Neofaschistische Bildpropaganda: Der Skandalpreis von Moskau
Ein Künstler, der führendes Mitglied einer faschistischen Jugendorganisation ist, erhielt in Moskau den "Kandinsky-Preis". Hauptsponsor ist die Deutsche Bank.
"Alles verbrennen!", "Wir holen uns alles zurück!", "Sewastopol ist eine russische Stadt!" - mit solchen Parolen schmückt der Moskauer Designer und Künstler Alexej Beljaew-Gintowt seine Werke. Sie sind vornehmlich in stalinistischem Rot gehalten und zeigen gern slawische Schönheiten mit einem Maschinengewehr in der Hand.
Ein ironisches Spiel mit historischen Versatzstücken und Fragmenten eines radikalen politischen Diskurses? Keineswegs. Es ist der radikale Diskurs selbst, der einem in Alexej Beljaew-Gintowts Werken vor Augen tritt, und ein unverhüllter, militärisch-aggressiver politischer Revanchismus. Beljaew-Gintowt ist der Chef-Stilist einer Bewegung, die sich "eurasischer Jugendbund" nennt und deren Website von einer wohlvertrauten totalitaristischen Bildsprache nur so strotzt. Hier geht es nicht um eine verspätete Soz Art, sondern um eine handfeste neofaschistische Bildpropaganda, inklusive eines Symbols, bei dem es nicht eben großer Fantasie bedarf, um die Verwandtschaft mit einem Hakenkreuz zu erkennen.
Schon das Auftauchen dieses Künstlers in der Shortlist des Wettbewerbes, der sich immerhin als russisches Gegenstück zum etablierten Turner-Preis positionieren will, sorgte in der russischen Kunstszene für Aufruhr. Allerdings rechnete kaum jemand damit, dass Beljaew-Gintowt tatsächlich auch der Preisträger werden würde. Tatsächlich war die Entscheidung der gemischt russisch-europäischen Jury extrem knapp. Für Alexej Beljaew-Gintowt, kurz auch ABG genannt, stimmten allerdings ausgerechnet Valerie Hillings, die Kuratorin des New Yorker Guggenheim Museum, und Friedhelm Hütte, Vertreter der Deutschen Bank, dem Hauptsponsor des Kandinsky-Preises.
Unmittelbar nach der Preisverleihung sagte der Leiter ihrer Kunstabteilung, die unter dem Slogan "Deutsch Bank art - social responsibility" segelt, er könne sich den Aufruhr um die Nominierung nicht recht erklären, man habe schließlich konkrete Kunstwerke ausgezeichnet und nicht die politische Einstellung des Künstlers. Heute, mit fast zwei Wochen Abstand, bedauert auch Hütte die von ihm getroffene Entscheidung.
Im westlichen Kunstbetrieb mag eine solche Sicht vielleicht möglich sein, in Russland jedoch begibt man sich damit unweigerlich auf schwankenden Grund. Ein Symbol bekommt eben seine Bedeutung aus seinem Kontext. In Russland nun, das von einer (eingebildeten oder tatsächlichen) tiefen historischen Gekränktheit geprägt ist und den Auflösungssymptomen eines ehemals scheinbar so fest gemauerten geistigen Orientierungssystems, kann die Nominierung eines Künstlers wie Alexej Beljaew-Gintowt ein weiterer Schritt in der fortschreitenden Legitimierung der ultrarechten, militaristischen und unverhohlen antidemokratischen Kräfte sein, die in Russland schon so massiv am Erstarken sind.
Denn 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es in Russland keine Gesellschaft, die auf inneren Ausgleich, gar auf Gerechtigkeit und Gleichheit bedacht wäre. Im Gegenteil ist eine Mentalität der Rücksichtslosigkeit zu beobachten, vom Straßenverkehr bis zum Rechtssystem, und Beljaew-Gintowt ist der aufstrebende Künstler dieses neuen gesellschaftlichen Brutalismus. Die Galerie etwa - mit dem sprechenden Namen Triumph - die ihn vertritt, gewährt nur ausgewählten VIP-Persönlichkeiten Eintritt in ihre Räumlichkeiten, die in ihrem Design ganz bewusst den Pomp der Stalinzeit zitieren.
In welchem gesellschaftlichen Umfeld der Kandinsky-Preis also ausgelobt wird, hätten sich die Juroren aus dem Westen genauer vor Augen führen müssen, als sie - nicht eben im Sinne der von der Deutschen Bank proklamierten social responsibility - ihre Stimmkarten für Beljaew-Gintowt in die Urne warfen. (Rätselraten gibt es übrigens um das Jurymitglied Jean-Hubert Martin aus Paris. Der Leiter der nächsten Moskau Biennale, der krankheitsbedingt nicht mitstimmte, soll aber, nach Angaben von Shalva Breus, als Herausgeber des Kunstmagazins Art Chronika Hauptinitiator des Preises, Alexej Beljaew-Gintowt zuvor neun von zehn möglichen Punkten gegeben haben, obwohl er im Nachhinein die Wahl als "unverständlich" kritisierte.)
Schließlich entsteht eine Bewegung wie die "Eurasier" nicht aus dem Nichts, sondern greift entsprechende Strömungen in der Gesellschaft auf. Ihr Chefideologe Alexander Dugin, Sohn eines KGB-Offiziers und ehemals eine Randfigur des politischen Diskurses, nennt sich zwar "Philosoph", doch am ehesten wird seinem Auftreten der Begriff Sektenführer gerecht. Die Eurasier beschreiben es als ihr Ziel, in Russland und seinen asiatischen Nachbarstaaten eine antimoderne, vor allem antiwestliche Revolution einzuleiten, an deren Ende ein eschatologisch umwölktes "Neues Imperium" entstehen soll. Nicht umsonst bezeichnen sie ihre Website als ein "Kriegsportal im Netz". Und es ist auch alles andere als ironisch zu verstehen, wenn man auf diesem "Portal" lesen kann: "Unser Ziel ist die absolute Herrschaft", und wenn zudem die Rede davon ist, dass es das einzige Ziel eines jungen Mannes sein könne, zu einem "kriegerischen Element" zu werden, die Bande mit der Vergangenheit zu brechen, alle nichtslawischen Staaten zu bekämpfen und ähnliche, vom Arischen ins Slawische gedrehte faschistische Rhetorik.
Beljaew-Gintowt ist also nicht nur ein "Künstler mit etwas sonderlichen politischen Ansichten", wie sein Galerist Dmitri Khankin meint, sondern er ist der Künstler, besser Designer Dugins und seiner Politsekte, was den Juroren von Guggenheim und Deutscher Bank zum entscheidenden Zeitpunkt offenbar verborgen geblieben ist. Man kann nur Vermutungen anstellen, aber vielleicht haben sich Hütte und Hillings von einer gewissen folkloristischen Neugierde leiten lassen. Die Arbeiten Beljaew-Gintowts greifen, auf eine durchaus originelle und gekonnte Art und Weise, stalinistische und russisch-imperialistische Symboliken auf und entwickeln sie - durch eine an Pop-Art erinnernde Darstellungstechnik, ungewohnte Perspektiven usw. - weiter. (Das gilt zumindest in der Serie von Arbeiten, die unmittelbar für den Kandinsky-Preis eingereicht wurden und eine weniger unverblümt blutrünstige Sprache sprechen als der Rest des Arbeiten des Künstlers.)
All dies könnte für sich genommen sogar interessant sein, wenn es auf eine reflektierende Art und Weise geschähe; wenn Beljaew-Gintowt die stalinistische Symbolik als etwas Brachliegendes aufgriffe, um eine historische Verortung der Gegenwart durchzuführen. Doch stattdessen geht es ihm um plumpe aggressiv-militaristische, antimoderne Propaganda.
Der Künstler mit der Frisur eines Hitlerjungen trat denn auch - ganz zufällig selbstverständlich - während eines Besuchs an der südossetischen Grenze ausgerechnet am Tag des Kriegsausbruchs vor die Kameras, um zu verkünden, es müssten Panzer auf Tiflis geschickt werden, und gleich auch noch welche auf Tallinn, Riga und Vilnius. Entsprechend ist auch der Ton der Unterstützer Beljaew-Gintowts, die im Netz dazu aufrufen, dem letztjährigen Kandinsky-Preisträger Anatoli Osmolowski "den Stiefel ins Gesicht zu treten, wo immer er auftauchen mag". Osmolowski hatte schon bei der Preisverleihung mit Zwischenrufen seinem Widerspruch massiv Ausdruck gegeben.
Für die Deutsche Bank und ihre Kunstabteilung, deren Programm es nicht zuletzt ist, das Image des Institutes aufzubessern und - ganz altmodisch - mit ihrem Geld etwas für den Frieden und die Verständigung unter den Völkern zu tun, ist der Kandinsky-Preis entgegen den Erwartungen nun zu einem Problem geworden.
Wie soll es nun weitergehen mit dem Kunstpreis, auf den die russische Kunstwelt so große Erwartungen gesetzt hat? "In Anbetracht der öffentlichen Diskussion, die sich um das Gesamtwerk des Künstlers entfacht hat", wie er gestern der taz in einer Stellungnahme sagte, ist Friedhelm Hütte gegenüber seiner eigenen Entscheidung inzwischen mehr als nachdenklich geworden. Aus heutiger Sicht halte er seine Entscheidung als Mitglied der Kandinsky-Preis-Jury "für unangemessen". Und Hütte weiter: Sollte seine Entscheidung dazu beigetragen haben, dass Gefühle verletzt worden seien, "tut mir das sehr leid. Aufgrund meiner intensiven Gespräche mit Fachkollegen vor Ort war ich der Meinung, eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Das war offensichtlich nicht der Fall. Im Nachhinein bedauere ich das sehr."
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