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■ Nebensachen aus SofiaSofia by night

Wenn es Abend wird in Sofia, versinkt die bulgarische Hauptstadt in totale Finsternis. Die Straßenbeleuchtung bleibt ausgeschaltet. Böse Zungen behaupten, der Staat lasse die SofioterInnen im Dunkeln tappen, um Geld zu sparen.

Die Folgen sind tragisch, vor allem für Fremde. Die Straßen sind mit Stolpersteinen gepflastert. Einer Erhebung im Asphalt folgt totsicher ein paar Meter weiter ein Loch. Was man aber erst merkt, wenn man bereits bis zur halben Wade drinsteht. Ein nächtlicher Ausflug in Wohngebiete, abseits von Hauptstraßen, endet nicht selten im freien Fall. Weil vielfach die Treppen an Abhängen statt zum Hauseingang nach einigen Stufen ins Nichts führen.

Hochgradig tückisch sind auch Metallplatten, die fachmännisch in die Gehwege eingelassen sind. Die Perfektion dabei ist erstaunlich. Die Ränder der Platten stehen gerade so weit hoch, daß der Fuß drunterpaßt und hängenbleibt. Wer allen Schlaglöchern erfolgreich ausgewichen ist und Treppenattrappen rechtzeitig erkannt hat, hat immerhin noch gute Chancen, mit einer Mülltonne nähere Bekanntschaft zu machen, die jemand mitten auf den Gehweg gestellt hat.

Der Fremde, der Abendspaziergänge aus besagten Gründen lieber meidet, sucht nach einem Ausweg aus der finsteren Lage. Und findet einen, glaubt er zumindest: die Straßenbahn. Die Tram, von den Ostdeutschen ausrangiert und als Geschenk für die darbenden einstigen Brüder in den Balkan entsorgt, ist in Sofia, neben Bussen, das Fortbewegungsmittel schlechthin.

Wenn man die richtige Bahnlinie gefunden hat und der Wagen bestiegen ist, muß nur noch der Fahrer mitspielen und einem ein Ticket verkaufen. Ohne die Angst vor einem Kontrolleur und die tadelnden Blicke der anderen Fahrgäste im Nacken kann sich der Fremdling dann vollkommen auf den Weg konzentrieren.

Leider stellt sich bald heraus, daß er trotz Fahrkarte in der Tasche schwarzfährt. Straßenschilder sind durch die verdreckten Scheiben nicht zu erkennen. Die Hoffnung, vielleicht ein bekanntes Gebäude zu erblicken und als Wegweiser zu benutzen, trügt ebenfalls. So gleich, wie die Menschen im real existierenden Sozialismus waren, sind auch ihre Behausungen. Spätestens, wenn die gelbe Signallampe an der Endhaltestelle blinkt, geht dem Orientierungslosen ein Licht auf: Da muß ich wohl etwas übersehen haben. Was natürlich nicht stimmt, da er überhaupt nichts gesehen hat.

Als pikantes Unternehmen erweist sich der Versuch, größere Kreuzungen zu überqueren. Da Rot nicht unbedingt „Halt“ bedeutet, stehen die Chancen, auf der Strecke (liegen) zu bleiben, etwa 80 zu 20. Wohl nicht zuletzt deshalb gibt es an diesen Plätzen Unterführungen. Sobald sie den Abstieg in das tiefschwarze Loch bewältigt haben, beschleunigen die Einheimischen den Schritt — sichtlich von Gruseln gepackt, ob möglicher Finsterlinge, die in den vielen Ecken lauern könnten. Der Neuankömmling macht es ihnen nach, im Glauben, wenigstens hier festen Boden unter den Füßen zu haben. Wieder ein Irrtum! Plötzlich gibt der Beton nach, ganz langsam und mit einem schmatzenden Geräusch. Eine Besichtigung tagsüber ergibt, daß die Schächte offenbar gern als Bedürfnisanstalten zweckentfremdet werden. Barbara Oertel

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