien den Rechten in den eigenen Reihen argumentativ nicht gewachsen. "Viele der Seminarteilnehmer fühlten sich vor Ort ganz auf sich gestellt und empfanden den Austausch in der Gruppe als wichtig", sagt Karin Schreibeis. Sie hat die Tagung in Jena mitkonzipiert. Die Workshops seien das "Ergebnis der Bedürfnisse von Teilnehmern". Denn die Vereine sind nicht erst seit kurzem im Visier von Rechtsextremen.
"Strategietexte zu diesem Thema sind zum Teil zehn Jahre alt", sagt Toralf Staud, Rechtsextremismusexperte und Autor des Buches "Moderne Nazis." "Die unterwandern gezielt, um in der Mitte der Gesellschaft anzukommen." Der Erfolg solcher Unterwanderungsversuche hänge aber nicht von den Rechten ab, sondern von der Reaktion der Vereine. "Sich zu wehren ist wichtig - wer nichts sagt, der positioniert sich politisch."
Staud rät: Natürlich sollen Vereine Rechtsextreme ausschließen, aber bitte mit Begründung. Auch Angelika Ribler gibt praktische Empfehlungen. Die Psychologin berät in Hessen Vereine, die Probleme mit Rechten haben. "Ich empfehle klare Regelvereinbarungen und Satzungsergänzungen". Ribler erarbeitet außerdem Kodizes für Trainer und schult Vereinsbetreuer. Gegen Vereinsneugründungen durch Rechtsextreme oder Clubs, in denen die Neonazis längst die Führung übernommen haben, hilft das allerdings nicht.
Wie es sein könne, dass der rechtsextreme SV Vorwärts aus der Landeshauptstadt Erfurt nicht aus dem Landesverband ausgeschlossen werde, fragt Sabine Berninger von der Thüringer Landtagsfraktion der Linken. Dabei spreche sich der Verband in seiner Satzung doch klar gegen Mitglieder mit rassistischer oder faschistischer Auffassung aus. Sie fragt auch, wie man mit einem Aufnahmegesuch des Sportvereins der Kleinstadt Hildburghausen umgehen wolle, dessen Vorsitzender NPD-Funktionär ist. "Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben", sagt Verbandschef Gösel. "Bei einem Ausschluss gibt es eine Klage und dann haben die eine Bühne." Dann macht er eine kurze Pause und sagt: "Wir haben da keine Handhabe."
Das soll sich ändern. Nach der Tagung in Jena wird ein bundesweites Netzwerk gegen Rechtsextremismus im Sport gegründet. Und der Thüringer Landessportbund hat die Broschüre "Rechtsextremismus im Sport - mit uns nicht!" drucken lassen. Auf rund 20 Seiten werden dort Zahlen- und Bekleidungscodes von Rechtsextremen erklärt und konkrete Handlungsempfehlungen gegeben. Künftig sollen noch mehr Verantwortliche so handeln wie der Schiedsrichter beim C-Jugend-Spiel. Nach den Sieg-Heil-Rufen brach er die Partie ab.
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