Neonazi-Vortrag in Berlin-Wilmersdorf: Sellner bleibt nicht ungestört
Rund 100 Demonstrierende protestierten vor einem Restaurant in Wilmersdorf gegen eine Veranstaltung mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner.
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Vorausgegangen war ein Rätselraten über den geheim gehaltenen Ort des Treffens. Ursprünglich wurde vermutet, dass der „Remigrations“-Stichwortgeber Sellner in einem Lokal an der Uhlandstraße auftreten sollte, das bereits in der Vergangenheit Schauplatz rechter Treffen gewesen sein soll. Etwa 50 Demonstrierende versammelten sich vor dem Lokal. Zum Gegenprotest aufgerufen hatten Initiativen wie etwa das Bündnis Widersetzen und Aufstehen gegen Rassismus. Allein, der Ort war falsch.
Gleichwohl kursierten Informationen über einen Sammelpunkt der Rechten über verschiedene Messenger-Dienste. Am Hohenzollernplatz versammelten sich schließlich rund 45 Anhänger Sellners, die von dort zum Restaurant am U-Bahnhof Güntzelstraße zogen. Wenige Minuten später trafen auch Polizei und Gegendemonstrant:innen ein.
Romi, eine Sprecherin des Bündnisses Widersetzen, sagte, ein friedlicher Protest sei ihnen wichtig, nur laut müsse er sein. „Nazis werden derzeit immer mutiger. Antifaschismus auf der Straße ist das, was wir ihnen entgegensetzen können“, sagte sie zur taz. Die Menge skandierte: „Neonazis raus aus den Kiezen“. Und: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“.
Restaurantbetreiber fühlt sich getäuscht
Der Betreiber des Restaurants, Jeyakumar Gopalbali, wurde von dem Protest überrascht, wie er sagte. Er fühle sich von seinen Mietern getäuscht, berichtet er, angesprochen auf den rechtsextremen Vortrag in seinem Laden. Angekündigt habe sich die Gruppe lediglich zum „Essen und Trinken“, sagte Gopalbali zur taz.
Klar ist: Die Rechten wollten ungestört sein, wenn ihr Posterboy in Berlin auftritt. Schon vorab wurden die Fenster des von ihnen angemieteten Lokals abgeklebt, um Einblicke von außen zu verhindern. Gopalbali sagte, die politische Einstellung sei ihm vorab nicht bekannt gewesen: „Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Räumlichkeiten natürlich nicht an die Gruppe vermietet.“ Er habe nun Sorge, dass sich das negativ auf das Geschäft auswirkt.
Und tatsächlich: „Ich finde es schockierend, dass so ein Treffen vor meiner Haustür stattfindet“, sagte eine Anwohnerin zur taz. Manche schlossen sich spontan dem Protest an. „Ich wollte eigentlich nach Hause, aber jetzt muss ich hier stehen bleiben“, sagte eine Passantin. Über eine Stunde begleitete der Protest den rechtsextremen Vortrag lautstark von außen.
Nach dem Vortrag verließen die rechten Teilnehmer den Veranstaltungsort in Taxis. Kurzzeitig versuchten Antifaschist:innen, die Straße zu blockieren. Einige Taxifahrer:innen reagierten auf ihre Art. Sie drehten einfach um, nachdem sie von Protestierenden erfahren hatten, um wen es sich bei den potenziellen Fahrgästen handelt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Sellner in Berlin referierte. Im Juli letzten Jahres las der rechtsextreme Ideologieproduzent Sellner beim Verein „Staatsreparatur“ in Berlin-Lichterfelde aus seinem Buch „Remigration“. Der rechtsextreme Kampfbegriff ist ein Euphemismus für die Forderungen nach Vertreibungen und Massendeportationen. Rund 1.000 Antifaschist:innen protestierten an diesem Tag gegen den Vortrag. Auch war Sellner im November 2023 zu Gast in einem AfD-Parteibüro in Berlin-Pankow, wie Recherchen der taz zeigten.
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