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■ Nebensachen aus RomPazienza!

Geduld, man weiß es vom Klischee, ist der Italiener Sache nicht. Um einen Fußbreit Straße zu gewinnen, zwängen sie sich in jede Lücke und verstopfen so auch gut ausgebaute Chausseen. Beim Euro-Beitritt nervten sie durch dauerndes Nachfragen: „Na, können wir?“ Und bei Diskussionen kann keiner abwarten – stets reden alle gleichzeitig.

Um so erstaunlicher, was eine Untersuchung von Sprachforschern ans Licht gebracht hat: Ausgerechnet das Wort pazienza gehört zu den fünf meistgebrauchten im Sprachschatz des Normalitalieners. Natürlich sind Spitzenreiter wie allora, was ungefähr „also“ bedeutet und dann gesagt wird, wenn man absolut nichts zu sagen oder zu fragen hat, und die Grußformel ciao uneinholbar. Aber in der Nähe des beliebten domani, was wörtlich „morgen“ heißt, jedoch auch übermorgen oder nie bedeuten kann, und dem ebenso verbreiteten lo so, was laut Lexikon „ich weiß“ heißt, in der Regel aber „kann schon sein, aber ich halt' mich nicht dran“ bedeutet, hat pazienza einen respektablen vierten Platz erobert.

Was wörtlich „Geduld“ heißt und von lateinischen „patior“, „ich erleide, ertrage“ kommt, hat sich im Laufe der Zeit mit einer Fülle von Bedeutungen ausgerüstet: „Pazienza“, sagt der junge Mann, der mit dem Walkman über den Ohren mit seinem Scooter durch den Verkehr gebraust ist und mir eine dicke Delle in den Kofferraumdeckel gefahren hat; „pazienza“ sagt die Sekretärin der Schule, die für die Auszahlung meines Lehrstunden-Honorars zuständig ist und die seit Wochen vergißt, die drei Zeilen im Formular auszufüllen; „pazienza“ sagt der Zivilschutzbeauftragte der Regierung, als er in Unteritalien die Schäden nach dem Erdrutsch vom Mai besichtigt, an deren Folgen auch seine eigene Nachlässigkeit schuld ist.

Ein Allroundwort: „Tut mir leid, hab's nicht so gemeint“, kann es bedeuten, aber auch „Kopf hoch, es wird schon wieder“, „Warten wir's ab“ ebenso wie „ja, so ist das eben“. Aggressiv herausgestoßen kann es, besonders gegenüber wiederholten Vorwürfen der anderen Seite, gar bis zum ärgerlichen „Ach, laß mich in Ruhe“ oder gar ganz nahe zum „Leck mich...“ heranreichen.

Bleibt die Frage, wieso gerade die ungeduldigste aller Nationen zu diesem Wort derart mächtig Zuflucht nimmt. Handelt es sich um eine spezifische Art, sich ins Unabänderliche zu schicken? Ein Tadel gegenüber sich selbst, weil man die Ungeduld als Faktor so vieler Unbillen kennt?

Der Sprachwissenschaftler Tullio Di Mauro von der Universität Rom glaubt, eine andere Erklärung gefunden zu haben: „Es ist sozusagen die Anrufung der Negation dessen, was man im Augenblick wünscht – mit dem Ziel, eben dadurch das Gewünschte herbeizuführen.“ „Pazienza“, so Di Mauro, bedeutet in Wirklichkeit das genaue Gegenteil von Geduld – ist Ausdruck allerhöchster Ungeduld: „Man will nichts anderes, als daß der derzeitige Zustand beseitigt wird – und zwar so schnell wie möglich.“

Kann sein. Das Klischee vom ungeduldigen Italiener wäre damit freilich wieder einmal bestätigt. Das wollten wir eigentlich nicht. Aber was kann man schon machen. Pazienza. Werner Raith

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